IT in Versicherungen/Von der TV-Werbung bis zum Internet

Marketing: Klassische Wege mit neuen Mitteln nutzen

13.12.1996

Der Deutsche sichert im Prinzip alles ab - vom Auto bis zur Zukunft. Etwa 100000 Berater suchen im Laufe eines Jahres Millionen von Menschen auf, um deren Angst vor Verlust in bare Münze zu wandeln. Ein Vergleich zwischen den Angeboten der diversen Versicherer zu einer Sparte ist kaum noch möglich. 1995 schrieben Auto-, Haftpflicht- und Kreditversicherer rote Zahlen, denn hier wird mit Rabatten gebuhlt. Die Branche ist aufgerufen, sich neue Konzepte zu überlegen, will sie alte Kunden halten und neue gewinnen.

"Sicherheit ist gefragt", stellte Bernd Michaels, Präsident des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. anhand der Ergebnisse der Branche, aufgelistet in der Broschüre "Assekuranz 1995 - Zahlen, Daten, Fakten", im September 1996 fest. Doch nicht alle Anbieter schafften es, 1995 schwarze Zahlen zu schreiben. Andererseits schätzen Insider, daß die Deutschen zirka 30 Milliarden Mark zuviel an die Versicherungen bezahlen, weil sie nicht informiert sind, weil sie die Risiken falsch einschätzen, weil sie nicht abwägen, ob das Gefahrenpotential tatsächlich hoch ist. Ein Unternehmer, der zwar eine Datenträger-, aber keine Software-Versicherung abschließt, bekommt keinen Pfennig, wenn das System oder Teile davon aufgrund eines Bedienungsfehlers, eines Stromausfalls etc. gelöscht wurden und sämtliche Daten neu eingegeben werden müssen. Daß aber seine Datenträger gestohlen oder zerstört werden, dürfte höchst unwahrscheinlich sein. Das heißt, der Versicherungsfall wird vermutlich nie eintreten den Versicherer freut´s.

Ob Privatier oder Unternehmer, jeder wird konfrontiert mit Papier - bunt, hochglänzend, seitenlang. Der Vertreter, der das Vertrauen des Kunden gewinnt, macht auch den Abschluß. Daran wird sich so bald nichts ändern, ist er doch heute mit dem Laptop unterwegs. Entweder hat er sämtliche Angebote seines Arbeitgebers gespeichert, oder er ruft sie mittels Handy und Modem von seiner Gesellschaft ab und lädt sie sich auf den Laptop. Vorbei die Zeiten, in denen er nach dem Telefon des Kunden griff. Heute sendet er die Kundendaten vor Ort aus seinem Laptop heraus an den Versicherer.

Der Makler hat vor Ort beim Kunden ein Problem: Er ist nicht online mit der Gesellschaft XY verbunden, denn er will ja gerade die Vielfalt demonstrieren. Hier bietet sich das Internet als Hard- und Software-unabhängige Plattform an.

Ob Windows, OS/2 oder Mac - die jeweils aktuellen Tarife werden geladen, die Kundendaten werden online an die Gesellschaft gegeben. Praktisch ist das alles möglich - doch sind die Versicherer darauf vorbereitet? Dazu weiter unten.

Die klassischen Formen der Kundengewinnung und -bindung herrschen in der Versicherungsbranche immer noch vor: Mailings und Couponanzeigen. Über einen Vertreter oder Makler wird der Kunde persönlich angesprochen. Doch der hat kaum eine Chance, das Gewirr der Tarife zu entschlüsseln. Da behauptet nun beispielsweise eine Firma namens "Concret" in einem TV-Werbespot mit eingeblendeter Telefonnummer, man bekäme dort "kostenlos, unabhängig, verbaucherorientiert" einen Vergleich aus zirka 900 Tarifen. Das suggeriert Marktübersicht. Die Realität sieht anders aus: Der Anrufer wird registriert, seine Adresse an einen selbständigen Makler verkauft. Der wiederum bietet dem Interessenten nicht etwa 900 verschiedene Versionen an, sondern verkauft die Versicherung, bei der er die höchste Provision erzielt. Da es keine einheitlichen Kriterien für Versicherungen gibt, die Versicherer das jeweilige Risiko unterschiedlich bewerten, ist ein echter Vergleich zwischen beispielsweise zwei Lebensversicherungen nicht möglich.

Auch die Hannoversche Lebensversicherung a.G., Marktführer bei den Direktversicherern und daher prädestiniert für die "direkte" Ansprache, versuchte DRTV (Direct Response Televi- sion), um neue Kunden zu gewinnen. Allerdings lautet ihr Weg in Hinblick auf TV heute "Teleberatung". Stark beachtet führte sie den multimedialen Weg mit Text, Bild, Ton und Video auf der CeBIT Home ´96 bei "Chancen 2000" vor. Der Interessent ruft die Videotextseite des Versicherers auf und bei der Gesellschaft an. Das Telefongespräch wird optisch auf dem Fernseher unterstützt. Zahlen, Kurven, Grafiken zu den vom Fragenden genannten Daten erscheinen prompt. Einer der Vorteile: Erst dann, wenn der Anrufer ein schriftliches Angebot möchte, wird er nach Namen und Adresse gefragt. Eckart von Uckermann, Vorstandsvorsitzender der Hannoverschen Leben, sieht hier Vorteile aufgrund der "Verbreitung und Vertrautheit" des Mediums Fernseher. Der größte Nachteil des TV: "Der Zuschauer ist noch nicht auf aktives Verhalten eingestellt." Daher bevorzugt er den Marketing-Mix: klassische Werbung plus TV plus, seit dem 1. April dieses Jahres das Internet.

Wie findet man Versicherungen im Internet? Die Suchmaschine "Altavista" bietet über 9000 Verweise, "Excite" über 6000, "Magellan" führt das Stichwort "Versicherung" über 500mal, "Jahoo" 39mal und "Lycos" schließlich nur noch 6mal. Eine ausgezeichnete Fundstelle ist die Universität Gießen. Die Professur für Risiko-Management und Versicherungswirtschaft hat eine ohne jeden Schnickschnack klar gegliederte Homepage. Die vom alphabetischen Index zu den Online-Versicherern führenden Links sind nach unseren Recherchen wirklich vollständig. But nobody is perfect: Klickt man auf der Homepage das Stichwort "Banken" an, erhält man eine Liste der "Versicherungsmakler Online". Die Fachhochschule Köln bietet ähnliches wie Gießen Anfang November fehlte jedoch zum Beispiel unter "A" der Link zur Agrippina Versicherung.

Auch etwas über Versicherungsrecht

Ein Dritter im Bunde ist die AMC, deren Ziel unter anderem darin besteht, die Versicherer in puncto Marketing an einen Tisch zu bringen. Unter www.versicherungen.de - man achte auf den Plural, denn zum Beispiel hinter www.versonline.de verbirgt sich ein Makler - führen die Links daher nur zu den Online-Mitgliedern dieser Gesellschaft. Dafür bietet AMC aber Hintergrundwissen zur Problematik der Versicherung per se - übersichtlich aufbereitet und leicht verständlich auch für den, der etwas über Versicherungsrecht etc. wissen will. Die Zielgruppen sind neben dem Endverbraucher vor allem auch die Mitarbeiter von Versicherungsunternehmen.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse über Internet und klassische Werbung sieht auf den ersten Blick für den Anbieter von letzterem hervorragend aus. Über eine Million Menschen können im Vergleich zu klassischen Werbeformen für erheblich geringere Summen erreicht werden. Theoretisch - doch wie sieht die Praxis aus?

Wer meint, eine Versicherung sei erst einmal eine Firma, die Risiken absichert, stellt online höchst erstaunt fest, daß sie im Internet nicht unbedingt das bietet, was der Kunde erwartet, nämlich Informationen zu dem, was sie versichert. Die Allianz, der Branchenriese, rühmt sich, den Online-Vorreiter gespielt zu haben. Bereits zu Beginn der 80er Jahre machte sie über Btx den Kunden mit Angeboten bekannt - aber nicht etwa mit ihrem Leistungsspektrum. Vorrangiges Ziel war und ist es noch heute, sich als Arbeitgeber zu präsentieren. Seit Oktober 1995 ist die Allianz auch im Internet. Doch hier muß der Frager die erste Hürde überwinden. Loggt man sich beispielsweise über den Compuserve-Browser "Mosaic" ein, wird man aufgefordert, erst einmal den Browser von Netscape oder Microsoft herun- terzuladen. Die Kunst, eine Seite so zu gestalten, daß sie über jeden Browser ansprechend wirkt, beherrscht noch längst nicht jeder Designer. Ist man auf der Home- page, erscheinen fünf Informa- tionsfelder - man klickt weiter und weiter und weiter. Schlußendlich weiß der Azubi oder der Student, daß man bei der Allianz arbeiten kann - welche Stelle aber gerade frei ist, erfährt er online nicht. Im Frühjahr 1997 soll alles anders werden - dann will die Allianz nicht nur konkrete Jobs anbieten, sondern auch das, was ihr eigentliches Geschäft ist. Einige Vertreter der Allianz sind pfiffiger - sie treten inzwischen mit ihrer eigenen Homepage an, zu finden über die Homepage der Uni Gießen unter "Versicherungsvertreter Online".

Auch beim Gerling-Konzern findet man einen Job, zum Glück sind hier die freien Stellen vom DV-Fachmann bis zum Volljuristen genau definiert. Außerdem können zu sämtlichen Versicherungssparten, die der Konzern anbietet - Glas, Hausrat, Kfz, Leben etc. - Angebote abgerufen werden. Sicherlich ließen sich bei Gerling einige Seiten sparen, indem statt der großzügigen Aufmachung einer Seite von vornherein mehr Querverweise pro Seite geboten würden.

Kontaktpotential nicht mediengerecht genutzt

Blättert man durch die Seiten von der Agrippina bis zur Züricher, so fällt auf, daß kaum ein Anbieter das Kontaktpotential von mehr als einer Million Menschen mediengerecht nutzt. Der Anwender will nicht wie zum Beispiel bei der Signal durch viele Türen gehen, um am Ende nur eines zu können - einen Prospekt bestellen, sondern er will effektive Information in kürzester Zeit auf knappstem Raum. Das erkannte zum Beispiel die Barmenia, die kürzlich mit nur einer Testseite ans Netz ging. Damit will Marketing-Leiter Jürgen Brebach herausfinden, "was das für Leute sind, die da klicken, denn ich kann nur kundenorientiert arbeiten, wenn ich den Kunden kenne". Langfristig sieht er das Internet als eine Chance, daß sich "die alte Vertriebsschiene (Vertreter und Makler) und das junge Medium gegenseitig befruchten". Erste Konsequenzen: "Viele Anfragen kommen außerhalb der Geschäftszeiten, unser Kundenservice darf nicht mehr um 18 Uhr enden."

Viel zu sparsamer Umgang mit Links

Auf der Münchner Systems ´96 trat Ende Oktober die Agrippina mit dem TÜV zusammen an unter dem Slogan "Der TÜV sichert, die Agrippina versichert". Für Erich Knörnschild, Koordinator bei der TÜV Product Service GmbH in München, ist das Geschäftsfeld höchst zukunftsträchtig, da schon durch "geringfügige Mängel erhebliche Folgeschäden" auftreten können. Fällt die DV-Anlage eines Kühlhauses aus, fehlt nicht nur ein Sonntagsbraten - der Schaden kann existenzbedrohend sein. Wohl dem Hersteller, der sich abgesichert hat. Der TÜV zertifiziert DV-Produkte, Systeme, Fertigung etc. Ein Statement der Agrippina verweigerte uns Frank Sacher, Generalvertreter dieser Versicherung in München, der zwar meint, daß dies "die einzige Versicherung ist, die so etwas für Softwarefirmen anbietet" und überzeugt ist, daß er "einen neuen Vertriebsweg" hat, doch "was bringt mir das in der PR?" Nur: Wie soll es die DV-Branche erfahren, wenn wir nicht berichten? Im Internet-Angebot der Agrippina finden wir keinen Hinweis auf das neue TÜV-Agrippina-DV-Paket.

Das Defizit der Branche in puncto Internet will die Münchner Innosoft GmbH beheben. Spezialisiert auf den Finanzdienstleistungsbereich, bietet sie Software abgestimmt auf den Versicherer und seine Inhalte. Ulrich Hartmann, Geschäftsführer der Innosoft, bezeichnet sich als "Technik-Consulter". Eines der größten Mankos sieht er im "Spartendenken" der Branche. Hat der Kunde zum Beispiel einen Autounfall und meldet dies via Internet an den Versicherer einschließlich einer Zeichnung etc., was man zum Beispiel bei Gerling kann, so müßten die Links des Kfz-Versicherers auch auf die Seiten der Krankenversicherer, örtlichen Ärzte, Mietwagenfirmen, Werkstätten etc. führen. Aus der Unbeweglichkeit der hiesigen Branche zog Hartmann die Konsequenzen und gründete die Tochter "Finansys" in New York. Mit seinen Zielgruppenpaketen verzeichnet er erste Erfolge. Die Branche bietet Webseiten, die ihresgleichen in Europa suchen. Die Branche kommt langsam in Fluß. Nicht derjenige, der das billigste Angebot hat, wird die Schlacht um den Kunden gewinnen, sondern der, der das Potential der neuen Medien umsetzt in Form von kundenorientierten Web-Seiten: Das Investment in den Menschen am Ende der Info-Autobahn wird notwendiger denn je.

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Die Bekenntnisse zu Electronic Commerce und Marketing sind Legion, die Beispiele zählen hierzulande nach Hunderten, vielleicht Tausenden, doch Qualität muß man immer noch mit der Lupe suchen. Ein Trend indes zeigt sich für die neuen Werbe- und Verkaufs-Tools: Sie sollten eingebunden sein in herkömmliche Konzepte. Dort sind sie zur Zeit wohl noch am sinnvollsten aufgehoben und können ihre wahren Stärken zielgruppengenau ausspielen.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.