Anwender sitzen zwischen allen Stühlen

Marktmonopol von Intel bringt die PC-Hersteller in Zugzwang

20.04.1990

MÜNCHEN (CW) - Same Procedure as every time: Erst Ende Februar hatten Compaq und Hewlett-Packard Kunden beschwichtigen müssen, es werde nur mehr eine Verzögerung von ein bis zwei Wochen bedeuten, bis 486-Produkte planmäßig produziert werden könnten.

Der Grund für die erneute Verspätung war einmal mehr ein Bug beim 486-Prozessor von Intel. Diesmal sei lediglich das EISA-Chipset betroffen. Doch was ist mit dem Anwender?

Der muß sich seit nun einem Jahr - als Intel seine neue CPU weltweit präsentierte - mit Versprechungen zu Lieferdaten der neuen Hochleistungsrechner abfinden. Die Hersteller sind schnell bei der Hand, wenn es darum geht, eine sonnige MIPS-Zukunft für den Benutzer zu malen. Wer noch keinen 486-PC sein eigen nennt, ist für die PC-Industrie von gestern. Ob und wer die 486-Maschinen überhaupt wirklich braucht, steht dabei nicht zur Debatte (vergleiche auch Seite 39 - "486er: Für wen, wann und wozu?").

Erst wenige Exemplare an Kunden ausgeliefert

Gehört man als Anwender noch nicht zum elitären Club der 486er-User, befindet man sich trotzdem in guter Gesellschaft: Kaum ein Anwender dürfte bislang überhaupt einen funktionierenden 486-PC besitzen. Nur vier Unternehmen - recherchierte ein Journalist der PC Business Wordl im Februar in Großbritannien - hatte überhaupt schon 486-Rechner an Anwender ausgeliefert: Die Vereinten Nationen sollen bei AST Research fündig geworden sein, und IBM konnte in Norwich ein Erweiterungs-Board in ein PS/2-Modell 70-A21 installieren. Research Machines will gar schon 70 Computer mit der 486-CPU an den Mann gebracht haben und HM Systems - auch ein Unternehmen aus dem U.K - reklamiert ebenfalls Verkäufe der neuen Top-PC-Maschinen für sich.

Meinframe,Power auf dem Schreibtisch

Den meisten PC-Herstellern ist gemein, daß sie sich gerne als technologische Speerspitze des Mikro-Computermarktes sehen. Alle haben ihr Top-Modell bereits vorgestellt. Jedes Unternehmen spricht den sogenannten Power-User an mit mindestens zehn MIPS

Rechenleistung, sekundärer Cache-Technologie - Intel selbst wird nach eigenem Bekunden erst Mitte 1990 mit einem eigenen externen Cache-Controller auf den Markt kommen -, enormen Plattenkapazitäten und der Ausicht auf Mainframe-Power auf dem Schreibtisch. Nachteil: Es gibt die Rechner nicht.

Der Schuldige ist schon ausgemacht: "Wir werden liefern sobald Intel 486er-Prozessoren in großen Stückzahlen liefert. Da wir gute Beziehungen zu Intel haben, wird das nicht mehr lange dauern", so vertröstet jeder den Kunden. NCR wollte Ende Dezember 1989 mit der Auslieferung beginnen, HP erst Anfang Januar 1990. Compaq sprach vage vom ersten Quartal, nachdem man bereits im vergangenen Herbst mit dem Systempro Kunden den Mund wässrig gemacht hatte. Der Deskpro mit 486-Prozessor wird jetzt erstmals ausgeliefert.

Intel sorgt sich mittlerweile darum, seine Kunden durch Ankündigungen bei Laune zu halten: Der B-3-Chip (oder S-X243) wurde durch den B-4 (S-X249) abgelöst. Letzterer hatte allerdings gleich zwei Macken in der Fließkommaeinheit. Beim jetzt vermarkteten Chip - der B-6 (S-X3O8) - sollen diese Probleme gelöst worden sein. Systemhersteller bekamen weiterhin auch noch den B-4-Chip, um ihr Systemdesign vollenden zu können. Der Anwender kann durch einen Aufdruck auf dem Chip feststellen, aus welchem Produktionsstadium die in seinem Rechner Verwendung findende CPU stammt. Die Chipsets für die EISA-Bus-Maschinen werden nun für Mai erwartet. Die aktuelle und angeblich bugfreie Version B6 wird von Intel seit Februar 1990 an die PC-Hersteller ausgeliefert.

Keiner will es sich mit lntel verderben

Die AST Research Inc. (vgl. CW Nr. 10 vorn 9. März 1990, Seite 35: "AST bietet Garantien...") hat auf das Chip-Dilemma insofern reagiert, als sie für alle ihre mit fehlerhaften B-4- und B-5-Versionen des 486-Chips versehenen Rechner eine Austausch-Garantie von 90 Tagen bietet. Der Anwender kann nach dieser Verpflichtungserklärung wählen, ob er sich eine Preisvergütung gutschreiben oder den verbesserungsbedürftigen Chip durch die funktionierende B-6-Version ersetzen lassen will. Der PC-Hersteller erklärte dieses ungewöhnliche Verhalten mit Aussagen von Intel über Probleme beim 486-Chip, die den Markt verunsichern würden.

Ungewöhnlich ist auch, daß sich die PC-Hersteller unisono rühmen, beste Beziehungen zum Prozessor-Monopolisten Intel zu unterhalten. Dies scheint auch der Grund, warum über die technischen Schwierigkeiten bei der Prozessorentwicklung ein Mantel des Schweigens gebreitet wird. Kein Hersteller ist bereit, über die intern von Intel verteilten Errata-Listen zu sprechen, denn keiner will es sich mit den Leuten aus Santa Clara

verderben.

Chip-Technik: Ende der Fahnenstunge erreicht?

So ist man auf offizielle Stelungnahmen aus dem Hause Intel angewiesen, die mehr beschwichtigen, denn informieren: "Wir haben einen Errata bei der Floating-Point-Einheit des 486-Mikroprozessors entdeckt, welches möglicherweise ein falsches Resultat erzeugen könnte. Dieser Fall ist datenabhängig und tritt außerordentlich selten auf', verlautbarte Intel im vergangenen Herbst Compaq beteuerte damals, man werde den Ankündigungstermin für ihre 486-Maschinen nicht verschieben, vorgestellt wurden sie dann auch am 6. November 1989 - nur kaufen kann man sie erst seit diesem April.

Daß die Weiterentwicklung von Prozessor-Chips mit der zunehmenden Integrationsdichte der CPUs auch vermehrt technologische Probleme schafft, liegt auf der Hand. Der 486Chip vereint mittlerweile 1,2 Millionen Transistoren auf einer Fläche von etwa 5,5 Quadratzentimetern. Zukünftige Generationen wie der 586-Prozessor werden etwa vier bis fünf Millionen Transistoren, der für dasjahr 2000 geplante 786-Chip soll gar bis zu 20 Millionen Transistoren beinhalten.

Schwierigkeiten in der Alpho-Testphase

Beim 860-RISC-Prozessor von Intel, den manche PC Hersteller wie Olivetti als Grafik-Coprozessor in ihre EISA-Maschinen einsetzen oder Intel selbst in ihrer Parallelmaschine ISPC/860, kam es bei ersten Prototypen - den N-11- und N-12-Versionen - in der Alpha-Testphase zu Schwierigkeiten im sogenannten "Snoop-Mode".

Da der 860-Prozessor - wie übrigens auch der 486-Chip einen integrierten Cache-Speicher besitzt, werden aktuelle Daten erst in diesen geschrieben und nicht in den dem Rechner zur Verfügung stehenden Arbeitsspeicher. Greift bei Parallelarchitekturen ein anderer Prozessor auf diese Daten im Arbeitsspeicher zu, so arbeitet er nur dann mit dem neuesten Datenbestand, wenn vorher vom internen Cache-Speicher die - jeweils aktuellsten Daten auch auf den Arbeitsspeicher geschrieben wurden. Dieses Problem kann umgangen werden, wenn der beim Arbeitsspeicher nach bestimmtem Datenmaterial anfragende Prozessor auf den Cache-Speicher umgeleitet wird, in dem die neueste Datenversion gespeichert ist - ein Verfahren, das "Snooping" genannt wird. Genau dieses Verfahren funktionierte bei den Testversionnen des 860-Chips nicht. Zumindest für kleinere Multiprozessor-Architekturen mit gemeinsamem Speicher ist diese Snoop-Option jedoch essentiell.

Hersteller verhalten sich loyal zu Intel

Auf Anfrage, ob dieses Problem auch beim 486-Prozessor auftreten werde, konnte man bei Compaq - die mit dem Systempro die Option für eine Mehrprozessor-Architektur bieten - keine Aussagen machen. Der jetzt zur Auslieferung anstehende Despro werde nur mit der 25-Megahertz-Version ausgestattet und dieser Chip sei nicht für Multiprozessor-Umgebungen vorgesehen.

Fazit: Das Problem hochtechnologischer Prozessorentwicklung generiert weitere Probleme: Marketing-Konzepte, die rnarktschreierisch immer neue Evolutionsschübe an den Anwender verkaufen wollen, kommen in Verruf, weil sie ihre Versprechen - hier Lieferdaten - nicht einlösen können. Die PC-Hersteller verhalten sich loyal zu Intel und stehen damit in der Abhängigkeit - und der Anwender wartet. +