Luftfracht-Allianz harmonisiert IT-Systeme

18.10.2001
Von Christian Zillich
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nachdem sich Lufthansa Cargo, SAS Cargo und SIA Cargo im April 2000 auf die Gründung der Allianz New Global Cargo verständigt haben, arbeiten die drei Luftfracht-Carrier fieberhaft an der Harmonisierung ihrer Geschäftsprozesse und IT-Systeme - angesichts der unterschiedlichen Architekturen kein leichtes Unterfangen.

Ein Ziegelstein wird in einen Karton gepackt, mit Frachtpapieren versehen und auf diversen Luftwegen um den Globus geschickt. Geldverschwendung? Mitnichten: Mit solchen Dummy-Shipments testen Carrier die Leistungsfähigkeit ihrer Angebote und Geschäftsprozesse sowie deren saubere Abbildung in den IT-Systemen. Derzeit treten besonders viele Ziegelsteine ihre Weltreise an, da die Auswirkungen zahlreicher Veränderungen im Luftfrachtsektor überprüft werden müssen.

Wie auch in anderen Bereichen der Logistikbranche hinterlässt das E-Business seine Spuren. Ob beim Verkauf von Waren via Internet oder der elektronischen Organisation von Lieferketten - neudeutsch Supply-Chain-Management -, immer müssen Waren physikalisch von A nach B gelangen. In der Branche steigt der Druck, den geänderten Geschäftsmodellen der Kunden Rechnung zu tragen, um die Vorteile des E-Business nicht an der Laderampe wieder zu verspielen.

Seit einigen Jahren erlebt die Logistikbranche eine Vielzahl von Mergern, Übernahmen und Kooperationen. Im Luftfrachtbereich bilden sich - ähnlich wie im Passagiergeschäft - Airline-Allianzen. Die Beteiligten wollen damit integrierte und globalisierte Angebote schaffen.

Die von der Lufthansa Cargo, Scandinavian Airlines System Cargo (SAS-Cargo) und Singapore Airlines Cargo (SIA) gegründete Initiative New Global Cargo verfolgt dabei den Ansatz, eine möglichst enge Allianz zu schmieden: Ziel der langfristig geplanten Zusammenarbeit sind ein Marktauftritt mit nahtlos abgestimmten Produkten und Abläufen.
Dies macht nicht nur die Entwicklung abgestimmter Produktportfolios und Geschäftsprozesse notwendig, sondern erfordert darüber hinaus die Harmonisierung der beteiligten IT-Systeme. Nur so lässt sich ein nahtloser Service erreichen - immerhin bedienen die Partner in der Allianz über 490 Ziele in 103 Ländern auf fünf Kontinenten.



Nachdem sich die drei Airlines im April 2000 zu dem Schritt entschlossen hatten, erarbeiteten sie in drei Monaten eine Organisationsstruktur, mit der man der Fülle von Aufgaben Herr werden wollte: Die Steuerung des Projekts übernahm ein paritätisch besetztes Integration Board. Außerdem wurden vier Business Integration Teams (BITs) für die Bereiche Produkte, Handling, Sales und IT ins Leben gerufen, die von Gabriela Kroll, Senior Vice President Strategic Airline Alliances bei LH Cargo, koordiniert werden.

Dem BIT-IT kommen dabei zwei grundsätzliche Aufgaben zu: Eine Bestandsaufnahme der IT-Systeme bei den beteiligten Partnern, um den mittel- und langfristigen Handlungsbedarf zu ermitteln und die Unterstützung der vereinbarten Geschäftsprozesse durch die kurzfristige Anpassung der bestehenden IT-Systeme.

Diese Hauptaufgaben werden von den BITs Sales und Handling diskutiert und immer wieder mit der IT-Gruppe abgestimmt. "Hierfür haben wir deutlich mehr Abstimmungsschleifen, als das normalerweise innerhalb eines einzelnen Unternehmens der Fall ist", so Karsten Schmidt, General Manager Strategic Airline Alliances bei LH Cargo. Die sieben BIT-IT-Mitglieder treffen sich neben kurzfristig angesetzten Meetings und häufigen Videokonferenzen im sechswöchigen Rhythmus.

Kaum Softwarealternativen

Obwohl Schmidt in der Harmonisierung der Produkte und Geschäftsprozesse die größte Herausforderung sieht, ist für ihn auch die Zusammenführung der IT-Systeme kein leichtes Unterfangen. Probleme bereitet beispielsweise, dass außer einer Standardsoftware von Unisys praktisch keine weiteren Lösungen für den Luftfrachtbereich auf dem Markt verfügbar sind.
Vor rund drei Jahren starteten zwar mehrere Hersteller wie SAP oder Integra den Versuch, in diesem Marktsegment Fuß zu fassen, laut Schmidt sind aus diesen Bemühungen jedoch keine echten Alternativen erwachsen. Damit sei auch bei Unisys der Druck, das seit vielen Jahren angebotene System „Usas Cargo“ zu überarbeiten, gesunken.

Das von der LH Cargo eingesetzte Unisys-System ist in seiner Grundstruktur bereits relativ alt, wurde in der Vergangenheit jedoch permanent überholt und vor zirka drei Jahren mit einer aufwändigen grafischen Benutzeroberfläche versehen. Es deckt in erster Linie das Kerngeschäft ab. Dazu zählen unter anderem die Bereiche Buchung, Reservierung und Abfertigung. Das System ist laut Schmidt zwar nicht unbedingt auf dem neuesten technischen Stand, bewältigt aber viele User und Transaktionen und läuft bei hoher Auslastung im 24-Stunden-Betrieb sehr stabil.

Die überwiegend in Fortran programmierte Lösung erfülle in weiten Teilen die heutigen Ansprüche. Allerdings ist das Unisys-System nicht sehr änderungsfreundlich und damit zu träge: „Wenn man schnell auf die Gegebenheiten im Markt reagieren will, sind wir als IT-Leute noch zu häufig diejenigen, die auf die Bremse treten“, räumt Schmidt ein.

Mittelfristige Ablösung der Kernsysteme

Ähnliches gilt seiner Ansicht nach für die Situation bei SAS Cargo und Singapore Airlines Cargo. Auch dort wird im Kernbereich mit monolithischen Großrechnersystemen gearbeitet, die jahrelang in Eigenregie weiterentwickelt wurden. Bei den drei Partnern herrsche Einigkeit, dass die Kernsysteme mittelfristig abgelöst werden müssten.
Innerhalb der nächsten drei Jahre wollten die Cargo-Airlines daher auf eine neue einheitliche Lösung migrieren. Welcher Softwarehersteller als Lieferant in Frage kommt oder ob eine gemeinsame Eigenentwicklung vorangetrieben werden soll, sei jedoch bislang nicht entschieden.

Während die in den Kernsystemen abgebildeten Geschäftsprozesse bei allen drei Carriern relativ ähnlich sind, gibt es unter den vorwiegend mit Eigenentwicklungen realisierten Produktangeboten große Unterschiede. Bei der LH Cargo ist die Palette besonders differenziert. Mit den 1998 eingeführten td-Services (td = Time Definite) kann der Kunde unter einer Vielzahl kombinierbarer Angebote wählen. Sie legen fest, welche Mengen und Warenkategorien in festgelegten Zeitfenstern am Zielort eintreffen. So garantiert beispielsweise die Kombination des Express-Dienstes „td.flash“ mit dem Paket „td.cool“, dass Waren, die gekühlt transportiert werden müssen, so schnell wie möglich am Zielort eintreffen.

Für das Handling dieser Dienstleistungen hat LH Cargo eine umfangreiche Client-Server-Umgebung entwickelt, die mit dem Zentralsystem über die Middleware „Web Logic Enterprise“ von Bea Systems verbunden ist. Die Eigenentwicklung dient der Transportplanung und -steuerung, der Abrechnung, dem Streckennetz-Management für die Erstellung der Flugpläne sowie dem Data Warehousing. Im klassischen Back-Office-Bereich Finanzbuchhaltung setzt das Luftfrachtunternehmen hingegen SAP R/3 ein.

Auch Singapore Airlines Cargo und SAS Cargo nutzen außerhalb des Kernbereichs Eigenentwicklungen, die sich technisch stark unterscheiden. Um hier zu einer einheitlichen IT-Lösung für alle Partner zu gelangen, muss erst die Harmonisierung der Serviceangebote abgeschlossen werden.

Um herauszufinden, welche IT-Lösungen sich für die Allianz am besten eignen, holten die New-Global-Cargo-Unternehmen die auf den Logistikbereich spezialisierte Beratungsfirma Addval ins Boot. Sie erhielt den Auftrag, sowohl die Geschäftsprozesse als auch die IT-Systeme der Partner zu untersuchen und zu bewerten, welche sich für die gemeinsame Weiterverwendung eignen würden.

Vorhandene Systeme als Basis

Die von den Partnern erwogene, aber nicht favorisierte Lösung, alle Altsysteme schrittweise abzuschalten und komplett von vorn anzufangen, wurde auch von den Addval-Analytikern verworfen. Sie empfahlen, auf den existierenden Lösungen aufzubauen und dabei überwiegend die LH-Implementierungen als Basis für die Entwicklung gemeinsamer Lösungen zu nutzen. Schmidt sieht darin eine Bestätigung für den erheblichen Entwicklungsaufwand, den der deutsche Carrier in den letzten Jahren betrieben hat.

Mittlerweile haben die Partner einen Projektplan aufgestellt, der insgesamt vier Projektphasen mit einem zeitlichen Raster hinterlegt und eine grobe Aufwandsschätzung einschließt. Um jedoch möglichst schnell mit zumindest einem gemeinsamen Produkt an den Start gehen zu können, entschlossen sich die drei Airlines, es mit Anpassungen der vorhandenen IT-Systeme abzubilden. Dieses Ziel wurde erreicht: Seit dem 1. Oktober bieten die drei Partner Express-Dienste an, die in allen wesentlichen Punkten harmonisiert wurden und sich im gemeinsamen Netz praktisch wie ein einziges Produkt verhalten.

Zu den anstehenden Aufgaben zählt nach der Harmonisierung des Produktportfolios und der entsprechenden Angleichung der Geschäftsprozesse die weitere Integration im IT-Bereich. Basis für den Datenaustausch bleibt bis auf weiteres der Branchenstandard Iata Cargo Imp, mit dem bereits heute der Austausch etwa von Frachtbriefen, Buchungs- und Manifestinformationen geregelt wird.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Datenhoheit. Damit künftig alle Partner dieselben Kon- troll- und Zugriffsmöglichkeiten haben, erwägen die Beteiligten, in der zweiten Phase des Projekts eine neue Organisation außerhalb der Airlines zu gründen, die als IT-Dienstleister für die drei Partner tätig wäre.

Für das kommende Jahr planen die Carrier, mit der Ablösung der Altsysteme zu beginnen, die spätestens drei Jahre danach abgeschlossen sein soll. „Dieser Wechsel wird sich für alle Partner individuell gestalten. Ein Big Bang kommt nicht in Frage“, so Schmidt. Bis es so weit ist, sollen die notwendigen Zwischenlösungen der einzelnen Fluglinien über die bei der LH Cargo eingesetzte Middleware-Plattform Web Logic Enterprise zusammengeführt werden. Entsprechende Schnittstellen-Tests sowie geeignete Testumgebungen sind derzeit in Vorbereitung.