MAS/90-Nachfolger nicht nur fuer blaue Rechnerwelten IBMs Standardsoftware-Plaene orientieren sich am Unix-Markt

09.09.1994

Weitgehend unbeeinflusst vom wirtschaftlichen Niedergang im letzten Jahr praesentiert IBM mit der AS/400 und der RS/6000 zwei erfolgreiche Rechnerplattformen fuer den Midrange-Markt. Diese Systeme finden nicht zuletzt deshalb ihre Kaeufer, weil es die noetigen Anwendungen dafuer gibt - teils aus IBM-Bestaenden, teils von abhaengigen oder unabhaengigen Softwarehaeusern. Anne Christina Remus und Nico Klauke* schildern die Situation im IBM- Standardsoftware-Markt.

Die Midrange-Systeme AS/400 und RS/6000 kommen in unterschiedlichen Gebieten zum Einsatz. Entsprechend vielfaeltig ist das Standardsoftware-Angebot. Fuer die erst seit knapp vier Jahren verfuegbare Unix-(AIX-)Plattform RS/6000 kann der Anwender aus 1060 Standardsoftware-Produkten waehlen. Die Palette verteilt sich nahezu gleichmaessig auf Branchenloesungen, branchenunabhaengige Applikationen (zum Beispiel fuer Finanz-/Rechnungswesen, Buerokommunikation, Materialwirtschaft, Fertigungsorganisation) sowie Loesungen zum Verarbeiten grafischer Informationen (siehe Grafik).

Breit gefaechert ist auch das Angebot fuer AS/400-Systeme. In der Verteilung gibt es allerdings Unterschiede: Datenbankanwendungen fuer spezielle Unternehmensbelange nehmen hier den Anteil ein, den im RS/6000-Umfeld die Grafiksoftware haelt.

Partnerkonzepte sichern der IBM Marktanteile

Die IBM ist nicht der alleinige Produzent der auf blauen Rechnern verfuegbaren Standardsoftware. Der Konzern verlaesst sich national wie international auf die Erfahrung und das Know-how von Partnern. Entsprechende Kooperationen lassen sich in drei Kategorien einteilen: Es gibt Geschaeftspartner, Independent Software Vendors (ISVs) und IBM Vendor Logos. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Software- und Systemhaeuser, die eigene oder fremde Produkte in Kombination mit IBM-Hardware offerieren. Dagegen sind die ISVs unabhaengige Softwarehaeuser, die Produkte ohne Hardware verkaufen. Schliesslich trifft die IBM Vendor-Logo-Abkommen ueber ausgewaehlte Produkte von Partnern, die Big Blue wie eigene Produkte vertreibt.

IBM unterhaelt ausserdem spezielle Kooperationen mit grossen Softwarehaeusern. Die wichtigste besteht hierzulande mit SAP. International sind Partner wie Objectstore oder Lotus zu nennen. Natuerlich steht IBM mit einzelnen Produkten selbst im Wettbewerb zu diesen Softwarelieferanten. Der Vertrieb ist sogar dazu verpflichtet, zunaechst seine eigene Palette erfolgreich zu plazieren. Trotz dieses offenkundigen Konfliktpotentials gibt es genuegend Beispiele erfolgreicher Zusammenarbeit.

Mit ihrem Standardsoftware-Angebot erwirtschaftet die IBM Deutschland immerhin rund zwei Milliarden Mark. Das entspricht einem Anteil von rund 22 Prozent am gesamten Inlandsumsatz. Insbesondere beim Bereitstellen von Branchensoftware sowie von Implementierungs- und Ergaenzungsservices setzt IBM auf Kooperationen. Parallel zu den Marktanforderungen bemueht man sich, Client-Server-faehige Standardsoftware bereitzustellen.

Wie Softwaremarketier Peter Kirn versichert, wird eine Reihe von Neuentwicklungen in objektorientierten Technologien aufgesetzt. Big Blue erwartet davon laut Kirn eine produktivere Entwicklung und eine groessere Offenheit. Fremdsoftware laesst sich leichter anschliessen. Zunehmend bietet der Konzern Middleware-Produkte ueber alle hausinternen Plattformen an. Auch Fremdplattformen von Hewlett-Packard, Sun und anderen Anbietern sollen diese Produkte nutzen koennen.

Den gleichen Weg will Big Blue mit Offerten im Bereich der betriebswirtschaftlichen Software beschreiten. Der Nachfolger des AS/400-Standardsoftware-Pakets MAS/90, das kommerzielle und fertigungsnahe Programme enthaelt, wird fuer Anfang 1995 erwartet. Er soll zunaechst auf der AIX-Plattform, spaeter auch auf anderen Unix-Rechnern verfuegbar sein. Sicher ist, dass IBM Deutschland die Entwicklung und Distribution zusammen mit Softwarehaeusern aus den Reihen der IBM-Geschaeftspartner betreiben wird, die sowohl aus dem AS/400- als auch aus dem RS/6000-Umfeld kommen.

Welche Anstrengungen Big Blue bereits unternommen hat, marktnah zu operieren, zeigt sich im Geschaeftssegment Kfz-Handel. Nach einer Marktanalyse von 1993 liegt IBM mit rund 4300 installierten Systemen an zweiter Stelle der Anbieter, knapp hinter Siemens- Nixdorf. Ueber die Haelfte der Loesungen basiert auf Midrange- Systemen.

Durch das strategische Konzept vieler Automobilhersteller in Richtung offener Systeme, darunter BMW, Volkswagen und Mercedes, verzeichnet IBM in diesem Segment seit 1992 eine 20prozentige Steigerung bei RISC-Rechnern. Mehr als die Haelfte der Neuabschluesse betrifft im Kfz-Markt den AIX-Bereich.

Gleichwohl wird mit der AS/400 die Haelfte des Umsatzes realisiert. In diesem Segment offeriert Big Blue mit dem "Car Dealer Package" (CDP) und dem Kfz-Haendlerpaket fuer verschiedene Marken eigene Produkte. Im RS/6000-Umfeld hingegen dekken Partnerangebote die Kundenanforderungen ab.

Ein weiteres Beispiel fuer die IBM-Bemuehungen im Standardsoftware- Markt sind die Kompetenz-Center. Obwohl es sich nicht um eine IBM- Erfindung handelt, ist der Branchenriese mit dieser Organisationsform in sehr vielen Marktsegmenten praesent. Ein praegnantes Beispiel ist das 1992 gegruendete SAP-IBM-Kompetenz- Center in Walldorf. Es wurde ins Leben gerufen, um die Kommunikation und Kooperation von R/3-Partnern zu intensivieren. Damit waren urspruenglich Hardwarepartner gemeint, auf deren Plattformen R/3 laeuft.

Spaeter wurden auch Technologiepartner wie die Software AG oder Microsoft aufgenommen. Der stellvertretende Leiter des SAP-IBM- Kompetenz-Centers, Jens Neumann, erlaeutert: "Zu den operativen Aufgaben der Kooperation gehoerte es, die technischen Grundlagen zu erarbeiten. Die Portierung und die laufende Systemunterstuetzung von R/3 auf verschiedenen Hardware- und Betriebssystem-Plattformen waren sicherzustellen."

Die R/3-Loesung ist auf der RS/6000 unter der Unix-Variante AIX verfuegbar. Es gab und gibt Ueberlegungen, R/3 auch auf der AS/400 anzubieten, doch ist hier der Evaluationsprozess noch nicht abgeschlossen, der sowohl technische als auch Fragen des Marketings umfasst.

IBM hat mit der Positionierung von R/3 nicht zuletzt wegen der R/2-Grossrechner-Vergangenheit laenger gebraucht als andere Hersteller. Im R/2-Umfeld besitzen die Stuttgarter einen Marktanteil von zirka 70 Prozent. Bei R/3-Systemen konnte man sich angeblich von anfaenglichen zehn auf nunmehr 23 Prozent steigern.

Abgesehen von den klassischen kaufmaennischen Standardpaketen, die nahezu alle betriebswirtschaftlichen Anwendungsfaelle umfassen, schiebt sich eine neue Produktpolitik in den Vordergrund. "Lite- Produkte" entern den Markt; auch hier spielt die SAP AG mit abgespeckten R/3-Varianten eine wichtige Rolle.

Die Prinzipien der Zusammenarbeit mit unabhaengigen Softwareproduzenten, den ISVs, sind nicht immer allen Vertriebsverantwortlichen bei Grossanbietern gelaeufig, auch der IBM nicht. Das Selbstbewusstsein dieser unabhaengigen Haeuser ist groesser als das von abhaengigen, auf einen Hersteller fixierten Unternehmen. So klagten kleinere und mittlere Firmen in der Vergangenheit immer wieder ueber mangelnde Flexibilitaet und Toleranz der IBM.

Inzwischen bestaetigen manche kritische Beobachter dem Tanker IBM eine erstaunliche Wendigkeit. Vor allem die Softwarehaeuser mit Unix-basierender Standardsoftware sorgen dafuer, dass die Hardwarelieferanten mit den Marktrealitaeten konfrontiert werden. Roland Sengen, Marketingleiter Fertigungsindustrie beim Softwarehaus PSI, charakterisiert dieses Selbstverstaendnis. Man mache als Softwarehaus keine Politik in Richtung eines bestimmten Hardware- beziehungsweise Betriebssystem-Markts.

PSI bietet Industrieunternehmen Standardsoftware fuer die Unternehmenslogistik (PPS, Leitstand, Lager, BDE, Fibu, Kostenrechnung). Diese Software laeuft nach eigener Aussage auf allen namhaften Unix-Plattformen sowie auf der AS/400 und auf VMS- Systemen von DEC. Hardwarepartner sind neben der IBM auch DEC und Hewlett-Packard.

Rund 95 Prozent der Interessenten wenden sich direkt an PSI, geraten also nicht ueber den Hardwarehersteller an das Softwarehaus. Allerdings gibt es bei 30 Prozent der Anfragen bereits konkrete Vorstellungen bezueglich der einzusetzenden Hardware. Frueher betraf die Haelfte der Abschluesse die AS/400, inzwischen sind es deutlich weniger.

Der Anteil der IBM-Kunden von PSI betraegt gut 30 Prozent, bei steigender Tendenz im AIX-Bereich. Nach Einschaetzung von Roland Sengen ist die AS/400 eine gute Maschine. Sie sei aus Sicht des Anwenders nach wie vor komfortabler als Unix-Systeme. Aber IBM habe zu lange die Marktsignale in Richtung Unix und Systemoffenheit ueberhoert. AIX koennte heute wesentlich etablierter sein, urteilt Sengen.