Kein "Weiterbasteln" an alten Anwendungen

Markt erzwingt Wechsel von IBM zu Honeywell - und zurück

29.09.1989

Bevor die Datenverarbeitung der Berufsgenossenschaft SESBG die DV-Organisation als Managementproblem begriff und handelte, schlug sich das Unternehmen mit klassischen Problemen herum: Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Fachabteilungen und der EDV sowie komplexe technische Probleme waren, so Albert Platz, an der Tagesordnung. Im folgenden schildert er den Prozeß der Reorganisation.

Unsere Berufsgenossenschaft vollzog Schritt für Schritt die gesamte Entwicklung der automatischen Datenverarbeitung. Bis kurz vor der Grundsatzentscheidung, die Informationsverarbeitung der Berufsgenossenschaft neu zu konzipieren, war das Verhältnis zur Datenverarbeitung geprägt von der Erfahrung, daß die fachlichen Anforderungen an die Datenverarbeitung technischen Restriktionen unterliegen. Gefördert wurde diese Vorstellung dadurch, daß den Mitarbeitern der Fachabteilungen der Einblick in die Technik und die Programmierung fehlte.

Besondere Schwierigkeiten traten dadurch auf, daß wir zweimal grundlegende Hardwareumstellungen durchführten: Zunächst Mitte der 60er Jahre von IBM zu Honeywell Bull und Anfang der 80er Jahre von Honeywell Bull auf IBM. Die Hardware-Umstellung auf Honeywell Bull, erfolgte als Anpassung an den damaligen technischen Fortschritt. Im Vergleich zu IBM bot Honeywell Bull innovativere Lösungen für unsere Aufgaben. Da sich diese jedoch am Markt nicht durchgesetzt haben, gingen wir zu IBM zurück.

Die Anwendungsprogramme mußten erneut angepaßt werden, wobei wir bemüht waren, gleichzeitig Verbesserungen und Wünsche der Fachabteilungen zu verwirklichen. Die in diesem Zusammenhang zu lösenden Probleme ließen, bedingt auch durch die Personalkapazität, keinen Raum für eine zeitgemäße Weiterentwicklung der automatischen Datenverarbeitung, insbesondere in Richtung einer Dialog-Sachbearbeitung am Bildschirm.

Dies war eine typische Situation, in der sich viele Unternehmen befanden, die die Entwicklung der Datenverarbeitung über Jahre hinweg Mitgegangen waren.

Das Ergebnis aus Sicht der Fachabteilungen war ein Entwicklungsstau; die Wünsche und Forderungen von fachlicher Seite an die Datenverarbeitung konnten nicht in vollem Umfang befriedigt werden.

Die entscheidende Schwachstelle der Datenverarbeitung lag vornehmlich in zwei Komponenten begründet:

Einerseits verkomplizierte eine weitgehend fehlende Integration der einzelnen Dateien den Datenzugriff. Auf der anderen Seite kam es immer wieder zu Kommunikationsproblemen und Mißverständnissen zwischen den einzelnen Fachabteilungen und der EDV.

Die Daten der Berufsgenossenschaft befanden sich auf einer Vielzahl von Informationsträgern, die unterschiedlichen Epochen der Datenverarbeitung zuzurechnen waren. So stiegen wir von den Karteikarten auf Microfiche und Lochkarten um und sind schließlich über Verfahren von Nixdorf und Honeywell Bull bei IBMs USAM-Dateien gelandet.

Dieser Weg hatte den Nachteil, daß die gezielte Suche nach Informationen in allen Speicherungsformen mühsam und unflexibel war. Daten, die in logischen Beziehungen zueinander standen, waren auf einzelnen Dateien isoliert gespeichert. Erweiterungen an Datensätzen um ein oder mehrere Datenfelder verursachten erheblichen Aufwand oder waren zum Teil gar nicht mehr möglich. Individuelle Auswertungsmöglichkeiten durch den Benutzer gab es nicht.

Die Kommunikation zwischen Fachabteilung und EDV-Abteilung gestaltete sich schwierig, da verschiedene "Sprachen" gesprochen wurden. In vielen Fällen war die Programmerstellung sehr aufwendig, da immer wieder zunächst umfangreiche Tests notwendig waren, um sicherzustellen, daß die Realisierung auch den Wünschen und den Bedürfnissen der Fachabteilung entsprach.

In allen Fällen jedoch wurden durch die Programme nur Insellösungen geschaffen. Vorstand und Geschäftsführung unserer Verwaltung haben sich eingehend mit der Situation der Datenverarbeitung auseinandergesetzt. Dabei wuchs die wichtige Erkenntnis, daß Datenverarbeitung heute Informationsverarbeitung ist, daß die Informationsverarbeitung in die unmittelbare Verantwortung des Managements fällt und daß die Anforderungen an die Informationsverarbeitung von der Fachseite hergestellt werden müssen.

Im Ergebnis konnte dies kein "Weiterbasteln" an alten Anwendungen bedeuten - es war der Schritt in eine neue Generation der Anwendungsentwicklung notwendig. Dies machte eine völlige Neukonzeption der Datenverarbeitung notwendig, bei der vor allen Dingen die Einführung eines relationalen Datenbanksystems im Vordergrund stand.

Es boten sich zwei Lösungen an: Zum einen, diese Neukonzeption durch eigene Kräfte zu realisieren. Bedingt durch die historische Entwicklung fehlte es jedoch weitestgehend am notwendigen Know-how in der EDV-Abteilung und zudem an der notwendigen Personalkapazität. Der zweite Weg bestand darin, mit externer Unterstützung, sowohl mit Beratung als auch durch personelle Kapazität, eine Neukonzeption vorzubereiten. Diesem zweiten Weg wurde der Vorrang gegeben.

Dafür sprachen Überlegungen zu Umfang und Größe des Projekts sowie zu Schulung und Heranführung der eigenen Mitarbeiter an die neue Technik, die im Rahmen der Unterstützung und Beratung erfolgen ("training on the job") konnten. Die Neukonzeption konnte zudem nur dann erfolgreich sein, wenn sie in einer überschaubaren Zeit realisiert würde.

Der erste Schritt auf dem Weg zur Neukonzeption war die strategische informationsplanung. Hier sollten insbesondere mit Unterstützung der Beratungsfirma folgende Fragen erarbeitet werden, wie: Welche Anforderungen werden von der Geschäftsführung, den Fachabteilungen und der EDV-Abteilung mittel- und langfristig an die Informationsverarbeitung der Berufsgenossenschaft gestellt?

- Wie sind diese Anforderungen aus Sicht der Geschäftsführung, der Fachabteilungen, der DV-Abteilungen sowie der Anbieter von Hard- und Software zu erfüllen?

- Weiche Investitionen Mittelbindungen sind erforderlich, um die angestrebte Lösung zu realisieren, zu betreiben und zu warten?

Vor allem aber mußte geklärt werden, welche Prioritäten bezüglich der Realisierung unserer Neukonzeption zu setzen sind.

Dazu mußte zunächst eine umfangreiche Unternehmens- und Anforderungsanalyse der gesamten Verwaltung erfolgen. Der zweite Schritt war die Erarbeitung eines Informationsverarbeitungsmodells. Daraufhin erfolgte die Realisierungsplanung.

Hauptteil der Unternehmens- und Anforderunganalyse war die Feststellung des Ist-Zustandes der Anwendungssysteme. Die gesamte Anwendungsentwicklung hatte einen statischen Zustand erreicht. Anwendungsentwicklung bedeutete bis auf wenige Ausnahmen nur noch Wartung im Sinne der (Erweiterung, Verbesserung und Umstellung) bestehender Anwendungssysteme. Echte Neuentwicklungen waren zurückgestellt.

Aus der Analyse der gegenwärtigen Situation heraus wurde ein Unternehmensmod(..) Soll erstellt. Für jede einzelne Abteilung wurde eine Funktions- und Informationsstruktur erarbeitet, die für die spätere Umsetzung der Fachkonzepte im Rahmen des EDV-Gesamtkonzeptes erste Arbeitsgrundlage sein sollte.

Die Unternehmens- und Anforderungsanalyse wurde praktische Grundlage für das EDV-Gesamtkonzept, das die Strategien der Realisierung beschrieb. Das Gesamtkonzept wurde so gestaltet, daß die EDV als ein wesentliches Organisationsmittel die Aufgabenerfüllung der einzelnen Organisationseinheiten optimiert. Das EDV-Gesamtkonzept sieht die Integration moderner, aber erprobter Standardlösungen bei Dialogverarbeitung, einschließlich Datenfernübertragung, Datenbankanwendung, Büroinformationsverarbeitung mit Textverarbeitung sowie softwaregestützte Entwicklung der Anwendungssysteme vor.

Eine wesentliche Lösungsstrategie liegt im Aufbau einer integrierten Informationsbasis mit Daten und Texten. Der Zugriff auf die gemeinsame Basis aller aktuellen Informationen soll sowohl von den Abteilungen der Hauptverwaltung als auch den Bezirksverwaltungen jederzeit möglich sein. Das EDV-Gesamtkonzept sieht eine intensive Unterstützung der Sachbearbeitung am Arbeitsplatz vor.

Die im EDV-Gesamtkonzept genannten Lösungen für die Berufsgenossenschaft setzten auch grundlegende organisatorische Maßnahmen voraus.

Das Gesamtkonzept kann, vereinfacht gesagt, in zwei große Teile gegliedert werden: Zum einen das technische Konzept, zum anderen die Anwendungsentwicklung. Softwareproduktion ist Unternehmenskommunikation.

Technisch wurde nach umfangreichen Untersuchungen für eine kompromißlose zentrale Datenhaltung in Mainz entschieden. Inkonsistenzen und Aktualitätsverzögerungen sollte damit ausgeschlossen werden.

Das entscheidend neue der Anwendungsentwicklung war das Bestreben, die Anwendungssysteme so zu gestalten, wie sie ans fachlicher und verwaltungspraktischer Sicht notwendig sind.

Denn nur ein motivierter Fachbereich macht auch gute Fachkonzepte.

Erforderlich daher, daß die Fachkonzepte der Fachabteilungen nach einer einheitlichen Methodik erstellt werden. Unabdingbar war, daß die fachlichen Vorgaben von der EDV-Abteilung auch verstanden werden. Außerdem sollten sie technisch realisierbar sein.

Um das sicherzustellen, war es erforderlich eine einheitliche Methodik, also eine einheitliche Sprache für die Formulierung der fachlichen Anforderungen zu nutzen. Wir setzen die Methode Isotec ein, die durch das Software-Werkzeug Predict Case unterstützt wird. Die Fachkonzepte wurden durch eigene Mitarbeiter und Mitarbeiter der Beratungsfirma erstellt.

Hier hat sich außerordentlich gut bewährt, die Fachkonzeptteams mit möglichst wenigen, dafür aber hochqualifizierten Mitarbeitern zu besetzen. Dies stellte sicher, daß sehr zügig Ergebnisse erreicht wurden. Schließlich sind Methoden auch nur so gut, wie sie sich in der Praxis bewähren.

Die Mitarbeiter der Fachabteilungen, die nach der standardisierten Methode ihre fachlichen Anforderungen formulieren sollten, wurden zunächst in einem einwöchigen Kurs geschult. Nach dieser ersten Woche war die Skepsis der Mitarbeiter in den Fachabteilungen sehr groß, ob die Aufgaben bewältigt werden könnten.

Insbesondere befürchtete man, mit der Methodik, die so ganz anders war als die bisherige Form der Formulierung fachlicher Anforderungen, nicht richtig arbeiten zu können. Erstaunlicherweise ist heute, nach eineinhalb Jahren, der Umgang mit dieser Methodik bereits so eingespielt, daß die Arbeit damit völlig selbstverständlich geworden ist. Dies wurde im wesentlichen auch dadurch erreicht, daß die Schulung nicht abstrakt und losgelöst von unseren eigenen betrieblichen Anforderungen erfolgte, sondern daran orientiert war.

Albert Platz ist Leiter der EDV-Koordination der Berufungenossenschaft SESBG in Mainz.

Motivierte Fachbereiche gute Fachkonzepte

Zunächst bedarf es einer intensiven Schulung des Fachbereichs. Darüber hinaus muß aber der Fachbereich überzeugt werden, daß die Methoden ihn in die Lage versetzen, entsprechende Anforderungen an die DV zu stellen, damit er später genau das Anwendungssystem erhält, das er sich wünscht. Dies erfordert in der Startphase eine intensive Beratung durch Methodenfachleute. Die SESBG hat es erreicht, daß sich die Fachbereiche mit den Methoden für das Fachkonzept identifizieren.

Die Softwareproduktion managen

Softwareproduktion darf nicht nur technischer Prozeß verstanden werden, sondern ist auch - und vor allem - als Unternehmenskommunikation zu verstehen:

Kommunikation im Projektteam, zwischen den Projektteams sowie zwischen Fachbereich und DV-Bereich. Damit ist aber der Fachbereich gefordert, die richtigen Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt abzustellen. Dies kann nur funktionieren, wenn das Unternehmensmanagement voll hinter dieser Strategie steht. Die SESBG hat dies frühzeitig erkannt und danach gehandelt.

Die Aufgaben der SESBG

Die Süddeutsche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft ist Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie gewährleistet den Unfallversicherungschutz für die eisen- und metallverarbeitenden den Betriebe Süddeutschlands. Die Berufsgenossenschaft hat fast 50 000 Mitgliedsbetriebe mit etwa 1,5 Millionen Versicherten.

Ihr Aufgabenspektrum - von der Prävention über die Rehabilitation bis hin zur sozialen Sicherung durch Geldleistungen führt die Süddeutsche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft mit knapp 800 Mitarbeitern durch. Von ihnen sind etwa 100 zur sicherheitstechnischen Betreuung der Betriebe und der Versicherten überwiegend im Außendienst tätig. Die Hauptverwaltung der Berufsgenossenschaft ist in Mainz, sechs weitere Bezirksverwaltungen befinden sich im süddeutschen Raum.