Data-Warehousing / Customer Relationship Management

Marketing-Strategen auf der Suche nach dem verlorenen Kunden

03.04.1998

Auf der Basis umfassender Analysen und ausgewählter Data- Warehouse- und Data-Mining-Verfahren wollen immer mehr Unternehmen die Beziehung zu ihren Kunden auf Vordermann bringen. Um Marketing-Aktivitäten effektiv planen und steuern zu können, bilden sie "Cluster" und gewinnen damit wichtige Informationen über das Kaufverhalten ihrer Zielgruppen. Doch reichen langjährige Erfahrung und Fachkompetenz nicht mehr aus, um das avisierte Kundenpotential auch wirklich zu erschließen.

Das Aufgabenprofil eines Marketiers ist nicht von Pappe: Ein höherer Wettbewerbs- und Kostendruck, gesättigte Märkte, veränderte Nachfrage und zunehmend kritische Kunden verlangen nach qualifizierteren Strategien. Ohne gezielte DV-Unterstützung bleibt das Ziel möglichst geringer Streuverluste und maximaler Potentialausschöpfung allerdings ein frommer Wunsch.

Wie modernes Marketing funktioniert, zeigt das Beispiel der schwedischen Telia Mobile A. B. , eines Anbieters von Mobiltelefonen. Beim Management ihrer Kundenbeziehungen verlassen sich die Marketiers auf das Business Operational Support System (Boss). Es integriert verschiedene Datenbanken, zum Beispiel mit allen Informationen über Subskriptionsverträge oder Kundendaten (rund zwei Millionen Einträge). Besonders wichtig ist den Telia-Verkäufern und Marketing-Fachleuten die Meinung abtrünniger Kunden. Bei ihren Befragungen erfahren sie mehr über die Schwachstellen des Angebots und können sich ausrechnen, wie sie ihre Kundenbasis gegen Abwanderung schützen.

Das Management von Kundenbeziehungen läßt sich mit einer "Loyalitätsleiter" vergleichen: Auf der untersten Stufe befindet sich der potentielle Käufer, dessen Aufmerksamkeit zu erregen oberste Maxime des Unternehmens sein muß. Eine Stufe höher steht das Kaufinteresse, gefolgt vom Erstkauf.

Ein weiterer Schritt nach oben ist der Folgekauf. Hat man es bis hierher geschafft, konzentriert man sich auf das Ziel, den Kunden dauerhaft zu binden und an neue Produkte heranzuführen (Cross-Selling). Die letzte Sprosse ist erreicht, sobald er dem Unternehmen durch Mehrfachkäufe treu bleibt.

Nun ist es kaum mehr als ein Kinderspiel, den Umsatz pro Abnehmer gezielt zu steuern (Up-Selling). Bedingung für das planmäßige Erreichen dieser Ziele sind konkrete Informationen darüber, bei welchen Kundengruppen sich "Aktivierungsversuche" lohnen und mit welchen Maßnahmen man diese individuell anzusprechen gedenkt.

Dafür braucht man ein detailliertes Kundenprofil. In der Regel sind die entsprechenden Daten bereits vorhanden: etwa in Kunden- oder Produktdatenbanken. Die Kompetenz eines CRM-Systems bemißt sich deshalb nach seinem Vermögen, aus diesen Beständen in kürzester Zeit die benötigten Informationen herauszufischen und sie der Marketing-Abteilung just in time zur Verfügung zu stellen. Die hierzu erforderlichen Schlüsseltechnologien sind elementare Bestandteile von Data-Warehouse- und Data-Mining-Lösungen.

Die den CRM-Data-Warehouse-Systemen zugrundeliegenden Informationen sind unterschiedlicher Herkunft: Primär- und Sekundärdaten sowie Daten aus externen Quellen. Die primäre Datenquelle enthält Angaben, die aus Kundenumfragen resultieren. Sekundäre Datenquellen beziehen sich auf Informationen, die bereits innerhalb des Unternehmens existieren und noch nicht für eine spezielle Untersuchung herangezogen wurden.

Dazu gehören zum Beispiel Aufzeichnungen über Transaktionen, Produktinformationen oder auch Datenbanken mit Hinweisen auf das Kaufverhalten von Kunden. Dies schließt sowohl aktuelle als auch historische Datenbestände mit ein. Externe Quellen schließlich geben Aufschluß über soziodemografische Daten, Fakten über Mitbewerber oder Angebote von Datendiensten.

Um diese häufig sehr heterogenen Datenbestände auszuwerten, müssen sie zunächst in eine konsistente Datenbasis überführt werden - nun tritt das CRM-Data-Warehouse auf den Plan. Es extrahiert ungeordnete Informationen aus verschiedenen operationalen Quellen, vereinheitlicht sie zu einer konsistenten Datenbasis und gliedert sie nach Themen wie Kunden oder Kundengruppen. Dabei schließt das Data-Warehouse die Lücke zwischen operativen Systemen und der Planung und Steuerung von Marketing-Aktivitäten.

Der Datentransfer erfolgt in zwei Richtungen: Aus den operativen Systemen fließen produktorientierte Daten in das Data- Warehouse, wo sie in Zukunft gut sortiert für komplexe Abfragen zur Verfügung stehen. Eine Rückkopplung mit der operativen Datenhaltung sorgt dafür, daß die Ergebnisse der Abfragen in die Praxis umgesetzt werden, beispielsweise in Gestalt eines Mailings an die dort gespeicherten Kundenadressen. Man sollte es nicht versäumen, die Ergebnisse, etwa die Reaktion auf ein solches Mailing, ins Data-Warehouse zurückfließen zu lassen, um sie als Grundlage künftiger Strategien aufgreifen zu können.

Je nach Fragestellung können die Daten im Warehouse nach verschiedenen Ansätzen evaluiert werden. Um zwei solcher Konzepte soll es im folgenden gehen: OLAP (Online Analytical Processing) und Data-Mining.

OLAP ist eine sehr schnelle Methode, Daten und Zahlen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu analysieren. Dabei erlaubt das Verfahren eine multidimensionale Sicht auf die zugrundeliegenden Informationen: Je nach Interessenlage werden Daten, zum Beispiel Produktlinie, Zeitraum, Regionen und die resultierenden Analysewerte, aus verschiedenen Blickwinkeln tabellarisch oder grafisch dargestellt.

Auf diese Weise erhalten die einzelnen Fachabteilungen konkret nutzbare Informationen, die auf ihren Aufgabenbereich zugeschnitten sind: Produkt-Manager erfahren, wie sich ein bestimmter Artikel aus dem Gesamtportfolio in welchen Regionen verkauft hat. Für den Finanzanalysten ist der Umsatz der gesamten Produktpalette in einem bestimmten Kalendermonat relevant, während sich ein regionaler Vertriebsbeauftragter vielleicht dafür interessiert, wie sich der Verkauf in seinem Gebiet insgesamt entwickelt hat. Eine typische Fragestellung beim OLAP könnte also lauten: "Wer sind meine besten Kunden in der Region Süd?"

Bei OLAP handelt es sich um eine Top-down-Methode, mit der man nach zuvor definierten Strukturen oder Dimensionen, etwa Zeitraum, Sparte oder Kundengruppe, in den Daten navigieren und sie "live on screen" auswerten kann. Ein typisches Einsatzfeld sind Bewertungen in verschiedenen Controlling-Bereichen, etwa die Kosten-Nutzen-Analyse konkreter Vorgehensweisen bei der Neukundengewinnung.

Data-Mining hingegen ist eine Kombination verschiedener multivarianter statistischer Verfahren einschließlich neuronaler Netze, die den Marketing-Experten helfen, Trends schon früh zu erkennen, zum Beispiel Abwanderungstendenzen in einer bestimmten Kundengruppe. Eine charakteristische Aufgabenstellung für das Data-Mining schlägt sich nieder in der Frage: "Wieso kaufen unsere Kunden in Frankfurt jetzt 30 Prozent weniger als im letzten Jahr?"

Data-Mining ist ein komplexer Prozeß, bei dem zunächst aus einer Vielzahl von Daten die Variablen definiert werden müssen, die für die simultane Auswertung in Frage kommen. Will man beispielsweise das Merkmal Kaufwahrscheinlichkeit für einen ausgewählten Personenkreis bestimmen, zählen zu den möglichen Variablen - neben vielen anderen - das Alter des Kunden, Familienstand, Wohngegend und Einkommen. Entscheidend für das Resultat einer Anfrage ist die Wahl des geeigneten statistischen Modells, das zur Datenauswertung herangezogen wird.

Einschließlich der Auswahl der Variablen und des Modells besteht Data-Mining aus insgesamt fünf Arbeitsschritten:

-der (optionalen) Stichprobenbildung sowie der Bereitstellung von Trainings- und Testdaten;

-der Exploration inklusive Variablenauswahl, Gruppierung und Visualisierung;

-der Modifikation und Transformation der Daten;

-der Modellbildung (beispielsweise Regressionsanalysen, Cluster-Analysen, neuronale Netze und Assoziationsanalysen) sowie

-der qualitativen Bewertung des Modells.

Entsprechend den Anfangsbuchstaben dieser fünf Schritte - Stichprobenbildung, Exploration, Modifikation, Modellbildung, Assessment (Modellbewertung) - nennt SAS Institute dieses Verfahren SEMMA.

Wichtigster Schritt und Kern des Data-Mining ist die Modellbildung: Hier geht es um die Auswahl der am besten geeigneten Verfahren, um genaue Zusammenhänge zwischen bestimmten Kundenmerkmalen erkennen zu können. Dazu einige Beispiele: Die Ausschöpfung des Cross- und Up-Selling-Potentials in einem bestehenden Kundenstamm ergibt sich aus der Klassifizierung der Kunden. Abnehmer, die ähnliche Interessen haben und damit Zielgruppen für die gleichen Artikel sind, werden in ein Segment eingeordnet. Eine mögliche Frage lautet hier: "Welche Personenkreise fahren Ski und interessieren sich auch für andere Wintersportarten?"

Auch der österreichische GSM-Provider Max. Mobil setzt bei der Auswertung des Kundenverhaltens auf Data-Mining-Verfahren. Grundlage dafür ist das Data- Warehouse "Olymp". Die Lösung verknüpft den Server SNI RM 600 mit einer Oracle-Datenbank sowie einem Abfragewerkzeug von SAS Institute. Mit Olymp evaluiert Max. Mobil seine Stammdaten aus operativen Quellen, etwa Calltype, Tarif, Tarifzeit und -zone.

Geplant ist, diese Informationen mit Billing-Daten zu verknüpfen und damit konkret zu ermitteln, welche Kunden wie lange zu welchem Tarif telefonieren. Auf diese Weise will Max. Mobil sein Leistungsangebot optimal auf die Kunden ausrichten, gezielter auf ihre Wünsche eingehen und sie an neue Leistungen heranführen.

Geeignete Data-Mining-Verfahren zur Kundensegmentierung heißen Cluster-Analyse und Regressionsverfahren. Mit diesen Methoden läßt sich der aktuelle Kundenstamm in immer neue Gruppen aufschlüsseln. Zum Beispiel könnte der Marketing-Stratege eines Versandhauses unter Berücksichtigung der Bestellungen von Babywäsche vorhersagen, wann man Sonderkataloge mit speziellen Sortimenten an diese Haushalte schicken könnte. Spiele, Bücher oder Schulartikel lassen sich so noch besser vermarkten.

Auf der anderen Seite sind Assoziationsanalysen für sogenannte Warenkorb- und Kassenbonanalysen im Handel ideal. Mit Hilfe dieser Methode lassen sich konkrete Kaufkorrelationen feststellen: "Mit welcher Wahrscheinlichkeit kaufen Kunden bestimmte Produkte wie zum Beispiel eine Fernsehzeitung und Kartoffelchips gleichzeitig ein?"

In welchem Wohnviertel sich ein Direkt-Mailing für einen Luxuswagen lohnt oder wo eine hohe Response-Rate bei der Aussendung von Glückslosen zu erwarten ist, weiß zum Beispiel die AZ Bertelsmann Direct, seit sie auf Data-Mining setzt. Ein Schwerpunkt dabei liegt auf "Regio Se- lect", einer Klassifizierung von mikrogeografischen Merkmalen. Dieses Verfahren kombiniert beispielsweise Informationen über Produktbestellungen oder die Zahlungsmoral eines Kunden mit seiner Adresse.

Bei einem entsprechenden Datenvolumen läßt Regio Select Rückschlüsse auf das Kaufverhalten in verschiedenen Wohnvierteln zu - bei sehr detaillierten Auswertungen sogar bis in einzelne Straßenzüge hinein. Das Resultat solcher Untersuchungen ist ein nach Kaufinteressen oder Zahlungsfähigkeit geordneter Stadtplan, aus dem sich eine Menge über die Kundschaft herauslesen läßt.

Völlig andere Zielsetzungen stehen bei Banken und Versicherungen im Vordergrund. Wichtige Einsatzgebiete von Data- Mining-Verfahren heißen hier Kreditkarten-, Risiko- und Schadensanalyse. Dabei können verschiedene Methoden zum Einsatz kommen, nämlich neuronale Netzwerke und Regressionsverfahren wie die kategorielle und logistische Regression.

Bei den Regressionsanalysen wird ein direkter Zusammenhang zwischen Input-Variablen und Output-Größen angenommen: Modifikationen der Inputs bewirken immer entsprechend proportionale Veränderungen der Outputs. Deshalb lassen sich die gefundenen Zusammenhänge dann auch relativ leicht interpretieren.

Neuronale Netze eignen sich vor allem für extrem heterogene Datenbestände mit einer besseren Anpassung zwischen Modell und Realität als bei klassischen Methoden. Weil die Modellbildung bei neuronalen Netzen sehr flexibel ist, sind die erzielten Resultate von höherer Qualität als die von Regressionsverfahren.

Die genannten Beispiele zeigen die Bedeutung von Data-Mining-Verfahren für das Customer Relationship Management. Noch gibt es keinen "Standard" für Data-Mining-Techniken. Die Entscheidung, welches Verfahren favorisiert wird, liegt also beim Anwender selbst. Erst durch das Zusammenspiel zwischen Mensch und Technologie läßt sich das Potential, das in modernen Data-Warehousing- und Data-Mining-Lösungen steckt, optimal für das Management der Kundenbeziehungen nutzen.

Angeklickt

Bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Das Herz des Kunden läßt sich im Sturm erobern - oder durch mühsame Kleinarbeit. Der Beitrag zeigt, welche Methoden zum Ziel führen können und wo noch nachgebessert werden muß. Data-Mining, soviel dürfte feststehen, sollte inzwischen ein unverzichtbares Handwerkszeug des Marketiers geworden sein.

Axel Delto ist Business Manager Customer Relationship bei der SAS Indtitute GmbH in Heidelberg.