Middleware

"Man darf die Klempner nicht unterschätzen"

16.06.2000
"IT-Spezialisten sind wie gute Klempner. Was sie tun, sieht einfach aus, aber wehe, sie machen einen Fehler", mahnt Louis Leamus, Vice President Open Communities and Server Strategies bei der Meta Group. Im Gespräch mit CW-Redakteur Hermann Gfaller erklärt er, wie IT-Spezialisten E-Business und Fusionen durch eine ausgereifte Middleware-Infrastruktur erst möglich machen.

CW: Welche Aufgaben kommen auf IT-Fachleute zu, wenn das Management beschließt, ins E-Business einzusteigen?

Leamus: Worauf es ankommt, ist, komplette Prozesse zu haben. Der Fokus verschiebt sich vom Web-Auftritt zu dessen Integration in alle Geschäftprozesse des Unternehmens. Schwächen gibt es insbesondere bei der Backend-Integration.

CW: Wo liegt die größere Aufgabe für das IT-Personal, im B-to-C- oder im B-to-B-Bereich?

Leamus: B-to-B fordert mehr Integration in bestehende Infrastrukturen und Anwendungen. Außerdem sind hier die Prozesse, auf die Rücksicht genommen werden muss häufig weit komplexer. Beim B-to-C kann man leichter auf der grünen Wiese anfangen.

CW: Es gibt bei B-to-B vor allem zwei Anwendungen: Marktplätze und Zulieferorganisation. Welche davon macht den IT-Leuten mehr Arbeit?

Leamus: Das lässt sich nicht eindeutig sagen. B-to-B-Verbindungen werden mit unterschiedlichen Modellen und auf verschiedenen Ebenen realisiert. Das bedeutet im Übrigen nicht, dass herkömmliche Methoden wie etwa Electronic Data Interchange (EDI) verschwinden, sie werden integriert.

CW: Wie groß ist der Integrationsaufwand für die IT-Spezialisten?

Leamus: Im E-Business beträgt der Aufwand für die Installation von Produkten etwa zehn Prozent, der Rest von 90 Prozent ist Integration. Darin besteht die eigentliche Herausforderung, denn die Anbindung an die Backend-Systeme ist ausgesprochen kompliziert. Schließlich geht es nicht nur um die eigene IT, sondern auch um die Einbindung von Komponenten wechselnder externer Firmen. Diese Aufgabe wird richtigerweise häufig mit der eines Klempners verglichen. Zwei Rohre aneinander zu schrauben sieht einfach aus, aber wehe, dabei geht etwas schief. Man sollte diesen Berufsstand nicht unterschätzen, tatsächlich kommt kein Bauherr ohne ihn aus.

CW: Diese IT-Klempner haben doch längst die Datenbanksysteme an die ERP-Anwendungen (Enterprise Resource Planning) und die PCs an die Server angeschlossen. Reicht es nicht, jetzt die neuen Anwendungen und die Browser-Frontends anzubinden?

Leamus: Viele IT-Manager haben Angst, dass sie nun alle Anwendungen in Java und HTML umschreiben müssen. Es gibt solche Ansätze, aber sie sind mit hohen Risiken verbunden und nicht zu empfehlen. In der Tat geht es nicht darum, die IT-Infrastruktur neu zu gestalten, sondern darum, sie zu ergänzen. Das ist schon mehr als genug Arbeit.

Allerdings sollte man sich erst dann ins E-Business wagen, wenn man zuvor sein Haus in Ordnung gebracht, sprich eine robuste Infrastruktur aufgebaut hat.

CW: Das klingt nach den vertrauten Aufgaben der IT-Abteilung.

Leamus: Richtig, und sie werden noch wichtiger, als sie schon sind. Lange Zeit war eine der Hauptaufgaben der IT-Abteilung das Entwickeln von Software, heute werden stattdessen fertige Anwendungspakete eingesetzt, die schlimmstenfalls angepasst werden müssen. Die Aufgabe der IT-Spezialisten hat sich daher von der Entwicklung zur Integration der Pakete verschoben. Dieser Trend wird sich noch verstärken, denn die Funktionskomponenten werden kleiner. Schon jetzt geht es weniger um die Integration eines großen R/3-Pakets als um die Einbindung von Lösungen für das Kunden-Management oder für die Zulieferkette. Angesichts der raschen Veränderungen inbesondere im Internet haben wir schlicht nicht mehr genug Zeit, um selbst zu entwickeln.

CW: Kompliziert der Trend zum Kauf von kleineren Komponenten nicht die Integration?

Leamus: Die Anwender konfigurieren sich ihre Anwendungen zum einen, weil passende Rundumlösungen noch Seltenheitswert haben, und zum anderen, weil jedes Unternehmen anders ist, ständig neue Geschäftsideen auftauchen, die nach einer neuen Kombination vorhandener Techniken verlangen. In einer komponentenbasierten Welt lassen sich verschiedene Kombinationen zu neuen Lösungen zusammenstellen.

CW: Kann diese Flexibilität nicht zu Schwierigkeiten führen, wenn die eigene Lösung mit einer funktional ähnlichen, aber ganz anders aufgebauten Lösung eines Geschäftspartners zusammenarbeiten muss?

Leamus: Genau darum geht es: möglichst hohe Flexibilität ohne Verzicht auf Anpassbarkeit. Das ist wie gesagt nur mit einer robusten und effizienten Infrastruktur möglich.

CW: Welche Techniken kommen bei der Integration von E-Business zum Einsatz?

Leamus: Hier muss man unterscheiden, von welchem E-Business-Bereich die Rede ist. Die übliche Einteilung ist Business-to-Business, Business-to-Consumer, Consumer-to-Business und Consumer-to-Consumer.

CW: Consumer-to-Consumer? Gibt es das?

Leamus: Nein, nicht wirklich. Wenn etwa Surfer sich via Netz etwas verkaufen, sind immer Firmen wie die Internet-Provider und etwa das Online-Auktionshaus dazwischengeschaltet. Sie haben sich in die geschlossene Konsumenten-zu-Konsumenten-Beziehung hineingedrängt, um dort mitzuverdienen. Immer mehr Internet-Firmen dienen sich als Zwischenhändler an.

CW: Zurück zu den IT-Spezialisten.

Leamus: Richtig. Aus ihrer Sicht gliedern sich die aus dem E-Business resultierenden Aufgaben in Integration von System zu System, System zu Person, Person zu System und Person zu Person. Es ist technisch ein großer Unterschied, ob Systeme miteinander kommunizieren oder Menschen sich gegenüber Systemen verständlich machen müssen.

CW: Worin besteht der Unterschied?

Leamus: Systeme lassen sich hochgradig automatisieren, und anders als Menschen tolerieren sie es, wenn man nicht sofort antwortet, technisch formuliert: Sie eignen sich für asynchrone Kommunikation. Menschen sind am Rechner ungeduldig, sie wollen sofort eine Antwort, sie kommunizieren synchron.

CW: Lassen Sie uns über System-zu-System-Integration und die dafür nötige Middleware sprechen.

Leamus: Hier gibt es längst sinnvolle Techniken. Auf der Dokumentenebene läuft E-Business zwischen Systemen zu 90 Prozent über Electronic Data Interchange. Dabei wird es bleiben. Allerdings wird das bisherige Verfahren mit Batch-File-Transfer um Messaging-Techniken ergänzt und das bislang geschlossene Unternehmensnetz durch das Internet ersetzt werden.

CW: Was meinen Sie mit Messaging?

Leamus: Asynchrone Transaktions-Services, wie sie MQ-Series zur Verfügung stellt. Es gilt, diese Art Messaging-Verfahren auf sinnvolle Weise mit Filetransfer zu mixen. Wenn ein Unternehmen einen ungewöhnlich großen Auftrag zu einem Zeitpunkt erhält, an dem das Lager fast leer ist, dann ist es sinnvoller, bei den Zulieferern schnell über Filetransfer nachzubestellen, als mein Messaging-System umzubauen, das ich für die täglichen Bestellaufgaben benutze.

CW: Bestellvorgänge sind auch eine Frage der richtigen Formulare, der Vereinbarung auf Standards. Schließlich müssen die Systeme sich verstehen. Ist das Problem schon gelöst?

Leamus: Richtig. Messaging und Filetransfer sind lediglich Transportmechanismen, die Grundlage für eine Formatierungsebene, über der wieder Software angesiedelt ist, die über die Einhaltung von Regeln wacht, welche bei der Definition der Geschäftsprozesse festgelegt wurden (siehe Abbildung Message Broker). Insgesamt ergibt sich so eine Art Message Broker. Auf der Formatierungsebene werden Informationen von einer Anwendung für eine andere vorbereitet, sodass der Codierungsaufwand sich minimiert. Man muss sich das wie das Setzen von Parametern vorstellen. Hier entsteht eine reiche Bibliothek von Adaptern und Übersetzern.

CW: Sie sprechen von der Auszeichnungssprache XML?

Leamus: Ja, XML wird hier eine große Rolle dabei spielen, die bislang dominierenden proprietären Schnittstellen zwischen den Anwendungspaketen zu ersetzen. XML bietet ein standardisiertes Verfahren an, Informationen zu formalisieren.

CW: Sie haben die Regelmaschine erwähnt. Das klingt nach einem Web-Applikations-Server.

Leamus: Wir sind bei der Kommunikation zwischen Systemen. Applikations-Server dienen der Verständigung zwischen Mensch und System. Tatsächlich entsprechen sich die Funktionen aber. In beiden Fällen werden die Regeln festgelegt, welches System wie mit einem anderen System in Verbindung tritt. Im Übrigen geht es hier nicht um etwas Neues, sondern um bekannte Techniken und Produkte. Wichtig ist aber, dass die Regeln über Parameter gesteuert werden. Sie erst machen etwa bei Fusionen einen raschen und flexiblen Wechsel möglich.

CW: Warum?

Leamus: Eine zentrale Frage beispielsweise bei einer Fusion von Automobilherstellern ist, wie rasch der Käufer die Zulieferkette der übernommenen Firma in das eigene Unternehmen integrieren kann. Es geht auf der System-zu-System-Ebene hauptsächlich darum, die Kommunikationsströme, Schnittstellen und Gateways in den Griff zu bekommen. Parametrisierbare Verfahren ermöglichen eine ständige Veränderung. Diese Option offen zu halten und sie dann rasch zu nutzen ist die eigentliche Aufgabe der IT.

CW: Was geschieht, wenn die übernommene Firma eine gänzlich andere Infrastruktur aufgebaut hat?

Leamus: Das kommt darauf an, auf welcher Ebene man integrieren muss. Je höher das Abstraktionsniveau ist, desto einfacher ist die Aufgabe für das IT-Personal. Es sollte sich nicht darum kümmern müssen, ob die übernommene Firma oder der Geschäftspartner im E-Business mit SAP oder Peoplesoft arbeitet. Die Funktionen sind im Prinzip immer dieselben, sie müssen lediglich anders aufgerufen werden. Das ist die Aufgabe von Message-Brokern. Auf der Formatierungsebene hilft hier zum Beispiel XML, auf der Ebene der Regelmaschine zum Beispiel Corba. Vorbereitet wird diese Unabhängigkeit - leider viel zu selten - bei der Gestaltung der Geschäftsprozesse. Hier wird in Zukunft die Unified Modelling Language (UML) eine immer wichtigere Rolle spielen.

CW: Selbst ausgebildete Systemdesigner haben Schwierigkeiten, mit diesem Modellierungskonzept umzugehen.

Leamus: Es wird nicht in seiner Reinform verwendet, sondern angepasst in Integrations-Toolkits. UML-Funktionen werden als Erweiterungen von Message-Broker-Umgebungen helfen, Prozesse und systemübergreifende Kommunikation mit Hilfe grafischer Benutzeroberflächen zu modellieren. Weite Verbreitung werden diese Tools allerdings erst in drei bis vier Jahren finden.

CW: Sind die IT-Fachleute dann noch so wie wir sie heute kennen?

Leamus: Es wird einen Mix an Qualifikationen geben. Es wird weiter Leute geben, die die zugrunde liegenden Systeme konfigurieren. Aber es werden sich viel mehr Mitarbeiter mit der Modellierung von Prozessen beschäftigen. Das können dann auch Geschäftsleute sein, die die Abläufe sowieso besser verstehen. Im Prinzip existieren längst alle Komponenten solcher Message-Broker. Nur sind sie bislang schlecht mit den Modellierungswerkzeugen verbunden. Das gilt übrigens auch für die Personalorganisation. Es wird Mitarbeiter geben müssen, die für die Prozesse verantwortlich sind, und andere, die sie steuern.

CW: Das klingt nach Möglichkeiten, die Integrationsaufgaben an Spezialisten auszulagern.

Leamus: In genau diese Richtung bewegt sich der Markt. Die Auslagerung ist, wie das Beispiel der Public Key Infrastructure (PKI) zeigt, eher ein organisatorisches als ein technisches Problem. Es sind allerdings noch physikalische Grenzen zu überwinden. Tatsächlich entwickeln die Firmen ein Verständnis dafür, dass es Spezialisten für IT-Infrastrukturen gibt, die als Mittler dienen können. Das ist eine wichtige Triebfeder für Application-Service-Provider (ASPs), aber auch für die neuere Kategorie von Extranet-Service-Provider. Sie können die grundlegenden Kommunikationsdienste zur Verfügung stellen.

CW: Sie prognostizieren also die Entstehung eines Dienstleistungsmarkts für Systemintegration im E-Business-Bereich?

Leamus: Ja. In Ansätzen gibt es das bereits. Denken Sie an die weltweite Swift-Organisation der Banken für Messaging-Services oder die Reservierungssysteme der Fluglinien.

CW: Wir reden ständig über firmenübergreifende Kommunikation, als ob das selbstverständlich wäre. Sieht die Sachlage nicht völlig anders aus je nachdem ob Unternehmen von gleich zu gleich etwa über einen Marktplatz verhandeln oder ob ein Industrieführer das Internet lediglich als Protokoll für seine Logistikkette nutzt?

Leamus: Das macht in der Tat einen Unterschied. Konzerne wie Daimler-Chrysler in der Automobilindustrie oder Wall-Markt als Vertreter von Handelshäusern haben auch ohne Internet längst große Fortschritte bei der Kostenreduzierung durch unternehmensübergreifende Logistik erzielt.

CW: Das sind aber auch genau die Firmen, die weder einen ASP noch einen Extranet-Provider brauchen. Außerdem schreiben sie ihren Zulieferern die Infrastruktur vor. Bei ihnen ist der Integrationsaufwand daher relativ gering, und bei ihren Partnern sind die Vorgaben klar.

Leamus: Richtig. Aber das sind die ganz großen Fische, und dieser Markt ist klein. Aber selbst diese Konzerne arbeiten in ihrer Branche immer öfter zusammen, und hier sind Dienstleister schon deshalb interessant, weil man die Organisation von Infrastruktur und Marktplatz nicht unbedingt einem Mitbewerber überlassen möchte.

CW: Und der Rest der Unternehmen?

Leamus: Dort geht es darum, in der jeweiligen Nische ein großer Fisch zu werden.

CW: Wie weit geht die Auslagerung der Infrastruktur?

Leamus: Es gibt keine technische Grenze. Aber niemand wird bereit sein, seine Datenbanken auszulagern.

Abb.1: User-Integration

Neue Endgeräte, unvorhersehbare Lasten und User, auf deren Disziplin man keinen Einfluß nehmen kann, erschweren die Integration. Quelle: Meta Group

Abb.2: Message Broker

Middleware hilft IT-Spezialisten bei der Integration von E-Business und Unternehmens-DV. Quelle: Meta Group