Manipulationen der Wikipedia im großen Stil?

16.08.2007
Ein Analysewerkzeug will belegen, dass Mitarbeiter aus US-Konzernen, staatliche Organe, Politiker, Medien, Kirchen und Sekten massiv auf die Inhalte der Web-Enzyklopädie Einfluss nehmen.

Die seit längerem laufende Debatte über die fachliche Korrektheit und Unabhängigkeit der Wikipedia hat eine dramatische Wendung genommen. So zumindest lesen sich die seit Wochenbeginn in Blogs und Medien kursierenden Kommentare zum Data-Mining-Tool "Wikiscanner". Dieses wurde von dem Bastler Virgil Griffith entwickelt und ermöglicht eine detaillierte Analyse und Zuordnung von IP-Adressen von Einträgen der Wikipedia. Laut der Internet-Publikation "Wired" sei man bei Auswertungen von über 34 Millionen Einträgen in der englischsprachigen Ausgabe auf zahlreiche Änderungen, Manipulationen oder Löschungen gestoßen, hinter denen ein politisches oder wirtschaftliches Interesse zu vermuten ist. Eine detaillierte Übersicht gibt ein hierfür eingerichteter Blog, in dem Leser die aus ihrer Sicht beschämendsten Änderungen in Wikipedia benennen können.

So wurden beispielsweise von einem Mitarbeiter beim US-Hersteller Diebold Passagen gelöscht, in denen Sicherheitsexperten detailliert aufzeigen, welche technischen Probleme die im US-Wahlkampf 2005 von Diebold gelieferten Wahlmaschinen besaßen. Ebenso wurden Einträge über Spendengelder für den Wahlkampf der Republikaner entfernt. Von Mitarbeitern des Handelsriesen Wal-Mart wurden Angaben über angeblich unter dem Markt liegenden Mitarbeitergehälter sowie bezüglich der Outsourcing-Pläne des Konzerns gelöscht. Beispiele aus der Industrie liefern Microsoft, das laut Wired-Blog technische Probleme der Xbox 360 kaschieren wollte, Myspace, Dell, Nestle, AstraZeneca, Exxon, Apple, ChevronTexaco, SCO und Viacom. Hinzu kommen politisch-ideologisch motivierte Manipulationen beispielsweise vom Nachrichtensender Fox, der Sekte Scientology, einem Mitarbeiter des Nachrichtensenders Al-Jazeera, der die Gründung Israels mit dem Holocaust gleichsetzt, oder bezüglich des wegen Missbrauchs Jugendlicher angeklagten katholischen Bischofs von Los Angeles Charles Bennison.

Trotz dieser Fälle massiver Manipulation warnen manche Web-Akteure davon, hinter jedem Wikipedia-Eintrag Verrat zu vermuten. So beschwichtigt beispielsweise BBC-Mitarbeiterin Kim Plowright, dass oft anhand der IP-Adresse gar nicht nachzuweisen sei, dass es die PR-Abteilung eines Konzerns war, die da Inhalte verändern wollte. Vielmehr könne es auch irgendein gelangweilter Praktikant gewesen sein. Hierzulande sehen Blogger wie Infokrieg die Glaubwürdigkeit von Wikipedia an einem Tiefpunkt angekommen. (as)