"Manager muessen sich mit Multimedia beschaeftigen" Outsourcing von Standardfunktionen macht Sinn

22.07.1994

Outsourcing ist nicht billig, kann das Betriebsklima verderben und ist zudem riskant, wenn etwa der Dienstleister unzuverlaessig, in finanziellen Noeten oder technisch nicht up to date ist. Trotz dieser Einwaende macht die Auslagerung von DV-Funktionen unter Umstaenden Sinn - dann naemlich, wenn es um Bereiche geht, die die Wertschoepfungsprozesse eines Unternehmens gar nicht oder nur marginal beruehren. Mit Outsourcing-Spezialist Uwe Sellmer sprach CW-Redakteur Heinrich Vaske.

CW: Als ehemaliger DV-Leiter der Eisenwerke Bruehl haben Sie ein Outsourcing-Projekt mit dem Rheinischen Genossenschafts-RZ durchgefuehrt. Ging es dabei ausschliesslich um Standardsoftware?

Sellmer: Ja. Wir haben bei den Eisenwerken von Individual- auf SAP-Standardsoftware umgestellt und uns gleichzeitig fuer deren Auslagerung entschieden.

CW: Welchen Vorteil hat SAP-Outsourcing?

Sellmer: Gegenfrage: Welchen Sinn hat es, Standardsoftware auf eigenen Rechnern laufen zu lassen? Entscheidend ist allein die Frage der Wirtschaftlichkeit. Der Einsatz komplexer Standardsoftware rechnet sich auf groesseren Anlagen einfach besser. Diesen Kostenvorteil gibt der Dienstleister teilweise an den Kunden weiter. Bei den Eisenwerken wurde der grosse Brocken Standardsoftware ausgelagert, um Ressourcen freizubekommen, die fuer Wichtigeres gebraucht wurden. Wir wollten eine moderne DV- und Organisationsinfrastruktur aufbauen, die in den naechsten Jahren nicht grundsaetzlich geaendert werden muss. Die Vernetzung stand dabei im Vordergrund.

CW: Gibt es Argumente dafuer, eine SAP-Finanzbuchhaltungssoftware im eigenen Haus zu betreiben?

Sellmer: Meines Erachtens nicht. Es sei denn, Sie haben den Host dastehen, werden ihn nicht los und muessen ihn auslasten. Da mag es Ausnahmesituationen geben.

CW: Ist die Datenverarbeitung bei den Eisenwerken durch Outsourcing billiger geworden?

Sellmer: Nein. Die Kosten des DV-Betriebs sind sogar deutlich gestiegen. Dieser Effekt ist haeufig zu beobachten, etwa auch bei den Mannheimer Motorenwerken. Wichtiger war uns aber letztlich die bessere Gesamtleistung, nicht so sehr der Spareffekt.

CW: Kosten sollen beim Outsourcing auch durch die Reduzierung von DV-Personal gedrueckt werden. Stimmt diese Rechnung?

Sellmer: Das mit den Personaluebernahmen durch den Dienstleister ist ein heisses Thema. Die Rechnung mit der Komplettuebernahme kann nur dann aufgehen, wenn der Outsourcing-Anbieter ein immenses Wachstum verzeichnet oder wenn er nur von einigen wenigen Kunden das Personal weiterbeschaeftigt.

CW: In der Regel ist es doch so, dass ein Teil der Mitarbeiter von alleine geht, nachdem die Outsourcing-Vertraege unterschrieben sind. Der Rest wechselt zwar zum Dienstleister, der aber nach ein bis zwei Jahren mit dem Personalabbau beginnt.

Sellmer: Die Faelle sind zu individuell, um hier von eingefahrenen Regeln zu reden. Es gibt Loesungen, die allen Beteiligten dienen. Etwa wenn der Anbieter alle Leute uebernimmt und die Kosten durch eine bessere Auslastung des Rechenzentrums wieder hereinholt.

CW: Funktioniert die Kommunikation zwischen den Fachabteilungen und einem externen Serviceanbieter ebensogut wie die mit der internen DV?

Sellmer: Teilweise. Auf eigene Leute koennen Sie immer ueber den kleinen Dienstweg zugreifen. Das sollte im Sinne von Lean- Management positiv zu nutzen sein, hat sich aber in der Vergangenheit oft negativ ausgewirkt. Auf diese Weise ist unsauber gearbeitet worden. Zwar liessen sich manche Prozesse beschleunigen, aber letztlich wurden definierte Betriebsstrukturen gefaehrdet.

CW: Was ist das Gegenteil vom kleinen Dienstweg?

Sellmer: Strenggenommen sind das Projektorganisationen mit Phasenmodellen etc. beziehungsweise saubere Vertraege mit externen oder internen Dienstleistern, die den Leistungsumfang festlegen. Ganz wichtig fuer beide Seiten ist es, klare Spezifikationen auszuarbeiten. Daran sollte sich eigentlich auch die innerbetriebliche DV halten, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Kommunikation gerne verwaessert. Gerade weil ein Externer eigene Geschaeftsinteressen hat, wird er seinen Kunden fordern - und das ist hilfreich. Der Kunde wird sich so praezise ausdruecken muessen, dass das gemeinsame Ziel erreicht wird.

CW: Wie reagieren die beim Kunden verbleibenden Mitarbeiter auf die Outsourcing-Entscheidung ihres Broetchengebers?

Sellmer: Mit Abwehr. Auch die eingebundenen Fachabteilungen wehren sich. Das ist verstaendlich, denn in der Uebergabephase werden viele Missstaende sichtbar, die vorher niemandem auffielen - das ist ja auch einer der Gruende, warum man auslagert. Jemand, der nicht in der Unternehmenshierarchie steckt, stellt unangenehme Fragen. Dadurch zeigen sich nicht nur Kostenherde, sondern auch fehlerhafte Ablaeufe. Diese Erkenntnisse werden dann in der Planungsphase auch noch dokumentiert.

CW: Folgt man Ihren Gedanken, so kommt man zu der Erkenntnis, dass bessere Controlling- und Management-Leistungen ebenso wirkungsvoll sein koennen wie die Auslagerung selbst.

Sellmer: Da ist was dran. Oft lassen sich wesentliche Effekte erzielen, indem Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen Outsourcing moeglich ist. Manchmal ist dann die Auslagerung selbst gar nicht mehr noetig.

CW: Muss ein Unternehmen diese Bestandsaufnahme immer in eigener Regie machen?

Sellmer: Ja. Es ist illusorisch, einen Vertrag zu unterschreiben, sich zurueckzulehnen und die anderen machen zu lassen. Hier geht es um einen Teil des Betriebsablaufs, den man anderen ueberlaesst. Wie in anderen Geschaeften sind die Lieferanten in die wirtschaftlichen Ablaeufe einzubeziehen.

CW: Das bedeutet gleichzeitig, dass sich Dienstleister in Kernkompetenzen ihres Kunden einmischen. Halten Sie das fuer richtig?

Sellmer: In beschraenktem Masse schon. Der Lieferant sollte den Kunden darauf hinweisen, wo er ineffizient arbeitet. Ein guter Dienstleister teilt dem Kunden mit: "Dort und dort liegen Verbesserungspotentiale, die du unbedingt nutzen solltest."

CW: Erkennen die Manager nicht selbst, wo der DV-Einsatz unternehmenswichtig ist, weil er zum Wertschoepfungsprozess beitraegt?

Sellmer: Zuwenig. Oft ist ja nicht einmal bekannt, welche Prozesse im Unternehmen wirklich wertschoepfend sind. Informationstechnik wird in den Vorstandsetagen als nur operativ notwendig gesehen, als Verwaltungsinstrument eben. Mit Wertschoepfung wird sie nicht in Verbindung gebracht. Noch immer herrscht das Automationsdenken vor; mit Hilfe des DV-Einsatzes sollen ein paar Sekunden gespart werden. Dass etwa im Vertrieb durch den richtigen IT-Einsatz Quantenspruenge moeglich sind, wird bisher selten gesehen.

CW: Kann man denn den Vertrieb, um beim Beispiel zu bleiben, einfach von anderen Bereichen loesen?

Sellmer: Nein. Eine DV-Gesamtstrategie ist noetig, und sie sollte in jedem Fall - trotz Outsourcing - im Unternehmen bleiben. Man muss wissen, was man im IT-Bereich tut und warum. Dazu aber muss der Unternehmer erkennen, woher er seine Wertschoepfung bezieht und welche Instrumente er dafuer braucht. Bei jedem Projekt, auch bei der Einfuehrung von Standardsoftware, ist die Frage entscheidend: Wie passt das ins Gesamtkonzept?

CW: Das heisst, dass sich ein Unternehmer heute mit einem Thema wie Multimedia zu beschaeftigen hat...

Sellmer: Genau, die Frage ist nur, wie! Er muss die Einflussgroessen, die sein Kerngeschaeft betreffen, kennen. Jede innovative Technik - und Multimedia wird die Wirtschaft veraendern - muss beobachtet werden. Da werden Maerkte massiv beeinflusst.

CW: Wer bringt die innovative Technik heute in die Unternehmen hinein? Die DV-Leiter?

Sellmer: Die Ideen kommen sehr haeufig aus den Fachabteilungen. Sie werden durch diverse Publikationen und Informationsquellen gestreut und sind greifbar. Schwierig wird es, wenn die Entscheidung fallen muss. Das Management muss in der Lage sein, zukunftsweisende Ideen von anderen zu unterscheiden. Das setzt Sachkenntnis voraus. Das Verstaendnis fuer neue Technologien und den Zeitpunkt des richtigen Einsatzes wird immer wichtiger.

CW: Ist das Ende der Golfplatz-Entscheidungen im DV-Markt gekommen?

Sellmer: Das ist anzunehmen. Durch PC-Technologie artikulieren sich viele Ideen auf der Sachbearbeiterebene. Heute liegen sie noch ungenutzt herum, und das fuehrt zu Frustration. Die Vorschlags- und Empfehlungswege sind zu lang, gute Ideen setzen sich nicht durch, bleiben haengen. Manchmal setzen sie sich in untergeordneten Entscheidungsbereichen inselartig durch - auch das ist kontraproduktiv. Das liegt daran, dass die koordinierenden Stellen mit dem neuen Ungleichgewicht, das durch die PC-Revolution entstanden ist, nicht fertig werden. Die Koordinierenden muessen Vorschlaege, die sie selbst noch nicht durchdacht haben, objektiv bewerten, und das faellt ihnen schwer.

CW: Sie fordern eine neue Form des DV-Managements?

Sellmer: Ja. Die DV-Verantwortlichen muessen sich genauer ueberlegen, wie lange sie an ihrem IT-Status festhalten koennen. Wenn sie sich zu spaet bewegen - siehe Grossrechnerwelt -, zieht die Entwicklung an ihnen vorbei. Die Entscheider muessen den Punkt des Einlenkens finden.

CW: Die Crux beim Outsourcing ist die Vertragsgestaltung. Es gibt einige Unternehmen, die sich heute sofort wieder von ihrem Dienstleister trennen wuerden - wenn Sie koennten!

Sellmer: Man hat niemals die Chance, einen voellig wasserdichten Vertrag abzuschliessen. In der Regel entsteht ein aeusserst komplexes Vertragswerk, in dem sich - juristisch einwandfrei formuliert - eine Reihe technischer Details findet. Ein gutes Beispiel ist etwa die garantierte Bildschirm-Verfuegbarkeit: In Wirklichkeit hat sie der Dienstleister genausowenig im Griff wie der Kunde - beide sind von der Netzverfuegbarkeit abhaengig, die in der Regel die Telekom zu verantworten hat. Auf Antwortzeiten ist kein Serviceanbieter festzunageln. Ich weiss von Faellen, wo die Antwortzeiten wirklich katastrophal sind. Wichtig ist, sich stets ein Tuerchen offenzuhalten, um Leistungen bei Bedarf nachzubessern.

CW: Ein Tuerchen reicht wohl nicht, wenn man sich zum Beispiel Vertraege ansieht, die ein Outsourcing ueber lange Zeitraeume, etwa zehn Jahre, zum Inhalt haben. Wie laesst sich garantieren, dass die Kunden bei derartigen Abmachungen auch an kuenftigen Technikinnovationen teilhaben?

Sellmer: Ich wuerde keinen starren Vertrag ueber einen solchen Zeitraum abschliessen. Ansonsten ist natuerlich festzulegen, wie und in welchem Umfang technische Innovationen zu nutzen sind.

CW: Ist das nicht unrealistisch?

Sellmer: Man sollte grundsaetzlich keinen Vertrag ohne Ausstiegsklauseln unterzeichnen. Ein denkbarer Weg waere es auch, aus einem Vertrag auszusteigen und sofort darauf einen neuen mit demselben Anbieter zu schliessen - wenn der mitzieht. Wer auf Innovationsfreudigkeit setzt, sollte sich seinen Partner besonders genau ansehen und auf erfahrene, groessere Anbieter setzen.

Outsourcing als Teilstrategie

Uwe Sellmer blickt auf eine langjaehrige Praxis als DV-Leiter in verschiedenen Unternehmen zurueck. Er hatte unter anderem den Aufbau von Firmenrechenzentren und Netzloesungen, die Einfuehrung von SAP-Standardsoftware sowie ein Outsourcing-Projekt zu verantworten. Unter seiner Leitung wurde bei den Eisenwerken Bruehl GmbH, Europas groesstem Hersteller fuer Motorenguss, ein DV- Rahmenkonzept entwickelt, das auf einer Kombination von Downsizing-Massnahmen, dem Einsatz offener Systeme und der Auslagerung betriebswirtschaftlicher Funktionen (SAP-Outsourcing) basiert. Inzwischen ist Sellmer selbstaendiger Berater fuer DV- Strategien und Projekt-Management in Bonn.