Management-Buyout statt massenhafter Entlassungen Spinoffs unter eigener Flagge koennten Arbeitsplaetze bewahren Von Jens Laub*

08.04.1994

Firmengruendungen sind in der DV-Branche nichts Aussergewoehnliches. Software-Entwickler oder kuenftige Anbieter von Beratungsleistungen loesen sich von ihren Unternehmen und machen sich selbstaendig. Noch nicht sehr weit verbreitet ist die strukturierte Ausgliederung ganzer Firmenbereiche oder Abteilungen ueber sogenannte Spinoffs oder Management-Buyouts (MBO).

Die DV-Industrie ist, zumindest was ihre Grosskonzerne anbelangt, in eine Wachstumskrise geraten. Die Branchenriesen muessen gewaltig abspecken, um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren. In eiliger Betriebsamkeit werden als Zukunftsstrategien Zauberwoerter aus dem Zylinder der Management-Lehre gezogen, um Aufbruchsstimmung zu signalisieren. Begriffe wie Outsourcing, Re- Engineering, Leanmanagement und Back to Core Business sind in die Vorstandsetagen vorgedrungen.

Leztlich geht es bei allen Ansaetzen darum, konstruktive Alternativen zu Massenentlassungen aufzuzeigen und durch eine Neustrukturierung der Konzerne wieder zu unternehmerischem Leistungsvermoegen zurueckzukehren. Die Implementierung der Ideen in den weitverzweigten Organisationsnetzwerken der Software-, Hardware- und Kommunikationsriesen erweist sich meist als schwieriger. Die Management-Berater und Bestseller-Autoren Robert Peters und Thomas Waterman beschreiben die Situation vieler Grosskonzerne treffend damit, dass "die trostloseste Facette im Bild der Grossunternehmen von heute darin liegt, verloren zu haben, was sie einmal gross gemacht hat: ihre Innovationskraft".

Teilweise verkrustete und mechanistische Entscheidungsstrukturen sowie Bereichsegoismen mit einer staendig wachsenden Zahl innerbetrieblicher Schnittstellen ersticken bei grossen Betrieben innovatives und vor allem unternehmerisches Denken im Keim. Selbst die Belegschaftsvertreter bei SNI betrachten mangelndes Unternehmertum als ein Kernproblem des Siemens- Verwaltungsapparates, der 33000 Arbeitnehmer fasst.

In ungemuetlichen Situationen kommen aber meist noch massive Fuehrungsprobleme hinzu. So sehen Krisenexperten wie der Schweizer Management-Gelehrte Frederic Malik die meisten deutschen Fuehrungskraefte als Schoenwetterkapitaene, die bei einem konjunkturellen Sturmtief wenig ueber Loesungsmoeglichkeiten nachdenken, sondern gleich SOS funken und im Notfall einen Grossteil der Besatzung von Bord schicken. Es ist jedoch strittig, ob sich eine erfolgreiche Turn-around-Massnahme durch hartes Durchgreifen auszeichnet. Zu selten unternimmt man den Versuch, in schwierigen Zeiten zukunftsweisende Loesungen zu finden, die nicht nur in Massenentlassungen muenden.

Grosskonzerne muessen sich regelmaessig einer Entschlackungskur unterziehen, bei der vor allem organisatorischer und personeller Ballast abgeworfen wird. Fraglich ist aber, ob sich durch sozialvertraegliche Aufhebungsvertraege allein das vielbeschworene Unternehmertum zurueckgewinnen laesst. Autor Peters bringt das Problem auf einen Nenner und fordert einfach: "Split it of!"

Geht es nach den Kriterien der modernen Organisationstheorie, so soll also eine ehemals homogene Konzernstruktur moeglichst viele Beruehrungspunkte mit den Maerkten bilden. Der St. Gallener Professor Martin Hilb fordert deshalb auch, dass man in den Betrieben "von den Palaesten wegkommen muss, hin zu den Zelten". Die Implementierung solcher Zelte ist bisher nur wenigen Unternehmen wie Hewlett-Packard oder der Minnesota Mining and Manufacturing Company (3M) annaeherungsweise gelungen. Im freien Wettbewerb angebotene Dienstleistungen sind meist effizienter und zugleich kostenguenstiger als solche, die hausintern von festangestellten Mitarbeitern erbracht werden. Meist versteht man jedoch unter einer Verlagerung von Hierarchien nicht viel mehr als die altbekannte Profit-Center-Orientierung.

Gefordert ist aber eine unternehmerische Kultur, die ueber diesen Ansatz hinausgeht. Profit-Center fuehren kaum zu dem gewuenschten Verhalten, da sie aus Mitarbeitersicht nur Chancen, jedoch kaum Risiken implizieren - unternehmerisches Handeln wird aber massgeblich von den einzugehenden Risiken gepraegt. Selbst Mitarbeiter-Beteiligungsmodelle und flache Hierarchien koennen nicht viel an der Tatsache aendern, dass das persoenliche und finanzielle Risiko eines Angestellten maximal auf die Karriere beschraenkt bleibt.

Die blosse Ausgliederung im Rahmen des Lean-Anspruchs beispielsweise einer Research-Abteilung in eine Tochtergesellschaft ist auch nicht unbedingt die geeignete Loesung. Schlank wird ein Betrieb erst, wenn er sich der unternehmerischen Verantwortung in Teilbereichen vollstaendig entledigen kann.

Um dieses Ziel zu erreichen, bleibt als Alternative die Verselbstaendigung ganzer Firmenbereiche ueber sogenannte Spinoffs oder Management -Buyouts: Die Mitarbeiter muessen den grossen Kahn verlassen, um im Beiboot mit Einfallsreichtum, Durchsetzungsfaehigkeit und ueberdurchschnittlicher Einsatzbereitschaft den Widrigkeiten des Marktes zu trotzen.

Alle Denkschablonen sind fallenzulassen

Wer auf die Unternehmerseite wechselt, kann es sich nicht mehr erlauben, in alten Karrierekategorien zu denken. Er muss ein qualitatives und ertragsorientiertes Wachstum suchen, da er sich im Falle des Scheiterns nicht mehr in die Anonymitaet und das soziale Fangnetz eines Grossbetriebes fluechten kann.

Die Vorteile bei Ausgruendungen durch ehemalige Angestellte liegen auf der Hand:

-Imagegewinn nach aussen durch die Foerderung unternehmerischer Initiativen anstelle von Negativschlagzeilen ueber Personalabbau

-das Heranwachsen eigenstaendiger Komponenten- oder Dienstleistungszulieferer, die einerseits die internen Strukturen und Problemfelder des ehemaligen Mutterkonzerns kennen, andererseits nun gezwungen sind, Angebote wettbewerbsorientiert und nach Marktkriterien zu erstellen.

Groesstes Hindernis einer breiter angelegten Ausgruendungswelle stellt hier die von Professor Eberhard Hamer am Mittelstandsinstitut in Bonn beklagte "Unternehmerluecke" dar. DV- Konzerne waeren also gefordert, den Herauskauf von Firmenbereichen wie zum Beispiel der Werbe-, Marketing-, Controlling-, Marktforschungs- oder Weiterbildungs-Abteilung, aber auch ganzer Produktlinien mit entsprechenden Massnahmen zu unterstuetzen.

Moeglichkeiten hierfuer waeren:

-Veranstaltung von Spinoff- oder MBO-Seminaren beziehungsweise Ausschreibung unternehmensinterner Spinoff-Boersen;

-Bereitstellung von Beratungshilfen zur Existenzgruendung. Statt Millionenbetraege in moderne Formen der Arbeitsplatznachsorge ueber Outplacement-Beratung oder in kostenintensive Sozialplaene zu stecken, bieten sich konzerninterne Ausgruendungsberatungen an;

-Mitfinanzierung einer Ausgruendung durch direkte oder indirekte Beteiligungen, indem die Konzerne selber Venture-Capital-Fonds initiieren oder stuetzen, sowie

-Kooperationsangebote zur Uebernahme von Auftraegen, die den potentiellen Spinoff-Erfolg anfangs absichern. Die Alternative eines sanften Wechsels in die Selbstaendigkeit erweist sich immerhin als eine kreative und konstruktive Entschlackungskur, in der die DV-Branche eine Vorreiterrolle spielen koennte. NCR in Augsburg hat hier die Zeichen der Zeit erkannt. Nach ersten Erfahrungen mit einer projektbezogenen Ausgruendungshilfe schmiedet das Unternehmen derzeit Plaene, ein Beratungszentrum fuer ausscheidende Mitarbeiter zu installieren.

Das Herausloesen einer Abteilung aus einem Grosskonzern in Verbindung mit entsprechendem Anlagevermoegen, Patenten, Mitarbeitern etc. ist ein komplexer und aufwendiger Vorgang. Es sind Bewertungen, Business-Plaene, Finanzplaene und Machbarkeitsstudien zu erstellen, bevor der Startschuss fuer eine serioese und zukunftstraechtige Ausgliederung fallen kann. Auch die Kaufpreiskosten, die einzelne oder mehrere Fuehrungskraefte bei einem Spinoff begleichen muessten, sind nur ueber spezielle Finanzierungs- und Beteiligungsinstrumente, wie Mezzanine-Capital als Zwitterform zwischen Eigen- und Fremdkapital, zu realisieren. Die Fuehrungskraefte sind schliesslich in der Regel nur in der Lage, einen Bruchteil der Mittel fuer die Selbstaendigkeit aufzubringen. Der Rest muss ueber den in der Zukunft erwarteten Cash-flow in Verbindung mit einer Auswahl an zahllosen moeglichen Foerdermittelinstrumenten des Bundes und der Laender eingebracht werden.

In groesseren Konzernen, die sich von ganzen Unternehmensbereichen trennen wollen, ist aber auch der Verhandlungsspielraum fuer eine partnerschaftliche, sprich kostenguenstige Gestaltung des Herausloesungsprozesses guenstig. Belastungen wie alternativ anstehende Sozialplaene oder Abfindungen lassen sich verrechnen. Und der schon genannte Imagegewinn, den ein Konzern durch eine konstruktive und mittelstandsorientierte Aufloesung bestimmter Unternehmensbereiche erlangt, kann einiges wert sein.

Genug Venture-Kapital steht zur Verfuegung

Gerade fuer mittelgrosse Ausgruendungen in der DV-Branche mit zumeist hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern koennten in Zukunft grosse Spinoff-Potentiale entstehen. Laut Aussagen des Bundesverbandes der Kapitalbeteiligungsgesellschaften in Berlin (BVK), dem Verbandsorgan fuer 70 Kapitalbeteiligungsgesellschaften, steht genuegend Venture-Kapital fuer mittelgrosse Ausgruendungen zur Verfuegung. Immerhin flossen 1992 ueber 875 Millionen Mark in MBO- Finanzierungen, dabei wurden Beteiligungen in Hoehe von 270 Millionen Mark bei DV-verwandten Betrieben eingegangen.

Die Statistiken der Kapitalbeteiligungsgesellschaften zeigen eindeutig, dass sich bis zu acht von zehn Management-Buyouts zu erfolgreichen Wachstumsunternehmen entwickelt haben. Wenn Neugruendungen scheitern, geschieht das in jedem zweiten Fall in den ersten drei Jahren. Neugruender sind zwar oftmals hochqualifizierte Techniker oder wie es Norbert Szyperski, Professor fuer Gruendungsfragen, formuliert, "gehobene Bastler mit viel Engagement".

Engagement alleine ist nicht ausreichend

Ihnen fehlt aber vielfach das Verstaendnis fuer kaufmaennische Zusammenhaenge. Vor allem in Fragen des Marketing-Mix und des Vetriebs liegen oft Defizite vor. Diese Probleme lassen sich bei einem Spinoff durch bereichsuebergreifende Teamzusammensetzungen und umfangreiche Pruefungsverfahren der Kapitalgeber schon im Vorfeld abklaeren. Ausserdem verbindet sich bei einer Ausgruendung Branchenerfahrung mit konkreten Kundenbeziehungen. Meist kann das bisherige Mutterunternehmen auch als potentieller Abnehmer gewonnen werden.

Die Entwicklung von Spinoffs als Alternative zu anstehenden Entlassungen ist in der Hard- und Softwarebranche noch mehr zu propagieren. Die vernuenftige Umsetzung von Ausgruendungen verlangt zunaechst ein Umdenken bei den Verantwortlichen in den Konzernzentralen. Aber auch bei den Mitarbeitern bedarf es der Auseinandersetzung mit der Alternative einer unternehmerischen Selbstaendigkeit aus bestehenden Strukturen heraus.