McKinsey & Co. und die Angst vor Razorfish und Konsorten

Management-Berater entdecken das E-Business

17.12.1999
von Beate Kneuse* MÜNCHEN - Das IT-Beratungsgeschäft ist lukrativer denn je, doch nicht jedes Unternehmen kann von der Goldgräberstimmung profitieren. Gefragt ist tragfähiges Internet-Know-how - ein Geschäftsfeld, das die Etablierten der Branche an bis dato nicht gekannte Konkurrenz verlieren könnten.

In der Vergangenheit waren die Fronten geklärt. Noch bis Ende der 80er Jahre machte das IT-Management aus seiner Aversion gegenüber externen Beratern keinen Hehl. "Arrogant, teuer und letztlich wirkungslos", "Kommt mir nicht ins Haus", "Viel Geld ausgegeben für nichts" - so und ähnlich lauteten die abschätzigen Kommentare zu den Strategen von außen. Damals entfiel auf die Technologieberatung nur ein kleines Stück des Consulting-Kuchens. Man ging sich aus dem Weg und wußte (meistens) warum. Vielfach waren persönliche Eitelkeiten im Spiel, weil die IT-Spezialisten auf externe Berater verzichteten, um ihre "Sonderstellung" im Unternehmen nicht zu gefährden.

Oft stimmten aber auch prinzipielle Voraussetzungen nicht. "Viele IT-Abteilungen haben es lange nicht verstanden, die Berater richtig zu informieren. Die Consultants arbeiteten sehr isoliert, nur selten kam es zu einem Know-how-Transfer", konstatiert Andreas Pestinger, Research Director IT-Services bei der Meta Group Deutschland. "Die Berater hielten häufig nicht, was sie versprachen." Immer wieder sei es vorgekommen, daß statt dem vereinbarten Spitzenteam die zweite Garnitur geschickt worden sei, die nicht immer den Job gemacht hätte, den sie machen sollte.

Inzwischen sind die Aversionen gewichen, externes IT-Know-how ist für die Unternehmen unerläßlich geworden. Das bestätigt auch die erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie "Facts & Figures zum Beratermarkt 1999" des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater BDU e.V. Demnach war das IT-Consulting in diesem Jahr mit einem Anteil von 46 (1998: 42) Prozent am Gesamtvolumen des hiesigen Beratungsmarktes von 21,3 (18,8) Milliarden Mark die mit Abstand erfolgreichste Disziplin.

Auf sie folgen die Strategieberatung mit 26 (30) Prozent, Organisationsberatung mit 23 (19) und das Human Resource Management mit fünf (neun) Prozent.

Die abgelegte Scheu der Unternehmen vor den externen IT-Strategen hat viele Gründe. So haben viele große Konzerne längst interne Beratungsstäbe eingerichtet, die mit den Profis von außen anstehende IT-Projekte gemeinsam abwickeln, was für den Vorstand oft mehr Kontrolle und Transparenz mit sich bringt. Vor allem bei anstehenden Outsourcing-Projekten ist dieses Vorgehen üblich. Von weitaus größerer Tragweite sind jedoch Strukturveränderungen, die die gesamte Weltwirtschaft betreffen. Die Gründe hierfür sind hinlänglich bekannt: Internet und elektronischer Handel verändern interne Strukturen und Außenbeziehungen von Unternehmen massiv. Im Alleingang sind die damit verbundenen Aufgaben, die Strategie, Organisation und Informations-Management betreffen, kaum noch zu bewältigen.

IT-Beratung verspricht größere Rendite

Für Beratungskonzerne hat dieser Wandel einschneidende Konsequenzen. Waren die meisten in der Vergangenheit entweder als klassische Management- und Strategieberater - etwa McKinsey oder das deutsche Aushängeschild Roland Berger - oder als Technologie-Consultants wie Diebold aufgestellt, sind heute die Grenzen zwischen den Sparten durchlässiger geworden. Dabei sind es vor allem die großen Management-Beratungshäuser, deren Wurzeln meist in der traditionellen Wirtschaftsprüfung liegen, die mit Macht in das IT-Geschäft drängen. Für Kenner der Szene liegen die Motive auf der Hand: Trotz erfolgreicher Börsengänge und der damit verbundenen Popularität der AG als Rechtsform läßt sich offensichtlich mit Jahresabschlüssen nicht mehr so viel Geld wie früher verdienen, und auf dem Sektor der klassischen Management-Beratung wird das Gedränge immer größer. Was liegt also näher als der Versuch, den Erfolg verstärkt im umsatz- und renditeträchtigeren IT-Consulting zu suchen?

Vor dieserm Hintergrund erklären sich die seit Wochen kursierenden Spekulationen über ein Joint-venture der Steuer- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young mit Cap Gemini. Die Gerüchte werden zwar noch nicht offiziell kommentiert, aber unter der Hand gilt als sicher, daß die Verhandlungen zu einer wie auch immer gearteteten Zusammenarbeit führen werden. Neben Ernst & Young drückt auch andere Unternehmen unter den "Big Five", zu denen noch die Beratungshäuser Arthur Andersen, Pricewaterhouse-Coopers, KPMG und McKinsey zählen, in Sachen IT-Kompetenz der Schuh.

KPMG beispielsweise sucht nach Wegen, sein Beratungsportfolio auszudehnen und tiefer in die neuen Märkte vorzustoßen. Jüngster Schachzug der Gesellschaft ist ein geplantes Bündnis mit Netzprimus Cisco Systems. Beide Unternehmen vereinbarten im August, daß KPMG eine Beratungstochter für Internet-Projekte mit dem Namen KPMG Consulting aus der Taufe hebt, an der sich Cisco mit 19,9 Prozent beteiligt. Dieses Engagement wollen sich die Netzspezialisten gut eine Milliarde Dollar kosten lassen. Das Geld möchten die Wirtschaftsprüfer wiederum dazu verwenden, für die neue Tochter rund 4000 Internet-Spezialisten anzuheuern.

Der Deal hängt allerdings von der Zustimmung der US-Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) ab, die bislang kein grünes Licht erteilte. Denn die staatlichen Aufseher in den USA haben den Auditing-Spezialisten strenge Auflagen für den Einstieg in das Geschäft mit der IT-Beratung erteilt. Die Begründung: Aus der Vermengung von Wirtschaftsprüfung und IT-Beratung beider Business-Bereiche könnten sich Interessenkonflikte ergeben. Verweigert die SEC ihr Okay, müßte KPMG im Zweifel seinen IT-Beratungs-Sprößling im Alleingang großziehen. Sinnvoll, wenn finanziell machbar, wäre das allemal.

Wie sehr der Markt in Bewegung geraten ist, zeigt auch das Beispiel des Wettbewerbers McKinsey. Der Konzern hat angekündigt, seine gesamten Internet-Aktivitäten zu bündeln und in eine neue Service-Einheit namens @mcKinsey einzubringen. Dazu sollen in München, London, Madrid, New York und im Silicon Valley sogenannte Internet-Business-Zentren ("accelerators") eingerichtet werden, um, wie es heißt, der eigenen Klientel einen Service "zur Beschleunigung von Internet-Geschäften" bieten zu können.

McKinsey & Co. setzen mit ihrem verstärkten Engagement im E-Business auf ein Geschäft, das - glaubt man selbst konservativen Prognosen - ein stürmisches Wachstum verspricht. So dürften nach einer Studie des US-Consulting-Unternehmens Deloitte & Touche allein in Europa die Umsätze aus dem Internet-Beratungsgeschäft von in diesem Jahr voraussichtlich knapp sechs Milliarden Mark auf rund 68 Milliarden Mark im Jahr 2001 ansteigen.

Der Markt ist begehrt, die Big Five bekommen es hier mit einer Vielzahl neuer Herausforderer zu tun. Schon seit längerem sorgen in den USA Firmen wie Razorfish, US-Web oder Sapient für Furore; europäische Pendants sind erfolgreiche Companies wie Icon Medialab (Schweden), Integra (Frankreich) oder Pixelpark und Sinnerschrader in Deutschland. Bei Cap Gemini hat man deshalb reagiert. So kündigten die Franzosen vergangene Woche an, ähnlich dem Modell McKinsey eine rund 1000 Berater und Web-Spezialisten umfassende Online-Taskforce auf die Beine zu stellen, die eine Art Internet-Komplettpaket (Web-Auftritt, Verzahnung mit dahinterliegenden Geschäftsprozessen, Konzeption für Online-Vermarktung beziehungsweise -Werbung) anbieten soll.

Von Beginn an zweigleisig gefahren ist Andersen Consulting, das mit einem für 1999 angepeilten Gesamtumsatz von neun (1998: 8,3) Milliarden Dollar und weltweit insgesamt 65000 Strategie- und IT-Beratern zu den ersten Adressen in der Consulting-Landschaft zählt. Seit 1989 firmiert das Unternehmen als eigenständige Unit der Wirtschaftsprüfungsfirma Arthur Andersen, von der man derzeit massiv die Abspaltung betreibt, und verfolgt laut Deutschland-Geschäftsführer Karl-Heinz Flöther als Geschäftsmodell die "Business Integration".

Der Kunde wünscht das Full-Service-Angebot

Dieses Modell aufzubauen und zu implementieren war kein leichtes Unterfangen. "Wir haben rund fünf Jahre gebraucht, bis es rund lief." Gelohnt hat es sich laut Flöther allemal. Heute agiert Andersen mit Competency-Gruppen, die sich aus Fachleuten mit Strategie-, Industrie-, Technologie- sowie Change-Management-Know-how zusammensetzen. Damit wird man dem Kundenwunsch nach Full-Service-Beratung nicht nur gerecht, Andersen sieht sich dadurch der Konkurrenz auch ein gutes Stück voraus. "Alle anderen versuchen schon seit einiger Zeit, unseren Business-Integration-Ansatz zu kopieren. Von heute auf morgen aber ist dies nicht realisierbar", rühmt Flöther das eigene Haus.

Mit von der Partie dürften in Zukunft auch die großen IT-Anbieter sein - allen voran die IBM. Der Computerriese wandelt sich mehr und mehr zum Dienstleister und strebt in diesem Zusammenhang nach Verstärkung des Beratungs-Know-hows. "Das Consulting", so betonte Ernst Koller, General-Manager Zentraleuropa von IBM Global Services und Geschäftsführer der IBM Deutschland Informationssysteme GmbH, "ist ein wichtiger Einstiegsfaktor für die Erschließung der gesamten Wertschöpfungskette im Dienstleistungsgeschäft." Derzeit sucht Big Blue allein in Europa rund 150 Principals und Consultants.

Vornehmlich erfolgt die Akquise über Headhunter, denn Aufkäufe, so Koller, seien sehr schwierig, wenn die Beteiligten nicht zusammenpaßten. Dies dürfte ein Grund dafür gewesen sein, daß IBMs monatelanges und strikt geheimgehaltenes Werben um die angesehene Boston Consulting Group letztlich im Sande verlief. Mit Sicherheit aber sind die kulturellen Eigenheiten, die jedes der renommierten Consulting-Häuser im Lauf der Jahre aufgebaut hat, ursächlich dafür, daß sich die Großen bislang nicht gegenseitig aufgekauft haben. Dies unterstreicht Andersen-Manager Flöther: "Viele große Beratungshäuser haben eine sehr ausgeprägte Kultur. Da würde durch einen Zusammenschluß ein Horrorszenario entstehen."

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.