"Man kann den alten Marktsektor nicht aufgehen, bevor man den neuen nicht hat"

30.10.1987

Mit Horst Enzelmüller, Geschäftsführer der Wang Deutschland GmbH, sprach Helga Biesel

"Umkehr der Ertragsentwicklung kann Horst Enzelmüller, neuer Geschäftsführer der Wang Deutschland GmbH, nach den ersten hundert Tagen in der Chefetage der in schwere Turbulenzen geratenen deutschen Tochter des US-Herstellers verkünden. Der frühere Tandem-Boß: "Erstmals seit Jahren schreibt Wang Deutschland im ersten Quartal des Geschäftsjahres 1987/88 (30. Juni) schwarze Zahlen."

- Herr Enzelmüller, Ihre ersten hundert Tage als neuer Statthalter der Wang Deutschland sind vorüber. Wang hat längere Zeit keine Schlagzeilen mehr gemacht, weder positive noch negative. Verbuchen Sie das als persönlichen Pluspunkt?

Ja. Die Presse hat mir diese hundert Tage eingeräumt. Das ist schon ein Pluspunkt. Vor meinem Eintritt hier waren die Nachrichten über Wang nicht unbedingt positiv, so daß es bereits eine Verbesserung ist, wenn es gar keine Nachrichten mehr gibt.

- Exakte Zahlen waren nicht immer die Spezialität des Rechnerherstellers Wang in der Bundesrepublik. Wer und was bürgt dafür, daß die Imageschäden, die in der Vergangenheit angerichtet worden sind, repariert werden?

Mit Ihrer Aussage über die Vergangenheit haben Sie recht. Das ist auch mein Urteil. Personen möchte ich nicht attackieren. Egal, in welchem Unternehmen ich war, von mir ist die Presse immer geradeaus und ehrlich informiert worden. So werde ich es in Zukunft bei Wang auch halten, und dafür bürge ich.

- Werden Sie exakte Zahlen zum Gewinn nennen können?

Ja, natürlich. Deutsche Geschäftsführer von amerikanischen Unternehmen tun sich manchmal sehr schwer damit, weil der Gewinn, der hierzulande erzielt wird, nicht immer davon abhängt, was die Mitarbeiter leisten, sondern auch davon, was die Muttergesellschaft für Transferpreise, Lizenz-Abgabenvereinbarungen etc. getroffen hat.

- Ich behaupte einmal, der einstige Büro-Primus und -Avantgardist aus den USA hat gewaltig an Terrain verloren. Werden Sie neue Strategien und Produkte aus dem Hut zaubern können?

Zaubern kann ich nicht. Aber ich glaube, daß Sie recht haben mit ihrer Bemerkung, und zwar für Wang insgesamt. Passiert ist, daß sich die Firma von ihrer Marktführerrolle in Sachen Textbe- und -verarbeitung sowie Office Automation verabschiedet hat, und sich hinorientieren muß zu einem astreinen Datenverarbeitungsunternehmen. Das ist keine triviale Aufgabe. Man kann den alten Marktsektor nicht aufgeben, bevor man den neuen nicht hat. Das ist eine Durchgangsphase, die einige Jahre in Anspruch nimmt. Ich kann bewegt optimistisch sein, auch für die Corp.

- Sehen Sie Anhaltspunkte dafür in den Sektoren Rechnerarchitekturen oder Betriebssysteme? Welche Entscheidungen - oder Vorentscheidungen - gibt es da in der Corp., denen Sie Öffentlichkeit geben könnten?

Die Lücke, die Sie sehen in der Entwicklung von Wang, ist darauf zurückzuführen, daß man einfach nicht die Fähigkeiten hatte, die man heute braucht, wenn man Datenverarbeitung betreiben will im Sinne von integrierter Text-, Daten-, Bild- und später dann auch Sprachverarbeitung. Da braucht man sehr leistungsfähige Rechner. Und die hat die Firma in den paar zurückliegenden Jahren geschaffen. Die Produkte sind da. Das Problem jetzt ist eigentlich das Image . . . Und das kann man nur im Verlauf der kommenden Arbeit korrigieren, und zwar indem man eine Installation nach der anderen sauber hinlegt.

- Fehlt nicht gerade Wang nach der Entschlackungskur des vergangenen Jahres die notwendige Manpower, um "Lösungsorientierung" schlagkräftig beweisen zu können?

In den 100 Tagen, die ich da bin, haben wir zwei Zielmärkte herausgearbeitet: Banken und Behörden. Ein drittes Segment ist die Produktion, aber da sind wir noch nicht weit genug, um klare Aussagen machen zu können. Wir haben allerdings schon gute Software-Partner. Außerdem konnten wir in Stuttgart ein Kompetenzzentrum auf die Beine stellen. Die ersten Leute starten gerade mit auf Produktion ausgerichteter Grafik.

- Es gab einmal Zeiten, da fiel der Branche beim Stichwort LAN auch sehr schnell der Name Wang ein, allerdings war das zu Zeiten, als OSI noch nicht in aller Munde war und Connectivity allenfalls zu IBM gesucht wurde. Jetzt erst, nachdem Ethernet als obligatorischer Standard in nahezu allen US-Produktpaletten auftaucht, und zwar als "verfügbar", zieht Wang nach. Dies wirkt auf den Beobachter wie ein totaler Verzicht auf Strategie. Ähnliches gilt für TCP/ IP.

Wang hatte Prioritäten zu setzen. Da war es zunächst einmal wichtig, die richtigen Maschinen zu entwickeln und Datenverarbeitung zu machen.

- Welche Maschinen waren das?

Zunächst einmal die VS 7000. Das startete mit der 300er Serie. Wichtig waren auch die Einstiegsmodelle.

- Über den einstigen Wang-Stolz, das Breitband-LAN, ist nichts mehr zu hören. Welchen Standards gedenkt sich Wang da anzuschließen, oder hat Wang sich von den höheren Bitraten verabschiedet?

Wangnet geht bis über 10 Megabit hinauf. Ethernet wurde bei Wang nicht ernst genommen, das muß man im nachhinein einräumen. Man hat immer Wangnet favorisiert und ist deshalb sehr spät auf Ethernet gegangen. Mittlerweile haben wir beides.

- Zu guter Letzt: Welchen Gewinn prognostizieren Sie Wang Deutschland im ersten Jahr Ihrer Statthalterschaft?

Wir visieren einen Gewinn an, der erstmalig in der Größenordnung von 10 Millionen Mark liegen wird, bei einem Umsatz von 270 Millionen. Wir liegen jetzt, nach dem ersten Quartal, mit 4,5 Millionen schon ganz gut im Rennen. In der entsprechenden Vorjahreszeit war ein etwa gleich hoher Verlust entstanden.