Communities

Macht das Web 2.0 die User Groups überflüssig?

14.05.2008
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.

Ausgeprägtes Consumer-Verhalten

Fried Saacke, Vorsitzender der DOAG: Ein Großteil der User Group-Mitglieder legt ein ausgeprägtes Consumer-Verhalten an den Tag.
Fried Saacke, Vorsitzender der DOAG: Ein Großteil der User Group-Mitglieder legt ein ausgeprägtes Consumer-Verhalten an den Tag.
Foto: Jo Wendler

Gerüchte, wonach die Mitgliederzahlen der User Groups rückläufig seien, wollten die anwesenden Anwendervertreter nicht bestätigen. Sorgen macht den aktiven Anwendern eher die abnehmende Bereitschaft zur Mitarbeit: "Die Kunst ist nicht, neue Mitglieder zu gewinnen, sondern die Mitglieder zu motivieren, sich aktiv einzubringen", klagt der DOAG-Vorsitzende Saacke. "Ein Großteil legt ein ausgeprägtes Consumer-Verhalten an den Tag. Sie nutzen das, was wenige aktiv leisten."

Berger kann die Zurückhaltung plausibel begründen: "Die Leistungsanforderungen in der Arbeitswelt steigen, damit sinkt die persönliche Motivation für ein ehrenamtliches Engagement", so der Freudenberg-CIO, "gleichzeitig schwindet auch die Bereitschaft der Chefs, ihre Mitarbeiter für Aktivitäten in einer User Group freizustellen." Er selbst gehe jedoch einen anderen Weg: "Ich erteile meinen Mitarbeitern einen konkreten Auftrag zur Mitarbeit in User Groups. Das ist immer ein Bestandteil in der jährlichen Bonusvereinbarung. Und wenn ich aus einer User Group gefragt würde, ob jemand von uns einen Vortrag halten könnte, hätte ich sicher kein Problem, einen Referenten zu finden."

Zwischen Klassenkampf und Kaffeeklatsch

Kommentar von CW-Redakteurin Karin Quack

Bei den deutschen Oracle-Anwendern war es immer sehr unterhaltsam. Auf der Jahrestagung gaben musisch begabte Mitglieder zu vorgerückter Stunde schon einmal selbstgedichtete Chansons zum Besten - "Oh mein Oracle, du mein Debakel" (auf die Melodie von "O sole mio"), - und der tanzsportlich ambitionierte IT-Leiter führten die Datenbank-Administorin des Konkurrenzunternehmens aufs Parkett. Späterer Austausch über Workarounds und Wartungskonditionen nicht ausgeschlossen. Aber auch tagsüber ging es munter zur Sache: Die Anwender übten unverblümte Kritik an allem, was ihnen am Hersteller und dessen Produkten nicht gefiel, erstellten Mängellisten und hielten nach, welche Punkte von der Vorjahresliste immer noch nicht abgearbeitet waren. So erwarb sich die DOAG den Ruf, eine kämpferische Interessenvertretung der deutschen Oracle-Kunden gegenüber dem damals noch überschaubaren Imperium des Larry Ellison zu sein.

Die User Group moderner Prägung, ob sie nun DOAG, DSAG, GSE oder DNUG heißt, begreift sich nicht vorrangig als Kunden-Lobby, sondern als Kommunikationsforum. Sie vernetzt die Mitglieder untereinander, und sie will den Mitgliedern einen "Draht" (sic!) zu den Entscheidungsträgern des Herstellers bieten. Dagegen ist nichts einzuwenden, so lange ein paar Voraussetzungen gewahrt sind: Die Informationen müssen in beide Richtungen fließen; was vom Hersteller kommt, darf sich nicht Marketing-Folien erschöpfen; und die User Groups sollten transparente Requirement-Prozesse pflegen, die vorrangig die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen.

Finanzielle Unabhängigkeit der Anwendervereinigung vom Marketing-Budget der Anbieter gilt dabei als Selbstverständlichkeit. Wesentlich komplizierter ist es für die User Groups, ein ausgewogenes Verhältnis zum Hersteller zu finden: Freundlich, aber distanziert, kritisch, aber konstruktiv, so lauten die Forderungen. Das sagt sich leicht. In der Praxis erfordert es einen ständigen Balance-Akt. Wer dem Hersteller so nah kommt, dass er vertrauliche Informationen erhält, läuft Gefahr, seine Kritikfähigkeit einzubüßen. Und wer ständig auf Konfrontationskurs geht, wird in die Diskussionen um neue Produkte und Lizenzmodelle kaum einbezogen werden.

In dieser Beziehung ergeht es den User Groups nicht anders als den Parteien einer parlamentarischen Demokratie oder einem verantwortungsbewussten Betriebsrat. In anderer Hinsicht haben sie es dagegen leichter als diese Mitbestimmungsorgane: Einen wesentlichen Teil ihrer Aufgabe können sie bereits dadurch erfüllen, dass sie ihre Mitglieder ausgiebig miteinander Kaffee trinken lassen.