Marktführer soll Interface-Details künftig unmittelbar nach Produktankündigung bekanntgeben: EG-Behörde will IBIA Daumenschrauben anlegen

04.05.1984

BRÜSSEL (ha) - Die mittlerweile mehr als drei Jahre dauernden Ermittlungen der europäischen Kartellbehörde in Brüssel gegen die IBM scheinen vor dem Abschluß zu stehen. So wird in Expertenkreisen mit einem Urteil gegen den Computergiganten gerechnet. Wahrscheinliche Begründung: Die IBM habe ihre marktbeherrschende Position dazu benutzt, technische Informationen insbesondere über ihre Mid-range- und Großrechnersysteme zurückzuhalten. Wie aus der belgischen Hauptstadt verlautet, liegt den europäischen Wettbewerbsrechtlern bereits ein formeller Text vor, der Big Blue dazu zwingen soll, Schnittstellendetails unmittelbar nach der Ankündigung eines Produktes bekanntzugeben.

Während der Katalog künftiger IBM-Verhaltensmaßregeln in Brüssel bereits Konturen annimmt, wollen offizielle Stellen des Marktführers von einem negativen Urteil der EG-Behörde noch nichts gehört haben. Die im vergangenen Herbst unterbreiteten Vorschläge zur Beilegung des Verfahrens würden nach Angaben von Unternehmenssprechern nach wie vor diskutiert.

Agenturmeldungen zufolge sei die Einlassung der IBM im Zusammenhang mit dem jetzt vorbereiteten Direktiven jedoch zurückgewiesen worden. Zunächst werde ein Expertengremium, bestehend aus zehn EG-Mitgliedsstaaten, die auf Artikel 86 des EG-Rechts ("Rome Treaty") basierenden Vorwürfe gegen Big Blue überprüfen. In letzter Instanz soll die vollzählige Kommission über die zukünftige Schnittstellenpolitik der europäischen IBM-Tochtergesellschaften entscheiden. Die ultimative Aufforderung an den Marktführer, technische Detailinformationen nicht wie bisher erst nach Produktauslieferung, sondern bis zu einem Monat nach dem Announcement dem Mitbewerber zur Verfügung zu stellen, wird bereits für den Sommer erwartet.

Ein für die IBM negatives Urteil könnte nach Ansicht der Londoner "Financial Times" auch die Handelsbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft verschlechtern, die bereits durch Beschwerden von EG-Seite über die US-Kontrollen von High-Technology-Exporten getrübt seien. Das amerikanische Justizministerium, das seinen Antitrustprozeß gegen IBM vor zwei Jahren einstellte, habe seitdem die Kommission aufgefordert, ihre Nachforschungen einzustellen. IBM befürchte indes durch die bevorstehende EG-Entscheidung eine negative Konsequenz auf ihre weltweiten Geschäfte. Das Unternehmen vertrete die Überzeugung, daß eine frühe Bekanntgabe von Schnittstelleninformationen in Europa vor allem japanischen Herstellern wie Fujitsu und Hitachi einen Wettbewerbsvorteil bringe.

Die Ursprünge der Ermittlungen der EG-Kommission gegen den US-Computerchampion reichen weit zurück: Nachdem die Brüsseler Behörde unter dem Druck zahlreicher Beschwerden europäuscher Mitbewerber bereits Mitte der siebziger Jahre die Geschäftspraktiken der IBM untersucht hatte, leitete sie im Dezember 1980 ein "Vertragsverletzungsverfahren" ein, dessen Rechtmäßigkeit im Frühjahr 1981 vom Marktführer mit einer Klage beim europäischen Gerichtshof angefochten wurde.

Als der Gerichtshof die Befugnisse der EG-Exekutivbehörde bestätigte kam es auf Wunsch der IBM im April 1982 zu einer mündlichen Anhörung in Brüssel. Nach einer teilweisen Anpassung Big Blues an das Marktverhalten in der EG ließ die Kommission im Herbst 1982 zwei der ursprünglich vier Beschwerdepunkte fallen. Dabei ging es unter anderem um eine Verkaufsverweigerung für das Softwarekonzept SIPOS (Systems Installation Productivity Options). Zudem forderten einige Mitbewerber, daß IBM künftig seine Zentraleinheiten auch ohne Hauptspeicher anbieten müsse.

Die Kommission blieb jedoch auch nach einem weiteren Hearing bei ihrer Forderung nach Schnittstellentransparenz, die eine wichtige Voraussetzung für die innergemeinschaftliche Normenangleichung im Informations- und Kommunikationssektor darstelle. In Brüssel geht man nunmehr davon aus, daß IBM mit ziemlicher Sicherheit gegen ein ungünstiges Urteil Einspruch erheben werde.