Analyse

"MAI"-Gewitter

18.04.1980

"Es wird MAI in der EDV", so hieß vor Jahren ein Werbespruch in der Computerbranche.

Auch in diesem Frühjahr hat der Dialogcomputer-Pionier wieder frisches Grün aus dem Marketing-Gewächshaus treiben lassen. Allerdings ohne werblich ästhetische Doppelbödigkeit. Die Com puterzeiten sind für derartige Sprüche zu hart und realistisch geworden.

Die Zeiten, in denen sich MAI für kleinere Mittelbetriebe empfahl, denen eine kleine "Basic/four" mit zwei Bildschirmen

ausreichte, sind wohl vorbei. Wie jedes Computerunternehmen, das

Aufsteiger, Erstanwender und die Großindustrie gleichermaßen bedienen will, hat MAI die Flucht nach vorn angetreten.

Die Produktpalette wurde sowohl nach unten (System 200), als auch nach oben (System 730) erweitert. Etwas zu früh für den europäischen Markt kam freilich das Mehrplatztextverarbeitungssystem 920.

Mit dem Betriebsystem "Boss " und einem auf Basic basierenden Programmangebot machte MAI manches anders als das Gros der Konkurrenz. Wohl am deutlichsten hob man sich durch die klare Trennung zwischen Hardware und Software- Vertrieb von den Mitbewerbern ab. MAI selbst offerierte lediglich die Hardware und das Betriebssystem. Die Anwendungsprogramme wurden von Softwarehäusern gestrickt.

Heute ist die Gruppe von externen Programmierteams und Softwarehäusern auf fast 70 angestiegen. Man kann sich unschwer vorstellen, daß diese Partner häufig mehr an einer Kundeninstallation verdienten, als MAI selbst.

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, daß sich der Dialog-"Boss" nicht mehr mit dem Geschäft von Blech und Elektronik allein zufrieden geben konnte. Die fallenden Hardwarepreise und der halbe Flop des Shared-logic-TV-Systems mögen das übrige getan haben. Jedenfalls überrascht MAI nun die Branche mit einem eigenen neuen Softwarevertrieb. Mit den freien Softwarehäusern - sie werden jetzt unter dem Signum "Unternehmensberater" geführt - habe man sich, so ein Firmensprecher, geeinigt. Der Vertrieb soll mehr auf Zielgruppen-Märkte ausgerichtet werden. Zusätzlich soll sich die Vertriebsstrategie auf den Absatz von Branchensoftware konzentrieren.

Dies ist neu bei MAI. In den USA zeigte allerdings die Muttergesellschaft schon zum letzten Jahresende Flagge: Dort kaufte man die "Interactive Computer Systems Inc " auf, die vorher nach altem MAI-Konzept bereits Basic-Anwendungsprogramme für neue Kunden entwickelt hatte. ICS soll auch Programme von anderen unabhängigen Software-Entwicklern vertreiben.

Zweifellos will MAI auch in Deutschland mit dieser Neuregelung näher am Markt und näher am Kunden agieren können. Zweifellos war und ist es nicht Sache von Softwarehäusern, eigene Programme mit der Beharrlichkeit eines geschulten Verkäufers an den Mann zu bringen.

Diese Expansion in den Dienstleistungsbereich hinein hat allerdings einen anderen hohen Preis. Qualifiziertes Per sonal ist kaum zu gewinnen. An diesem Punkt dürften MAI's Pläne wohl am ehesten zurechtgestutzt werden.

Ehe das "feldorientierte Trainingsprogramm" mit Hochschulabsolventen und Mitarbeitern, "die über einen erfahrenen kaufmännischen Background verfügen", zu beratungs- und abschlußfähigen Fachleuten führt, dürften einige Semester ins Land gehen. MAI teilt hier das Schicksal vieler expandierender Herstellerfirmen, die zum Teil ihren eigenen Mitarbeitern für qualifizierte Neuzugänge bis zu 1000 Dollar-Kopf-Abwerbungsprämien aufs Gehaltskonto blättern.

Was also übrigbleibt, ist die Aufnahme der zweiten Garnitur. Diese aber - so MAI Vertriebsleiter Arno Petzold, "wollen wir nicht".

Wünschenswert dagegen sind Branchenkundige. "Warum", so theoretisiert ein MAI-Sprecher, "soll nicht ein Arzt seinem Kollegen einen MAI-Computer verkaufen". Realistischer sieht man diese Mithilfe von Angehörigen der steuerberatenden Berufe nach dem Motto "Steuergehilfe verkauft Steuerberater einen MAI-Computer".

Diese Aus- und Umschulungskosten, werden auch beim Dialogsystem-Pionier für längere Zeit auf die Gewinne drükken. Es wäre deshalb nicht sensationell, wenn man in nicht allzu ferner Zeit etwas vom Entbündeln der gesamten Dienstleistungsofferte, einschließlich Utilities und längerer Einarbeitung hört. Vielleicht braucht man sich auch nicht einmal zu schämen, für die "Alleinstellungsmerkmale" von Boss auch ruhigen Gewissens Lizenzgebühren zu kassieren. Andere Hersteller haben hierfür den Boden schon kräftig aufgelockert. Die neue Textverarbeitungssoftware Data Word II ist ohnehin als eine gesonderte Komponente im Gesamtangebot aufgeführt.

Doch MAI will noch auf einem anderen Gebiet stark wachsen. Für den Vetrieb an große EDV-Anwender soll eine zusätzliche Organisation aufgebaut werden. Diesen Firmen will man MAI-Anlagen für Distributed Processing-Aufgaben andienen.

Ob sich MAI hier stückzahlmäßig überschätzt oder sich vom Erfolg des Wettbewerbers Nr. 1 "aus Paderborn" mitreißen läßt, bleibt offen. Fest steht jedoch, daß man für funktionierende Netzwerk-Hardware und -Software wohl etwas mehr investieren muß, als mutige Dabeisein-Parolen.

Abgesehen von der für derartige Kunden erforderlichen Betriebsmannschaft, ist für einen derart anspruchsvollen und besuchsintensiven Markt viel Zeit und Geduld vonnöten. Die "aus Paderborn" gemeldeten Millionenbeträge für die neue Netzwerksystem-Generation läßt etwas von dem immensen Aufwand ahnen.

Will MAI "nur" im Bereich des Distributed Processing expandieren und bei Groß-EDV-Kunden neue Filialen oder ausgelagerte, verselbständigte Organisationseinheiten bedienen, ist ebenfalls Innovation notwendig. Speziell bei großen Unternehmen mit eigener Programmiergruppe sind die Cobol-Leute immer noch in der Überzahl. Jeder Hersteller, der dort mit Mixware und dezentralen Minis ins Geschäft kommen will, legt ab einer bestimmten Systemgröße einen Cobol-Compiler ins Betriebssystem.

Basic-Boss dürfte es hier schwer haben. Das MAI-Argument, viele Cobol-Programmierer seien über das einfache Basic begeistert, mag für den einzelnen Mitarbeiter zutreffen. Für die gesamte Organisation zieht das Basic-As jedoch nicht; es sei denn, ein Cobol-Anwender baut eine zweite Organisation um sich herum auf.

Hier allerdings arbeitet man offenbar bereits an Zugeständnissen. Es hat jedenfalls den Anschein, als ob der Großanwendermarkt mit einem neuen großen System und einem Cobol-Compiler beliefert werden soll. Das eigentliche MAI-Gewitter hängt also noch in den Wolken.

*Klaus Rosenthal ist freier EDV-Fachjournalist