Markt für Extranet-Dienste im Visier

Lufthansa-Ableger Seals arbeitet in Zukunft auf eigene Rechnung

12.11.1999
MÜNCHEN - Die Deutsche Lufthansa geht im IT-Sektor weiter in die Offensive. Bereits zu Jahresbeginn hat die Kranich-Airline die Holding IT-Services gegründet, nun schickte man die Extranet-Aktivitäten der dieser Tochtergesellschaft zugehörigen Lufthansa Airplus Servicekarten GmbH als Startup mit dem Namen Seals GmbH in die Eigenständigkeit. Das Ziel der neuen Company ist ehrgeizig.

Trotz des renommierten Namens im Rücken ist die in Neu-Isenburg ansässige Seals GmbH eine klassische und damit entsprechend risikobehaftete Startup-Company. Der Web-basierte Versand von Rechnungen steckt noch genauso in den Kinderschuhen wie der Zahlungsverkehr via Internet. Wenn überhaupt, wird der elektronische Geschäftsverkehr bislang via Electronic Data Interchange (EDI) abgewickelt. Doch das Potential von Extranet-Anwendungen im E-Business-Sektor scheint riesig.

Glaubt man einer von Airplus zusammen mit der Beratungsgesellschaft Dr. Böhmer, Uhrig & Partner Ende vergangenen Jahres erstellten Studie, werden bereits in zwei Jahren rund 25000 Unternehmen ihren elektronischen Geschäftsverkehr vollständig über Internet-basierte Netze abwickeln. Zum Vergleich: Ende 1998 waren es weniger als 1000. Dies sei, so Airplus-Sprecher Michael Wessel, "mit die Initialzündung" gewesen, die Airplus-Abteilung Internet Program Management "als eigenständiges Unternehmen in den Markt zu schicken".

Zum 1. November fiel der offizielle Startschuß für den Newcomer, den der 30jährige Geschäftsführer Marcus Laube als Steuermann durch die vorerst noch unsicheren Gewässer lenken wird. Zehn feste Mitarbeiter und die gleiche Zahl an Freelancern - Programmierer von Andersen Consulting - stehen ihm dabei zur Seite. Und die Technologieholding. Die Münchner Venture-Capital-Gesellschaft ist derzeit der eigentliche Eigentümer von Seals. Mit knapp 50 Prozent sind die Wagniskapitalgeber direkt an dem Lufthansa-Startup beteiligt - dazu kommt eine Option der Muttergesellschaft Airplus auf weitere knapp 25 Prozent der Anteile, die momentan bei der Technologieholding "geparkt" sind. Der Rest des Unternehmens ist in Besitz der Seals-Mitarbeiter.

So jung das Unternehmen auch ist, bei Null fängt Seals nicht an. Die Neu-Isenburger übernehmen nicht nur die technische Plattform und alle darauf basierenden Anwendungen, sondern es wurden ihnen auch die bestehenden Verträge in Sachen Extranet-Dienste von der Mutter Airplus übertragen. Auch ein finanzielles Polster ist bereits vorhanden. Immerhin erzielte Airplus im vergangenen Jahr einen Abrechnungsumsatz von acht Millionen Mark. Die Lufthansa-Tochter wird denn auch der erste und damit größte Kunde von Seals sein und als "Promoter" des Newcomers auftreten. So soll beispielsweise den bestehenden Firmenkunden künftig verstärkt der jetzt Seals-eigene Extranet-Service "X.net" angeboten werden - eine Lösung, die unter anderem Sicherheitsmechanismen wie ein geschlossenes Firmennetz bietet.

Derzeit noch auf das Bundesgebiet beschränkt, wird die Vermarktung dieser Dienstleistung ab dem kommenden Jahr auf weitere europäische Länder ausgedehnt. Darüber hinaus sollen die Anwender Gefallen an zusätzlichen Services von Seals, beispielsweise "Invoicexchange", finden. Dieser, so Geschäftsführer Laube, ermöglicht die WWW- beziehungsweise XML-basierte Rechnungsstellung sowie deren Integration in das IT-System des jeweiligen Empfängers. Je nach spezifischem Projektaufwand sollen die Seals-Dienste um den Faktor zehn bis 50 kostengünstiger und flexibler sein als traditionelle EDI-Lösungen. Damit fokussiere man auch den Markt für kleine und mittelständische Unternehmen. Einzige Bedingung: Die betreffenden Firmen müssen einen Internet-Zugang haben. Mit der kompletten Abwicklung des direkten Zahlungsverkehrs als Service haben sich die Neu-Isenburger noch nicht befaßt. "Aber auch dies ist mittelfristig ein Thema für uns", unterstrich Laube vor wenigen Wochen auf der Systems 99 in München.

An Selbstbewußtsein mangelt es der Seals-Truppe also nicht. Für die Abwicklung ihrer Transaktionen sind sie derzeit auf der Suche nach einem geeigneten Rechenzentrum. Und obwohl Lufthansa in Kelsterbach ein eigenes Rechenzentrum unterhält, wird man dessen Dienste nicht in Anspruch nehmen. Bei der entsprechenden Ausschreibung fiel es - vermutlich aus Kostengründen - durch das Raster. Heißester Anwärter für den Zuschlag scheint derzeit die deutsche EDS-Tochter in Rüsselsheim zu sein.

Auch die bis zum Jahr 2002 gesteckten Unternehmensziele sind keineswegs niedrig. Bis dahin sollen Geschäftsführer Laube zufolge 60 feste Mitarbeiter auf der Gehaltsliste stehen, über 300 Millionen Transaktionen abgewickelt und Einnahmen "in deutlich zweistelliger Millionenhöhe" erwirtschaftet werden. Auch den Gang an die Börse will man dann realisieren - mit der Gewißheit im Rücken, Marktführer in Europa zu sein. Daß diese Position Seals nicht in den Schoß fallen wird, ist Laube klar. "Wir sind zwar die ersten mit diesem Angebot. Doch wir gehen nicht davon aus, daß wir die nächsten drei Jahre die einzigen bleiben."

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.