Offene DV-Systeme nicht unproblematisch:

Marktführer "warnen" vor DV-Polygamie

26.05.1978

GELSENKIRCHEN - Das Zeitalter der Online-Systeme hat unaufhaltsam begonnen. Auch wir können die daraus resultierenden Wünsche der inzwischen durch eine veränderte Taktik der Hersteller und Softwarehäuser gut informierten Fachbereiche nach leistungsfähigeren, komplexen und benutzerorientierten Anwendungssystemen nicht ignorieren. Finanzielle und kapazitätsmäßige Engpässe erzwingen von uns die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Installation kostengünstigerer Hardware sowie den vermehrten Einsatz von Standardsoftware-Paketen als Alternative zur kostenintensiven und vor allen Dingen zeitaufwendigen Eigenentwicklung von EDV-Anwendungsprogrammen.

Im Bereich der Hardware ließe das Preis-/Leistungsverhältnis der Mitbewerber gegenüber den Marktführern dem EDV-Fachmann das Wasser im Munde zusammenlaufen, gäbe es nicht Begriffe wie Kompatibilität und Portabilität. Darunter verstehen wir die Verträglichkeit von Hardware, Programmen, Daten und Datenträgern so, daß die genannten Elemente auf verschiedenen EDV-Anlagen einer System-Familie als auch unterschiedlicher Hersteller eingesetzt und ausgetauscht werden können. Indes, die in der EDV entwickelten Programme, teilweise schlecht dokumentiert und nicht mit einer anwendungsorientierten höheren Programmiersprache erstellt, machen einen Systemwechsel fast völlig unmöglich. Sogar der Austausch peripherer Einheiten gegen kostengünstigere wird oft mit dem Argument eventueller Wartungsschwierigkeiten bei auftretenden Fehlern seitens der Marktführer versucht zu verhindern.

Zu den Schwächen der bisherigen konventionellen

Programmerstellung gehört neben anderen Problemen auch ein hoher Wartungsaufwand. Wie die eigene Praxis zeigt, beträgt der durchschnittliche Wartungsaufwand nach der Implementierung etwa 50 bis 60 Prozent der Personalkapazität des für die Erstellung eingesetzten Programmierteams. Bei der Eigenentwicklung versuchen wir durch die Vorgabe einer höheren Programmiersprache (PL/1) sowie durch eine Normierung bei der Programmentwicklung (modulare Programmierung) eine höhere Flexibilität zu erreichen. Die bisherige Personalbindung durch den hohen Wartungsaufwand zwingt uns zum vermehrten Einsatz von Fremdsoftware.

Bei dem Einsatz von Fremdsoftware zeigt sich aber auch deutlich eine nicht zu verkennende Schnittstellenproblematik zwischen den Anwenderprogrammen, Dateien und Informationstabellen und den Fremdsoftwaresystemen. Der Aufwand für die

Schnittstellenprogrammierung wird vielfach unterschätzt, sowie auch der

Anpassungsaufwand der Fremdsoftware an die hausinterne Organisation, falls diese nicht - was oft wirtschaftlicher wäre - dem Fremdsoftware-Produkt angepaßt werden kann.

Ein praxisbezogener Erfahrungsaustausch wäre sicher interessant. Die Fremdsoftware-Produkte sind meist auch nur auf die Systeme der Marktführer zugeschnitten. So ist sicher auch Fremdsoftware nicht immer kompatibel und bei einem etwaigen Herstellerwechsel nicht mehr zu verwenden. Mit der Möglichkeit aber; Software einfach auf andere Systeme übertragen zu können oder an neue Organisationserfordernisse problemlos anzupassen, erhöht sich deren Einsatzdauer und damit auch ihre Wirtschaftlichkeit. Alle diese Schwierigkeiten sollten uns aber davon abhalten, zu glauben, das Rad erfinden zu müssen. Vielmehr sollten wir die Voraussetzungen für den vermehrten wirtschaftlichen Einsatz von Standard-Software schaffen. Nur so können wir den künftigen Anforderungen gerecht werden.

*Herbert Rotthauwe ist Leiter der Abteilung Programmierung der VEBA-Chemie AG, Gelsenkirchen