Data-Warehousing/Hunderte Prediger und Handlungsreisende

Marktgerangel der Anbieter irritiert die Anwender

05.07.1996

Bei aller Euphorie um den vielleicht letzten geschickt eingefädelten Marketing-Deal des Jahrzehnts können die Anwender wieder einmal nur verwundert den Kopf schütteln. Vor allem das Topmanagement hat vom notorischen Optimismus ihrer um Investitionen bettelnden IT-Gefolgschaft im eigenen Hause die Nase voll.

"IT wird beim Anwender zum Faß ohne Boden." Gut vier Jahre ist es her, daß Frank Sempert, Geschäftsführer der deutschen Gartner Group, der Industrie im "Handelsblatt" ins Stammbuch schrieb, woran es allen Angeboten fehlt. Schon damals fiel es DV-Leitern zunehmend schwerer, Geld für neue Projekte in der Vorstandsetage loszueisen: Irgendwann einmal ist jede Geduld zu Ende, wenn unter dem Strich keine Verbesserungen herauskommen. Die Skepsis, oder besser die Verdrossenheit, wird größer. Ein Nutzen der Informatik scheint nicht in Sicht.

Heinrich Brill, Inhaber einer Verlagsgesellschaft in Hamburg, hat sich die Informatikpläne von Industrieunternehmen, Banken, Versicherungen und Dienstleistern einmal näher angesehen. Zahlreiche Projekte, so lautet sein vernichtendes Resümee, orientierten sich kaum am Kriterium der Wirtschaftlichkeit.

Ob es sich um die Eins-zu-eins-Ablösung von SAP R/2 durch R/3 ohne gleichzeitige Prozeßoptimierung handelt oder um die Vereinheitlichung aller vorhandenen PC-Systeme, solche Projekte - und damit haben die Anwender derzeit alle Hände voll zu tun - bringen keinen nennenswerten Nutzen für das Unternehmen. Ein Schlag ins Kontor auch der Data-Warehouse-Propaganda?

Nahezu alle Anbieter von Produkten und Lösungen im IT-Bereich scheinen mit den kritischen Erfolgsfaktoren und den organisatorischen Konzepten der Unternehmen nur wenig vertraut zu sein. Als Ursache Nummer eins sehen Kritiker wie Brill vor allem die unveränderte Priorität der Produktpolitik auf seiten der Anbieter.

Nur wer sich in Zukunft mit seinen Lösungsangeboten an den Unternehmenszielen der Anwender ausrichte, könne noch auf Erfolg hoffen. Kein Wunder, daß die Data-Warehouse-Prediger sich gerne auf diesen Punkt beziehen.

So reisen sie durch die Lande mit bieder-brav vorformulierten Kriterienkatalogen, die den Kunden glauben machen sollen, er müsse jetzt oder nie auf den Data-Warehouse-Zug aufspringen. Gebetsmühlenartig tragen die Architekten der digitalen Lagerhäuser ihre Pluspunkte vor, die sie meistens voneinander abgekupfert haben, ohne daß ihr Auditorium etwas davon bemerkt hätte.

Doch was auf den ersten Blick wie ein vom Himmel gefallenes Lösungsangebot erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als alter Hut: Kisten verschieben und Marktanteile erhöhen, lauten die eigentlichen Vorgaben der getarnten Truppe. Und dafür schießen sie aus allen Rohren, auf daß ihr Gegenüber schwach werde.

Bei einem durchschnittlichen Data-Warehouse-Projekt müsse man schon mit einigen Millionen Mark rechnen, reden die Anbieter inzwischen Klartext. Auf einem jüngst in München veranstalteten Risiko-Management-Forum setzten sich insbesondere Digital, Sybase und Cognos in Szene, um der versammelten Banker-Riege die Leviten zu lesen.

Allerdings wäre ihnen selbst dabei Hören und Sehen vergangen, wenn nicht ein aus Frankfurt herbeigeeilter Direktor der Deutschen Bank alle Türen geöffnet hätte. Denn Pierre Suhrcke wies an mehreren Präzedenzfällen - Barings Bank, Metallgesellschaft, Salomon Brothers - nach, welche Schäden entstehen können, wenn mangelhafte oder nicht existierende Frühwarnsysteme das forsche Treiben von Spekulanten nicht unterbinden.

Mit Nachdruck, so Suhrckes Geschenk an die referierenden IT-Anbieter, legte er den Vertretern der Banken nahe, unverzüglich in solche Systeme zu investieren, die die überschwappenden Datenwogen in Ad-hoc-Informationen auf Knopfdruck kanalisieren können. Data-Warehouse in der Hochfinanz: Süßer die Glocken nie klingen.

Unbestritten, mit dem Aufbau eines Data-Warehouse wollen sich in den nächsten Jahren immer mehr Anwender beschäftigen. Vor allem Parallelrechner und relationale Datenbanksysteme stehen ganz oben auf den Wunschzetteln der DV-Chefs. Ohne ein solides und mächtiges Back-end wird sich die Informationsverarbeitung der Zukunft, so glaubt man, kaum realisieren lassen.

Doch damit sei es nicht getan, meint zum Beispiel Timo Winterkamp von Informix. Der Aufbau eines Data-Warehouse sei eine strategische Aufgabe, die ein hohes Budget sowie Zeit, Manpower und absolute Entschlossenheit erfordere. Also wieder Ärmel hochkrempeln und für langen Atem sorgen - sofern überhaupt grünes Licht für solche Mammutprojekte gegeben ist.

Daß die Top-Entscheider solche Investitionen nachdrücklich begrüßen, lassen die ersten Studien über den Return on investment (ROI) vermuten. Das Marktforschungsunternehmen IDC beziffert den durchschnittlichen ROI nach drei Jahren mit rund 400 Prozent. Data-Warehouses zahlten sich trotz Investitionen von im Schnitt 3,5 Millionen Mark bereits nach 2,3 Jahren aus.

Laut IDC ist ein Data-Warehouse wie geschaffen fürs Management: Mit vollständigen Informationen unterstütze es den Entscheidungsprozeß und erlaube es, verschiedene Aspekte einer Organisation gleichzeitig zu verwalten. Bis 1998 soll das Marktvolumen rund 25 Prozent pro Jahr zulegen.

Im Unterschied zu vielen anderen Technologien zielt Data- Warehousing in erster Linie auf die Führungsebenen in Firmen und Behörden. Welche Argumente überzeugen letztlich den Geschäftsführer eines marktorientierten Unternehmens, sich für Data-Warehousing zu erwärmen? Wie Willi Janiesch, Chef der deutschen SAS Institute, glaubt, sind es vor allem die schnellen Ergebnisse, die man im Auge habe. Er gerät ins Schwärmen: "Prediger wie wir wissen schon seit langem, daß Business und DV in dasselbe Boot gehören."

Und wer sichert die Branchenkompetenz in solchen Kundenprojekten? Dazu gebe es genügend Partner, meint der SAS-Stratege.

Doch es gibt auch Lichtblicke. Worauf es beim Data-Warehousing wirklich ankommt, verdeutlichte Gartner-Group-Stratege Howard Dresner, der einem vor wenigen Wochen in Hamburg veranstalteten SAS-Anwenderforum seinen Stempel aufdrückte: Das Stichwort lautet Business Intelligence (BI).

Die konkrete Herausforderung sei es, die zunehmende Kluft zwischen kritischen Entscheidungen, verfügbarer Information und analytisch versiertem Personal zu schließen. Dresner beschreibt die Lage dramatisch: "Anwender schwimmen nicht, sie ertrinken in Daten." Die Situation sei brenzlig genug, denn hohe Geschäftsrisiken und die Frustration der Anwender gingen mit einer schlechten Entscheidungsqualität einher - in der Tat das Ergebnis einer vom Management ignorierten IT-Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte.

Die Hauptaufgabe von BI-Systemen sei es demzufolge, resümierte Dresner eloquent, Risiken zu minimieren, den Anwendernutzen nach oben zu schrauben und die Entscheidungsqualität zu optimieren. Ohne ein demokratisches Verständnis von Information und Kommunikation sei hier allerdings kein Staat zu machen.

Dresners dringender Appell an das andächtig lauschende Auditorium lautete daher, mit Killerapplikationen (Hot-spots) anzufangen. Hoffentlich haben alle richtig zugehört, denn ohne Engagement des Topmanagements (Ownership), so der Hinweis Dresners, blieben alle gutgemeinten Ansätze bloße Makulatur.

Ein so verstandenes Data-Warehousing beginnt bei den Problemen der Anwender und ist nicht Tummelplatz der IT-Sektion. Schaut man genau hin, haben sich dies schon zahlreiche Unternehmen zu Herzen genommen und im kleinen Rahmen ganz Großes zuwege gebracht. Statt auf generalstabsmäßig geplante Großprojekte setzen sie auf kleine, überschaubare Data-Marts und treiben damit wettbewerbsentscheidende Pflöcke in den Boden.

So trägt der Einsatz von Reporting- und OLAP-Tools (Online Analytical Processing) zum Beispiel bei Brinkmann, Deutschlands größtem technischen Warenhaus mit Hauptsitz in Hamburg, zu einer höheren Transparenz der unternehmenskritischen Informationen bei. Wie entwickelt sich der Abverkauf bestimmter Sortimente in den 24 Niederlassungen, welche Leistungen bringen einzelne Abteilungen?

Wie Werner Schöndube, Leiter DV und Telekommunikation, erläutert, stehen den Geschäftsführern der einzelnen Häuser täglich solche Informationen zur Verfügung, just in time.

Ähnlich der Ansatz beim weltweiten Marktführer für Dentalprodukte, der Firma Espe im oberbayerischen Seefeld. Mit einem in drei Wochen realisierten Vertriebsinformationssystem, erläutert Projektleiter Christian Wagner, können sich die Strategen genau anschauen, wo der Schuh im weltweiten Außendienst drückt.

Während Brinkmann noch mit einer klassischen Host-Struktur auf Basis von AS/400-Maschinen operiert, bewegt sich Espe bereits munter auf der Client-Server-Plattform und nutzt für Datenzugriff und Verdichtung eine mächtige Oracle-Datenbank. In beiden Unternehmen jedoch erhob das Topmanagement die IT-Investition zur Chefsache und sorgte zugleich für eine zügige Umsetzung der klar definierten Ziele.

Die involvierten Entscheider wissen genau, daß Informationen für Trendanalysen, Marktbeobachtungen und die eigenen Ergebnisse im Überfluß existieren und es einfach gelingen muß, sie effizient zu bündeln und für überzeugende Auswertungen zu verwenden. Die Qualität von Entscheidungen hat hier auch etwas mit IT zu tun. Die Akzeptanz von IT im Management kommt an Business Intelligence nicht vorbei.

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Auch wenn die Anbieter von Data-Warehouse-Lösungen mit optimistischen Versprechungen in puncto Return on Investment (ROI) zielgenau das Topmanagement ansprechen, stoßen sie auf Skepsis. Zu oft schon haben sich große Investitionen in die DV als kostspieliger Schlag ins Wasser erwiesen. Auch diesmal ist es ein Problem, daß die Kenntnisse der Anbieter über die Probleme der Branchen ihrer potentiellen Kunden oftmals bescheiden sind. Zu Recht testen die Anwender das Potential der neuen Führungsinformationssysteme erst einmal mit kleinen, kostengünstigen und überschaubaren Data-Marts.

*Max Leonberg ist freier DV-Fachjournalist in München.