Marketing-Genie Gates ist nicht unfehlbar

15.12.1995

Christoph Witte

Wenn du den Feind nicht schlagen kannst, verbruedere dich mit ihm! Nach dieser Devise scheint Microsoft seit der vergangenen Woche in Sachen Internet vorzugehen. Die Lizenznahme von Suns Internet- Sprache "Java" sowie das Cross-Licencing-Abkommen mit Oracle und Spyglass (siehe Seite 1) zeugen von der Einsicht des Softwaregiganten, die Bedeutung des Internet- und World-Wide-Web- Marktes unterschaetzt zu haben.

Bill Gates setzte zunaechst auf Online-Dienste. Mit der breitangelegten Werbekampagne fuer Windows 95 wurde gleichzeitig das Microsoft Network (MSN) propagiert. Eine in das Windows- Upgrade integrierte Zugangssoftware sollte den problemlosen Anschluss an Microsofts eigenen Online-Dienst gewaehrleisten, dem der Anbieter groessere Chancen einraeumte als dem World-Wide-Web- Service des Internet. Gates sah das WWW offenbar lediglich als weitere Moeglichkeit der Informationsverteilung und elektronischen Softwaredistribution. Sein Potential als offene Entwicklungsplattform, die seinem Unternehmen langfristig schaden kann, erkannte er noch nicht.

Wie anders ist es zu erklaeren, dass Microsoft sich nicht scheute, mit "Blackbird" neben die als De-facto-Standard akzeptierte Hypertext Markup Language (HTML) eine propriertaere Seitenbeschreibungssprache zu stellen und sie fuer die Programmierung von MSN-Inhalten zur Bedingung zu machen? Aehnliche Fehler leistete sich das Unternehmen, indem es seine Desktop- Werkzeuge, die Objekttechnik OLE und die Programmiersprache "Visual Basic" auch in Netzumgebungen zum Nonplusultra erklaerte. Um die objektorientierte WWW-Sprache Java sowie um die Browser von Netscape und Spyglass kuemmerten sich die Redmonder nicht.

In den wenigen Monaten, seit Betaversionen von Java allen interessierten Entwicklern via Internet kostenlos zur Verfuegung stehen, hat sich die Situation fuer Microsoft dramatisch veraendert. Waren die Versuche von Anwenderunternehmen, fuer die firmeninterne Kommunikation und Software-Entwicklung auf WWW-Technologien zu setzen, bisher eher zoegerlich, bietet Java nun die Moeglichkeit, objektorientierte Mini-Applikationen im Netz zu verteilen.

Damit zeichnet sich ein Wandel von aehnlicher Dimension ab, wie ihn die Einfuehrung des PCs vor knapp 15 Jahren ausloeste. Damals wurde das Ende der monolithischen Mainframe-Aera eingelaeutet. Mit Java, WWW, HTML und Browsern stehen heute Technologien bereit, die proprietaere Desktop-Betriebssysteme und darauf basierende, funktional ueberladene Applikationen in Frage stellen. Damit aber verdient Microsoft sein Geld. Die Bedeutung des Internet erkannte die Konkurrenz schneller als die Gates-Company. Alles, was in der DV-Branche Rang und Namen hat, verfuegt inzwischen ueber eine Java- Lizenz. Erst jetzt versucht Bill Gates mit den diversen Internet- Ankuendigungen, Versaeumtes nachzuholen. Ob es ihm mit seiner neuen Verbruederungsstrategie allerdings gelingt, Microsoft wieder an die Spitze der Bewegung zu setzen, ist fraglich. Das Rennen scheint wieder offener.