Lücken in der Call-Center-IT

05.12.2007
Die IT in Telefonzentralen hat zwei Gesichter: im Frontend ist sie vorbildlich, im Backend überholungsbedürftig.
Viele Call-Center-Betreiber vernachlässigen die Datensicherung und damit auch die Verfügbarkeit ihrer IT-Installation.
Viele Call-Center-Betreiber vernachlässigen die Datensicherung und damit auch die Verfügbarkeit ihrer IT-Installation.
In Call-Centern ist die IT weniger automatisiert als in anderen Branchen.
In Call-Centern ist die IT weniger automatisiert als in anderen Branchen.

Die Call-Center-Branche ist gemessen an der Beschäftigungszahl das am schnellsten wachsende Gewerbe in Deutschland. Geschätzte 420 000 Agents tun ihren Dienst in Rufzentralen. Das sind nach Angaben des Interessenverbands Call Center Forum (CCF) rund fünf Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Ende 2008 soll der junge Dienstleistungszweig rund 450 000 Arbeitsplätze betreiben. Der gesamte Jahresumsatz belief sich auf rund elf Milliarden Euro. Die Zahlen zeigen deutlich: Das Geschäft mit Telefondiensten ist sehr personalintensiv. Die Betreiber versuchen deshalb alles, die Arbeitskraft möglichst effektiv einzusetzen, und dabei sollen IT- und TK-Technik helfen. "Die Call-Center-Branche braucht IT dringend. Wenn zentrale Sprach- und IT-Systeme ausfallen, steht das Geschäft", sagt Frank Karow, Geschäftsführer des Systemhauses SHD aus Dresden. "Wir glauben, dass in bestimmten Bereichen noch Nachholbedarf besteht."

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welche Defizite die Call-Center-IT hat; in welche Technik die Betreiber investieren; warum die Installationen ineffizient arbeiten; wie sich eine verbesserte Verfügbarkeit im Ertrag niederschlägt.

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www.computerwoche.de 1847488: Telefonwerbung ist meist illegal; 596690: Call-Center experi-mentieren im Osten; 596831: Schwarze Schafe ruinieren Ruf der Call-Center-Branche.

Um einen etwas genaueren Einblick in die IT-Ausstattung der Branche zu gewinnen, startete SHD zusammen mit CCBenchmarks e.V., einem nicht gewinnorientierten Interessenverein, eine Umfrage zur IT-Ausstattung der Call-Center. Erste Hinweise auf mögliche Defizite zeigte die Befragung von 82 Call-Center-Agents. Sie benötigen für Verkaufs- und Beratungsgespräche beziehungsweise für die Kundenhilfe schnelle und verlässliche Daten. Informationen zu Produkten und Services, Unternehmenseckdaten sowie über die Kunden sollten unmittelbar und korrekt am Bildschirm dargestellt sein. Zudem sollte der Leitfaden, der die Mitarbeiter durch das Gespräch führt (damit sie etwa gesetzlich vorgeschriebene Hinweise nicht vergessen), aktuell und strukturiert sein.

Diese Idealvorstellung schlägt sich in kaum einem Unternehmen in den eingesetzten Lösungen nieder. So bemängelten beispielsweise knapp ein Drittel der Agenten die unzureichende Verfügbarkeit der Produkt- und Serviceinformationen. Wie die Call-Center-Mitarbeiter unter diesen Umständen Kunden beraten und helfen sollen, ist fraglich. Als werbewirksames Aushängeschild ihres Unternehmens können sie ohne verfügbare Informa-tionen jedenfalls nicht wirken.

Antiquierte Prozesse

Auch in anderen Bereichen zeigten sich hier und da Mängel. Unternehmensinfos fehle es oft an Aktualität, und Kundeninformationen seien nicht so strukturiert, wie es sich Agenten wünschten, lauten weitere Ergebnisse der Umfrage. Ursache dafür sind viele unterschiedliche Informationswege zum Mitarbeiter. Zwar gibt es in der Regel Web-basierende Datenquellen, doch erstaunlich viele Call-Center vertrauen auch darauf, ihren Mitarbeitern via E-Mail, herkömmliche Schreibtafel oder persönliches Gespräch wesentliche Änderungen und Neuerungen mitzuteilen. "Viele der in den Call-Centern gepflegten Informationskanäle erachten wir als antiquiert", wundert sich etwa Alexandra Joesoef von der HTU Consulting Group, die als Vertreterin von CCBenchmark an der Umfrage beteiligt war. Strukturiertes Wissens-Management sieht anders aus.

Die Leitfäden sind gut

Informationen müssen im Bedarfsfall schnell verfügbar sein, insbesondere dann, wenn sie im Kundengespräch unter hohem Zeitdruck benötigt werden. "Im Kundenkontakt ist das Konfliktpotenzial groß", warnt Matthias Hundt, Geschäftsführer der MHIS und Kooperationspartner. "Wenn einem Agenten in einem Kundengespräch die wesentlichen Informa-tionen fehlen, lässt das auf ein schlechtes Informations-Management schließen." Immerhin ergab die Erhebung, dass die Leitfäden gut ent-wickelt sind. Sie sind das wesentliche Handwerkszeug der Agenten und werden weitgehend als sinnvoll strukturiert, verfügbar und aktuell beurteilt. "Hier ist die Call-Center-Branche besser als andere Industrien, die ihren Mitarbeitern weniger gute Werkzeuge in die Hand geben", lobt Joesoef.

Virenabwehr funktioniert

Der Grund für die Unzulänglichkeiten im Wissens-Management ist sicher in fehlenden Organisationsstrukturen und Prozessen zu finden. Aber auch die verbesserungsbedürftige IT-Ausstattung im Backend trägt dazu bei, dass die Agenten ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen können. Zwar zeichnet die Auswertung einer weiteren Umfrage unter 100 Call-Center- und IT-Leitern ein insgesamt gutes Bild vom Zustand der Call-Center-IT. Die Erhebung zeigt aber auch das Dilemma in einigen wesentlichen und wirtschaftlich nicht unbedeutenden Bereichen. Während etwa die Sicherheitssysteme zur Abwehr von Viren und Attacken gut gepflegt und regelmäßig überprüft werden, vernachlässigen die IT-Verantwortlichen oft die Datensicherung und Verfügbarkeit. 44 Prozent der befragten IT-Manager unterhält weder Cluster-Verfahren, Standby-Server noch Virtualisierungstechniken. Fast 40 Prozent machten in diesem Punkt keine Angaben. "Die Call-Center-Branche ist jung und schnell gewachsen. In vielen Betrieben ist die IT gewuchert", erläutert SHD-Manager Karow. "Zunächst haben die Betreiber in die Sprachunterstützung investiert, dann in die IT-Unterstützung. Die Sicherung der Daten und IT-Verfügbarkeit kommt immer zum Schluss. Oft muss erst etwas passieren, bevor die Verantwortlichen handeln."

Dabei steigert die Verfügbarkeit den Ertrag pro Arbeitsplatz. Thorsten Meyer, geschäftsführender Gesellschafter des Call-Center-Betreibers people2people.de aus Kiel, rechnet vor: Eine um ein Prozent verbesserte Verfügbarkeit steigert den monatlichen Ertrag pro Arbeitsplatz um 34 Euro. Bei 200 Agenten-Seats fließen pro Jahr gut 81 000 Euro mehr in die Kassen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Agenten die gewonnene Zeit auch tatsächlich ausschöpfen.

Verfügbarkeit bringt Geld

Ansporn bietet die finanzielle Beteiligung am Mehrwert, die people2people seinen Mitarbeitern in Aussicht stellt. "Wenn ich 50 Prozent der Produktivitätssteigerung an meine Agenten weitergebe, ist das für beide ein gutes Geschäft", rechnet Meyer. Weil die Kieler keine geeignete Lösung zur Zeiterfassung in Call-Centern finden konnten, haben sie eine eigene Software entwickelt, die beispielsweise Pausen besser erfasst und Urlaubsplanung erleichtert. Auch in der erfolgsabhängigen Abrechnung schafft die eigene Applikation Transparenz für die Mitarbeiter. Diskussionen, Beschwerden und die aufwändige Nachbearbeitung ließen sich reduzieren.

So arbeitet die Branche nach und nach die Defizite ab, die sie in den Jahren des stürmischen Wachstums angehäuft hat. Handlungsbedarf besteht laut Erhebung auch im System-Management, denn ein zu hoher Anteil der IT-Mitarbeiter beschäftigt sich mit einfachen Routine-Aufgaben, die sich zum Großteil auch automatisieren ließen: Knapp zehn Prozent der IT-Verantwortlichen in zumeist kleinen Institutionen sind mindestens zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit einfachen Aufgaben im IT-Betrieb befasst. 17 Prozent der Befragten müssen zwischen 25 und 60 Prozent ihrer Zeit dafür opfern. "Dort wird noch vieles manuell erledigt", weiß etwa SHD-Chef Karow. MHIS-Chef Hundt ergänzt: "Es bleibt nicht viel Zeit übrig, um beispielsweise eine IT-Strategie zur Verbesserung der Verfügbarkeit zu entwickeln."

Schnell gewucherte IT

Auch in Sachen Konsolidierung hinkt die Branche anderen Industriezweigen noch hinterher. Call-Center sind in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland aus dem Boden gesprossen, und zwar überall dort, wo günstige und gut ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Mittlerweile bekommt die Branche die Schattenseite der dezentralen Installationen zu spüren. Pflege, Wartung und Erneuerung der verteilten Hightech-Geräte kosten Zeit und Geld. Nun steht vermehrt die Konsolidierung von IT- und TK-Systemen an.

Dennoch wäre es falsch, das Bild von einer Branche mit unterentwickelter Technik zu zeichnen. "Sehen Sie sich die IT eines Call-Centers mit 50 Arbeitsplätzen an", fordert Hundt. "Eine derartig gut ausgestattete Installa-tion finden Sie in keinem anderen mittelständischen Unternehmen." Allerdings beschränkt sich die technische Innovation zumeist auf die sprachunterstützende IT- und TK-Installation am Frontend. Was fehlt, ist die Zuverlässigkeit und Effizienz der IT-Systeme im Backend.