Internet-Kunden der Versandhändler greifen auf die Warenwirtschaft zu

Marketing und IT zufrieden: Online-Geschäft integriert

19.12.1997

Die Zahl der Versandkunden, die statt der vorgedruckten Bestellkarten oder der telefonischen Auftragsannahmen das Internet oder einen Online-Dienst nutzen, ist noch gering. Bei der Neckermann Versand AG, Frankfurt am Main, betrug der auf diese Weise erzielte Umsatz im vergangenen Jahr etwa 120 Millionen Mark, also rund vier Prozent der Gesamteinnahmen von mehr als drei Milliarden Mark. Der Otto-Versand, Hamburg, beziffert den durch T-Online und das Internet erzielten Umsatz auf 437 Millionen Mark oder 5,7 Prozent dessen, was in die Kassen floß. Bei der Quelle Schickedanz AG & Co. in Fürth beliefen sich die online generierten Einnahmen nur auf ein Prozent des Gesamtumsatzes, wobei die professionellen Bestellagenturen allerdings nicht mitgezählt sind, weil sie ein separates System nutzen.

Trotz der bescheidenen Zahlen sind die Versandhäuser längst über das Stadium hinaus, in dem sie das Online-Geschäft lediglich aus Image-Zwecken betrieben haben. Für die Anbieter ist der Verkauf via Internet attraktiv, weil er geringe Kosten verursacht und eine Zielgruppe anspricht, die auf konventionellem Weg kaum erreichbar wäre. Zudem hat Mathias Flenker, Online-Dienst-Verantwortlicher des Otto Versands, beobachtet, daß auch die ehemaligen Bestellkarten-Nutzer mehr und mehr ins Internet geht.

Um die Online-Kunden bei der Stange zu halten, müssen ihnen die Versandhändler aber den im Offline-Geschäft üblichen Service garantieren. Dazu gehören prompte Lieferzusagen sowie Sonderpreise und Expreß-Lieferung.

Bedingung dafür ist die Verzahnung von Online-Bestellung und interner Warenwirtschaft - ein Alptraum für jede Org./IT-Abteilung. Beinahe zwangsläufig verfolgen Vertriebsleute und Informatiker unterschiedliche Interessen: Während die einen möglichst nahe am Kunden sein wollen, ist den anderen wohler, wenn sie die Außenwelt auf Distanz halten können, fürchten sie doch um die Sicherheit ihrer Systeme und die Konsistenz der vorhandenen Host-Applikationen.

Mit seinen Mainframe-Anwendungen wickelt beispielsweise Neckermann im Jahr etwa 14 Millionen Bestellungen ab. In jahrelangem Gebrauch wurden die Programme immer weiter verfeinert, so daß sie nicht nur die Kundendaten verwalten sowie Bestellabwicklung und Fakturierung erledigen, sondern auch Alternativen anbieten, falls ein Artikel mal nicht mehr am Lager sein sollte. Kein Wunder, daß die Informatiker erst einmal skeptisch reagierten, als die Vertriebsleute den Direktzugriff vom Kunden-PC auf das Warenwirtschaftssystem propagierten.

So mußten die Neckermänner zunächst einmal viele unterschiedliche Konzepte diskutieren, bevor sie schließlich eine Lösung fanden, die beide Seiten zufriedenstellt: Die Mainframe-Applikationen bleiben unangetastet, und der Datenaustausch mit dem Kundenrechner beschränkt sich auf ein Minimum.

Wie das System arbeitet, beschreibt Andrew Simpson, Leiter Neue Medien, folgendermaßen: Wer bei Neckermann online bestellt, nutzt eine modifizierte Form der Masken, die auch bei der telefonischen Auftragsannahme im Einsatz sind. Erst wenn er seinen Einkaufskorb gefüllt hat, werden die Bestelldaten an das Warenwirtschaftssystem übergeben.

Mit der Realisierung dieses Konzepts beauftragte Neckermann die Cube Informationssysteme GmbH, Stuttgart, die heute zu Intershop Communications gehört. Die Schwaben nutzten das Host-Publishing-System "Extra" von Attachmate. Extra erzeugt, so Simpson, einen TCP/IP-Datenstrom zwischen dem Host und dem Transaktions-Server sowie zwischen diesem und dem Web-Server -obschon Neckermann kein unternehmensweites TCP/ IP-Netz betreibt.

Otto Versand und Quelle fanden eine andere Lösung. Ein Web-Publishing-Tool ist zwar der direkteste Weg zu einem arbeitsfähigen System, bestätigt Uwe Stephan, der im Neue-Medien-Team der Quelle für Online-Dienste und das Internet verantwortlich zeichnet. Die schnelle Verfügbarkeit müsse unter Umständen aber mit Performance-Nachteilen erkauft werden, weil jeder einzelne Verarbeitungsschritt auf dem Großrechner stattfindet und erst noch "übersetzt" werden muß. Nach Stephans Ansicht ist eine selbstprogrammierte Lösung aber wesentlich flexibler.

In diesem Punkt ist er sich einig mit Uwe Flenker, seinem Kollegen vom Otto Versand. Die Hamburger haben mittlerweile ihren gesamten Katalog digitalisiert und in Oracle-Dateien auf demselben HP-9000-Rechner gespeichert, der auch den - ebenfalls von Oracle stammenden - Web-Server beheimatet. Wie bei Neckermann füllt der Kunde zunächst seinen virtuellen Warenkorb. Den gibt er an der Kasse, sprich: beim Web-Server ab, der dann den Kontakt mit dem Host, also den Kundendaten und dem Warenwirtschaftssystem, aufnimmt. Dort wird geprüft, ob die Ware verfügbar und der gewünschte Liefertermin einzuhalten ist. Wesentlicher Unterschied zum Neckermann-System: Ein großer Teil der Plausibilitätsprüfungen findet bereits auf der HP 9000 statt.

Zwei Fliegen mit einer Klappe hat Quelle geschlagen: Das Internet-Bestellsystem ist Teil der konzerninternen Bestrebungen, von den MVS-zentrierten Individuallösungen auf Client-Server-fähige Standardprodukte hinüberzuwechseln. Wie Stephan berichtet, nutzen die Fürther bislang in weiten Bereichen ihrer Informationstechnik einen eigenen Transaktionsmonitor, der zwar besonders schnell sei, sich aber nicht für moderne verteilte Systeme eigne.

Den "Übergang in die neue Welt" markiert das Bestellsystem, das einen Standard-Transaktionsmonitor, CICS von IBM, verwendet. Die eigentliche Bestellabwicklung geschieht nach wie vor auf dem Großrechner. Aber das Präsentations-Layout wird jeweils auf dem CICS-fähigen Anwendungs-Server erzeugt, wo die waren- und kundenbezogenen Daten vom Mainframe zusammenlaufen. Eine selbstgebastelte C++-Applikation wandelt diese Informationen in HTML-Seiten um.

Darüber hinaus ermöglicht diese Anwendung dem Kunden einen intelligenten, sprich: kontextabhängigen Bestelldialog. Beispielsweise macht sie ihn konkret auf etwaige Fehleingaben aufmerksam, und sie offeriert ihm gegebenenfalls Alternativprodukte oder Ausweichtermine für die Warenlieferung, wobei sie den Wohnort des Bestellers selbständig aus der Kundendatenbank abfragt.

Bei Otto und Neckermann sind die neuen Dialoglösungen seit etwa einem Jahr im Einsatz. Die Quelle zog im vergangenen Sommer nach. Was der bessere Kundenservice zur Umsatzsteigerung beigetragen hat, können die Unternehmen nicht beziffern. Sie betonen jedoch einvernehmlich die positiven Auswirkungen auf die internen Abläufe. Vorher kamen die vom Kunden ausgefüllten Formulare als E-Mails bei der Sachbearbeiterin an, die dann alle Daten ins zentrale Bestellsystem übertragen mußte. Dieser Arbeitsschritt hat sich erübrigt. Das spart nicht nur Zeit, sondern hilft auch, Übertragungsfehler zu vermeiden.

Was Marketing-Fachleute wie Simpson zusätzlich freut: Die Systemintegration erlaubt es, Statistiken zu generieren und eventuelle Defizite bei der Vermarktung des Angebots zu erkennen.

Die Lösungen im Überblick

Neckermann: Bei den Frankfurtern kommt das Host-Publishing-System "Extra" von Attachmate zum Einsatz. Es fungiert als Gateway zwischen Web- und Transaktions-Server sowie dem Mainframe. Vorteil: Die Lösung ist schnell realisierbar, und die Host-Applikationen bleiben unangetastet.

Otto Versand: Die Hamburger rühmen sich, ihren gesamten Hauptkatalog online vorzuhalten - auf demselben Rechner, auf dem auch der Web-Server läuft. Der größte Teil der Plausibilitätsprüfungen findet ebenfalls dort statt. Die Schnittstellen zum Mainframe sind selbsterstellt und deshalb für die Unternehmensbedürfnisse optimiert.

Quelle: Mit ihrer neuen Bestellapplikation haben die Nürnberger den ersten Schritt in die Client-Server-Welt getan. Selbstentwickelte C++-Programme stellen dem Kunden eine Dialoganwendung zur Verfügung, die ihn kontextabhängig durch den Bestellvorgang leitet. Zudem bereiten sie die vom Mainframe übernommenen Daten als HTML-Seiten auf. Daß die Präsentationslogik auf dem Anwendungs-Server läuft, macht dem System Beine.