"LU 6.2 werden wir als Kommunikationsarchitektur in allen unseren Produkten einführen"

18.09.1987

Mit Ulf Bohla, Direktor und Leiter Marktsegment Telekommunikation und Komplexe Systeme der IBM Deutschland GmbH, sprachen Helga Biesel und Claudia Marwede-Dengg

- Das Stichwort "Connectivity" wird seit einem Jahr immer weiter bei IBM in den Vordergrund "gespielt". Wie sieht denn nun die mittelfristige strategische Ausrichtung der IBM in Sachen "Connectivity" aus - und zwar zum einen bezogen auf die eigenen Architekturen und zum anderen auf heterogene Systeme - , mit der der Anwender rechnen kann?

Sie wissen, daß Connectivity ein strategischer Aspekt in einem Netzwerk ist, den man realisieren muß, um in großen, heterogenen Netzwerken Verbindungen herzustellen von jedem zu jedem. Andere Bereiche sind sicher: Umsetzung, und, ich glaube, das Wichtigste ü b e r einem Netzwerk, die Netzwerksteuerung. Wenn ich zurückgehe auf Connectivity, und Sie als Ziel akzeptieren, daß wirklich jeder mit jedem reden kann, dann rechnen wir damit, daß wirklich jede Datenstation, ob angeschlossen an einem lokalen Netzwerk, an einer Nebenstellenanlage, an einem Abteilungsrechner, an einem Hostrechner, mit jeder anderen Verbindung aufnehmen kann. Damit kann eigentlich der Anwender fest rechnen.

- Nun ist ja Verbindung nicht gleichzusetzen mit Kommunikation ...

Richtig, aber auf allen Kommunikationsebenen bis hin zur Ebene 7 muß die Verbindung hergestellt wer den, damit ein Anwender mit einem Programm oder ein Programm mit einem Programm kommunizieren kann. Auch das ist in der strategischen Ausrichtung akzeptiert und geplant.

- Wie nun, um auf Produkte zu kommen, konkretisiert sich diese Strategie innerhalb der lBM-eigenen Architekturen?

Wenn wir gleich auf die Ebene gehen, wo Anwendung sich mit Anwendung unterhalten kann, da haben wir die LU 6.2. Die werden wir als Kommunikationsarchitektur in allen unseren Produkten einführen.

- Kann man da bereits einen zeitlichen Rahmen abstecken?

Den kann man abstecken in Kenntnis der Vergangenheit. Schauen Sie sich SNA an, die Basisstruktur unserer Kommunikationsstrategie. Systems Network Architecture ist 1974 angekündigt worden. Damals begannen wir zu ordnen, wie e i n Terminal sich mit e i n e m Rechner unterhalten kann, und damals haben wenige daran gedacht, daß diese Architektur einmal ausgeweitet werden muß im Hinblick auf Rechner unterschiedlicher Hersteller. Wenn Sie den SNA-Weg verfolgen und einfach extrapolieren, dann können Sie daraus schließen, wie diese Architektur ausgeweitet wird. Damals haben wir uns entschieden, die strategische Ausrichtung zu veröffentlichen, und wenn Sie die Produkt-Ankündigungen verfolgen, die entlang dieser Ausrichtung veröffentlicht worden sind, dann, glaube ich, bildet sich ein Mosaik, welches so weiterwachsen wird.

- Welche Eckpunkte, welche Zeitvorstellungen, aber auch welche Termine liegen heute schon fest? Es ist zwar ganz schön, wenn man die Strategie kennt und weiß, w i e man die Mosaiksteinchen setzen muß. Aber dabei spielen ja doch noch eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle, zum Beispiel die Verfügbarkeit, sprich Marketingaspekte: Man bringt bestimmte Produkte aus irgendwelchen Gründen später heraus, als sie benötigt werden. Wie sehen die IBM-eigenen Ziele bei diesen Produktentwicklungen aus?

Nun, die Ziele sind im Grunde gesteckt. Wir wollen unsere Architekturen erweitern im Hinblick auf die Produkte, die wir im Markt sehen - eingeschlossen Produkte von anderen Herstellern. Wir wollen unsere Architekturen veröffentlichen. Wir wollen mitwirken, daß Standards entstehen, die international und weltweit sind, und wir werden diese Standards unterstützen. Das ist im Grunde die Ausrichtung. Auf diesem Hintergrund muß man sehen, wie jetzt einzelne Produktankündigungen - von dem Mosaikmodell aus gedacht - hineinpassen, und damit ergibt sich das weitere Stichwort "Offenheit". Sie ist, glaube ich, ganz einfach notwendig, um einen Marktbedarf zu unterstützen. Wenn Sie sehen, daß Netze in der Industrie entstehen, wo Hersteller von Gütern direkt mit ihren Zulieferern oder wo Vertriebsorganisationen direkt mit ihren Kunden kommunizieren müssen, dann haben Sie den Grund, warum diese Architektur so sein muß und auch veröffentlicht werden muß.

- Was bedeutet vor dem gerade geschilderten Hintergrund die im Oktober 19B6 vorgestellte "Open Communications Architecture" nun für den Bereich Telekommunikation im besonderen?

Kurz gesagt: Architekturen veröffentlichen, Architekturen öffnen, Standards unterstützen und implementieren.

- Das hat IBM auch früher schon gesagt, was ist daran neu?

Bedeutet, daß wir es ernst meinen, das im Markt zu etablieren. Bedeutet, daß wir glauben, daß alle Beteiligten - und da meine ich wirklich a l l e Beteiligten von den Anwendern über die Hersteller und über Softwarehauser, die viele, viele Anwendungen schreiben - daß sie alle einen gemeinsamen Regelsatz brauchen, damit die Stufe der Informationsverarbeitung erreicht wird, wo wirklich jeder mit jedem kommunizieren kann.

- Nach dieser Schilderung würden wir "Open Communications Architecture" weniger als eine Architektur denn als eine Philosophie oder ein sehr globales Rahmenkonzept bezeichnen. Unter Architektur stellt man sich gemeinhin schon etwas Handfesteres vor.

Da haben Sie recht, Architektur ist etwas Handfestes. Aber die Architektur muß einer bestimmten Philosophie folgen oder eine Philosophie unterstützen. Und wir haben mit SNA die Architektur, die nun schon sehr lange existiert und die immer noch Gültigkeit hat.

- Kann aus dem jüngsten Juni-Announcement von Kommunikationsprodukten, die unter anderem mehr Möglichkeiten für kostengünstige Wählverbindungen eröffnen, geschlossen werden, daß IBM nun auch vermehrt international genormte Protokolle in die IBM-, sprich SNA-Welt integriert?

Erstens kann man sicher daraus ableiten, daß man alle Telekommunikationsmöglichkeiten, die geboten und wirtschaftlich genutzt werden können, unterstützt. Es gibt andere Punkte, woraus man ableiten kann daß wir die Standards in der Telekommunikation, die weltweit und international sind, unterstützen. Beispiel ist OSI von der Stufe I der Packet-Switching-Unterstützung bis hin zum Layer 7 mit X.400 und Disoss-Anpassung an X.400. Beispiel ist die Mitarbeit in Gremien, die Standards setzen, und Beispiel ist die Teilnahme am ISDN-Pilotprojekt hier in Stuttgart.

- Es kostet nicht viel, sich an Pilotprojekten, die immer noch im Vorfeld der ISDN-Entwicklung stattfinden, zu beteiligen, speziell, wenn man dem Thema etwas kritischer gegenübersteht. In welche Richtung kann sich ein ISDN-lnteressent, der bereits IBM-Kunde im Datenbereich ist, orientieren, und mit welchen Produkten kann er rechnen?

Der ISDN-Standard ist, wie Sie richtig sagen, erst im Entstehen. Er wird nach meiner Einschätzung hier in Deutschland relativ früh implementiert werden. Die Produkte, die sich für den Anschluß an ISDN qualifizieren, sind zum Beispiel Steuereinheiten, Workstations und Nebenstellenanlagen. Wenn Sie mich fragen, ist in einem dieser Produkte dieser Standard Bit für Bit realisiert, so ist die Antwort nein, weil die Definition noch nicht beendet ist. Wenn Sie mich fragen, ob wir die Absicht haben, in diesen Produkten ISDN zu implementieren, so ist die Antwort ja.

- Kann man demnach beispielsweise mit der modifizierten Rolm-Nebenstellenanlage rechnen?

Sie wissen, daß wir Rolm mit dem erklärten Ziel übernommen haben, ein weltweites Produkt auf den Markt zu bringen, und wir werden das Produkt auf der Telecom in Genf sehen.

- Kann man daraus schließen, daß diese Nebenstellenanlage das erste halbwegs fertige Produkt in Sachen ISDN ist, das von IBM auf den Markt kommt?

Das kommt auf die Definition an. Wir nehmen jetzt am Pilot-Test teil mit einem Netzwerkanschluß, der Cluster von Terminals bedienen kann. Wir nehmen teil mit dem PC in dem der Prototyp des ISDN realisiert ist. Wir wollen auch teilnehmen mit der Nebenstellenanlage. Der Test beginnt im August. Wir sind durch alle Zulassungskriterien hindurchgegangen und mit dem Ergebnis zufrieden.

- Nun gibt es in den USA ja auch ISDN. Laufen die Geräte, von denen Sie jetzt sprechen, bereits in den USA in dortigen Pilotversuchen?

Es gibt in der Produktentwicklung Verbindungen zwischen den Labors in den USA und Europa. Auch sind die Standards ähnlich. Sie wissen, daß die Anzahl der Kanäle unterschiedlich ist und daß der Steuerkanal anders definiert ist. Ich würde mir allerdings wünschen, daß sich der Standard zum Beispiel in den USA und Europa annähert, wenn er schon nicht gleich werden sollte.

- Arbeitet man in den USA und in der Bundesrepublik an unterschiedlichen Produkten im Hinblick auf ISDN? Wird hierzulande mehr Gewicht auf das Thema gelegt?

Wie gesagt, wird der Standard hier wahrscheinlich relativ frühzeitig im Markt erscheinen. Deshalb ergibt sich einfach eine Gewichtsverschiebung in dem Sinne, daß wir hier auch eher an die Öffentlichkeit gehen.

- Also sollen die ISDN-Produkte, die in den USA und der Bundesrepublik einmal angeboten werden, identisch sein?

Ja, das ist erklärtes Ziel.

- IBM verfährt also nicht so wie bei der Nebenstellenanlage 3750, die ja nur in Europa angeboten wurde und nicht in den USA ?

Das hatte andere Gründe. Es gab hier in Europa einen Bedarf für diese Anlage, und der wurde von den hiesigen, europäischen Labors befriedigt. Jetzt gibt es die Strategie, weltweit e i n Produkt zu haben. Darum haben wir Rolm gekauft. Alle anderen Produkte sind eigentlich schon historischerweise weltweit gleich gewesen.

- Damals war ein Telekommunikationsprodukt bei IBM noch eine Ausnahme.

Richtig - und zwar, weil ein solches Produkt nur auf einem begrenzten Markt angekündigt worden ist. Aber es ist immer schon IBM-Strategie gewesen, Produkte weltweit einheitlich anzubieten, und wird es auch bleiben. Das hat natürlich Gründe: Erstens die Ökonomie, nach dem Motto "Je größere Stückzahlen, desto attraktiver", und zweitens ist diese Prämisse auch ein Markterfordernis im Hinblick auf umspannende Netze, beginnend bei Netzen an einem Unternehmensstandort über unternehmensweite Netze bis hin zu internationalen Netzen. Deshalb glauben wir auch, daß nur internationale Standards eine Chance haben, hier einen Bereich beginnen zu lassen, wo internationale Kommunikation stattfinden kann zwischen USA, Europa und Asien.

- Die Frage ist nur, wie die internationalen Standards zustande kommen, ob über internationale Gremien, und damit weltweit verbindlich, oder kraft Marktmacht?

An Betspielen kann man entdecken, daß alles wirkt, nicht nur internationale Gremien, sondern auch eingeführte Produkte.

- Daß sozusagen auch bei der Standardisierung jeder mit jedem kommuniziert?

So ist es. Da ist es nur komplizierter als bei Produkten, weil Menschen und Nationen involviert sind.

- Nun treffen sich ja in den Normungsgremien mehr oder weniger immer wieder dieselben Leute, insofern ist Einheitlichkeit dann doch nicht allzu schwer zu erreichen. Aber zurück zu ISDN. Es steht ja auch die Normung des Breitband-ISDN ins Haus. Bisher scheinen die Anschauungen noch sehr divergierend zu sein, wie ein CCITT-Kongreß kürzlich in Hamburg zeigte. Es gibt sehr weit gediehene amerikanische Vorschläge, die Europäer hingegen zeichnen sich durch Uneinigkeit und deshalb auch Langsamkeit bei der Entscheidungsfindung aus, so daß sich zur Zeit leider eher weltweit unterschiedliche Breitband-Standards abzeichnen. Welchen Part spielt IBM in diesem Normierungsvorhaben das ja von größter strategischer Bedeutung ist?

Wenn ich prognostiziere, wann das Breitband-ISDN Realität wird, dann reden wir hier über einen Zeitraum, der über vier oder fünf Jahre hinweggeht. Wir reden noch nicht über Produkte, aber im Prinzip ist klar, daß wir hier noch mehr als heute Bandbreiten-Management treiben müssen. Wenn Sie sich vorstellen, daß Sie statt eines aufgesplitteten Kanals dreißig aufgesplittete Kanäle haben, so ist die Herausforderung, diese zu steuern, erheblich. Impliziert auch, daß sehr große Freiheiten dafür gegeben werden müssen, was man über diesen Kanal bringt. Sie wissen, daß heute in der Bundesrepublik geplant ist, beim ISDN keine Sub-Channels zu haben. Obwohl es technisch durchaus möglich wäre, Sprache beispielsweise in 7-KBit-Kanälen zu übertragen, muß der Anwender 64 KBit nutzen und bezahlen, weil der Kanal so angeboten wird. Das wird beim Breitband-ISDN meiner Meinung nach nicht mehr durchzuhalten sein. Hier öffnet sich die nächste Dimension, wie man Übertragungswege managt und wie bei einem transparenten Kanal die Netzwerk-kontrolle von Ende zu Ende erreicht wird. Soviel zur Komplexität des Netzwerkmanagements - dem meiner Ansicht nach wichtigsten Punkt der Telekommunikation überhaupt.

- Das Thema "Netzwerkmanagement" ist aber offenbar nicht nur innerhalb der IBM ziemlich neu. Hat man das bisher vernachlässigt oder die Komplexität unterschätzt, oder hat es bisher keinen gesteigerten Bedarf gegeben? Wenn wir überschlagen, was Sie hier an Aussagen zur Strategie gemacht haben in bezug a Breitband-ISDN und auf Netzwerkmanagement, wenn wir das neue Netzwerkmanagement-Softwareprodukt "Netview" betrachten und die künftigen weltweiten Netze mit ins Kalkül ziehen, dann drängt sich der Gedanke auf, daß IBM in den Sektor der öffentlichen Vermittlungstechnik drängt - und das wäre in der Tat neu.

Nicht gerade öffentliche Vermittlungstechnik, aber vorstellbar sind durchaus Bereiche, die sich zum Beispiel mit der intelligenten Steuerung der öffentlichen Vermittlungstechnik befassen. Öffentliche Technik wird genutzt, um Kommunikationsnetze aufzubauen, und als Anschlußpunkte werden dort wieder alle Arten von Informationsstrukturen dahinterstehen: Einzelne Datenstationen, Abteilungsrechner, Hosts, Local Area Networks und auch Vermittlungsanlagen. Wenn ich "Netzwerkmanagement" sage, dann meine ich wirklich eine Ende-zu-Ende-Kontrolle, die sowohl die Infrastruktur im öffentlichen Netz als auch die Infrastruktur in den Unternehmen betrifft, die den Status der Kommunikation von einem Terminal bis hin zur Anwendung kontrolliert. Das kann heißen, wie der Status der Geräte ist, wie das Antwortzeitverhalten, wie der Zustand der Übertragungswege. Das heißt nicht, daß man alles betreiben muß, um es zu kontrollieren und um Informationen sammeln zu können. Das alles wird noch einmal überlagert von der Dimension, daß es nicht nur öffentliche Technik und herstellerspezifische Netze gibt, sondern Netze verschiedener Hersteller. Dies ist die Herausforderung, der wir beim Netzwerkmanagement wirklich entgegensehen.

- Soll das bedeuten, daß bei IBM im Zeitraum von fünf Jahren auch Breitband-Netzwerkmanagement aus dem Status einer, wie Sie sagen, Herausforderung in die Konkretisierung einmünden wird?

Ich sehe Breitband als transparentes Übertragungsmedium. An Netview und Netview PC kann man erkennen, wie die Richtung sein wird, wie man auch so ein Netzwerk in den Griff bekommt:

- Noch einmal zurück: Woran lag es, daß man bisher dem Thema Netzwerkmanagement so wenig Bedeutung beigemessen hat?

Es hatte weniger Bedeutung, speziell in einfachen, sternförmigen Netzen. Da gab es eine Anwendung die kontrollierte die Rechner und die Terminals. Mit zunehmender Komplexität der Netze wird auch der Steuerungsmechanismus mehr gefordert.

- Das liegt aber doch auch schon auf der Hand, bevor man flächendeckende Netze hat.

Richtig, das ist sicher schon vorgedacht, aber es bleibt die Frage, wann man eine Antwort auf eine Markterfordernis bringt. Der Markt strukturiert sich j e t z t um in diese Richtung.

- Könnte man nicht auch sagen, die Tatsache, daß es bisher relativ wenige funktionstüchtige Netzwerkmanagement-Systeme gab, hat den Ausbau der flächendeckenden Netze behindert?

Das alte Henne-Ei-Problem.

- Netview gibt es ja nun. Inwieweit berücksichtigt dieses Produkt internationale Standards, soweit es solche für diesen Sektor bereits gibt oder solche bereits angedacht sind?

Da gibt es wenig internationale Standards.

- Was läßt das für die Zukunft hoffen oder befürchten?

Weder hoffen noch befürchten.

Man wird sich einigen, wie man solche Netzwerke steuert.

- Gibt es bereits Normierungsgremien, die sich mit dem Thema befassen, oder schläft die ganze Welt außerhalb der IBM?

Das kann sich die ganze Welt nicht leisten, und das ist kein Thema mehr, das die IBM alleine betrifft. Es gibt verschiedene Wege, Standards zu erreichen, darüber hatten wir bereits gesprochen. Alle Wege werden beschritten werden.

- Durch die Dominanz von SNA ist eine Dominanz von Netview zunächst einmal vorgegeben.

Das ist das Instrument in unseren Systemen. Andere mögen andere Wege gehen.

- Das ist schon die Überleitung zum Thema OSI. Welche Entwicklungstrends gibt es innerhalb der IBM-Produktwelt, wo ja schon mehr vorhanden ist und Sie sicher konkreter werden können als beim Stichwort ISDN?

Wenn man unsere Produkte ansieht, dann finden Sie von Ebene I bis 7 Repräsentanz in unseren Produkten. Das ist, zurückgeführt auf SNA, eine Ergänzung von SNA in Richtung auf Netze unterschiedlicher Hersteller. Es ist nicht die Frage, ob OSI oder SNA, sondern wie OSI in SNA abgebildet ist.

- Also wäre es denkbar, daß man so, wie man jetzt einen X.25-Anschluß integriert, irgendwann auch einen kompletten OSI-Anschluß integriert?

Das ist denkbar.

- Könnte es inzwischen der allgemeine Trend geworden sein, OSI-Normen nicht direkt in die Produkte aufzunehmen, sondern sie in den jeweiligen Produkten abzubilden?

Ich würde gerne über IBM-Implementierungen reden und nicht darüber, wie andere Hersteller vorgehen.

- Kommen wir zum Thema Value Added Networks and Services (VAN/S). In der Bundesrepublik ist der Markt bisher schon sehr offen, im Zusammenhang mit der anstehenden Liberalisierung der Bundespost blickt die Branche gespannt auf IBM. Wie wird sich die weltweite Strategie der IBM in diesen neuen Märkten der Datenverarbeitungs-Dienstleistungen hierzulande niederschlagen?

Ich gebe Ihnen recht, dieser Markt ist sehr offen, obwohl er sich sicher hin zur Integration der Sprache noch öffnen muß. VAN/S würde ich von unserem Angebot her in zwei Bereiche aufteilen: den reinen Netzwerkservice und den Anwendungsservice. Dabei sind Kombinationen vorstellbar: Dienste also, wo wir nur die vermittelnde Funktion haben, bis hin zu Diensten, wo wir die vermittelnde Funktion und die des Value Add haben. Zum Beispiel Datenbankservice oder etwas wie Electronic Mail oder "Screen Mail".

- Was ist Screen Mail?

Das Produkt ist im Markt etabliert. Ein Produkt, welches Kommunikation in Unternehmen und über Unternehmensgrenzen hinweg gestattet.

- Auf welchen Standards beruht dieses Produkt ?

Es ist unerheblich, wie die Geräte angeschlossen und wie die Ebenen 1, 2, 3 realisiert sind. Es ist ein IBM-Netzwerk, welches weltweite Abdeckung hat, was zunächst konzipiert war für einen IBM-eigenen Gebrauch, aber auch von Kunden genutzt werden kann. Screen Mail ist ein Standard-IBM-Produkt.

- Welche Bereiche sind denn aus IBM-Sicht bei künftigen Dienstleistungen besonders interessant?

Service-Angebote sind generell ein ganz interessanter Bereich, der noch gar nicht begrenzt ist. Wenn ich über Service-Angebote rede, kann die ganze Expertise, die bei uns im Hause vorhanden ist, als Service weitergegeben werden. Das können Personalprogramme sein, das können Erfahrungen von unseren Liegenschaftbereichen sein, wie man intelligente Gebäude oder wie man Rechenzentren baut, das können Umschulungsprogramme sein - mit der Umstrukturierung des Marktes muß ja immer mehr Schulung betrieben werden - daß kann Beratung sein über den optimalen Einsatz von Hard- und Software oder darüber, wie man Anwendungen strukturiert. Das ist der gesamte Service-Bereich, wovon Value Added Network Services ein Teil ist und damit das Vehikel, mit dem man nachher die Informationen kanalisiert.

- Gemeint war Service im unmittelbaren Zusammenhang mit Value Added Network. Da dachten wir eher an das künftige "Amadeus"-Netz oder das "Start"-Netz oder das Datev-Netz. Das sind doch sicherlich auch interessante Bereiche für einen Computerlieferanten?

Ja natürlich, deshalb sind wir auch sehr interessiert daran, daß die Spielregeln in diesem Bereich festgelegt werden. Wir sind sehr zufrieden mit den Möglichkeiten, die hier in der Bundesrepublik zur Zeit existieren, aber das ist nicht sehr verläßlich für die Zukunft, ob diese Value Added Network Services auch weiterhin so angeboten werden können - mit anderen Worten: Die Linie zwischen Monopol und freiem Markt ist nicht fixiert genug. Auf der anderen Seite ist es für diesen Bereich wichtig, daß auch die Tarifstruktur kostenorientiert und damit vorhersehbar ist. Diese beiden Randbedingungen werden erst eine eigenständige Industrie entstehen lassen.

- Können Sie das, was Sie mit "nicht sehr verläßlich" meinen, noch ein wenig konkretisieren ?

Die TKO regelt die Dienste, es gibt aber keine Sicherheit, daß nicht morgen anders geregelt wird. Das ist damit gemeint.

- Nun gut, das hat vielleicht auch mit der speziellen politischen Situation im Augenblick zu tun.

Ja.

- Nun gibt es ja Beispiele, daß Value Added Services nicht nur von einem Unternehmen angeboten wird, sondern in Zusammenarbeit mit Partnern: In Japan gibt es die Kooperation zwischen IBM und NTT, in Frankreich hat IBM sich mit Banken in dieser Richtung engagiert. Ist das auch für den bundesdeutschen Markt oder den europäischen Markt denkbar. . .

Ja, absolut.

- . . . und auch realisierbar?

Auch realisierbar.

- Und wann ist das spruchreif?

Wenn alle Voraussetzungen so sind, daß man ein einigermaßen voraussehbares Geschäft machen kann.

Es gibt ein gutes Beispiel, das ist "Transportel", wo Speditionsfirmen über nationale Videotex-Systeme kommunizieren. Das wird gesteuert von einem IBM-Rechner, der auch die Protokoll-Umsetzung leistet.

- Aber da ist IBM nicht organisatorisch beteiligt.

Nein, an der Organisationsform nicht, aber als Lieferant, der diese Infrastruktur zur Verfügung stellt, also die Umsetzung zwischen den verschiedenen Videotex-Systemen.

- Wenn wir jetzt das politische Umfeld kurz streifen: Da wäre es wahrscheinlich aus IBM-Sicht sinnvoll eine europäische Kompetenz zu haben und nicht eine jeweils nationale?

Europäische Kompetenz reicht nicht. Es muß wirklich eine weltweite Kompetenz da sein.

- Das ist doch sehr kategorisch, daraus könnte man den Schluß ziehen daß IBM europäische Normierungen übergehen wird.

Ich würde sagen: Überbrücken. Am besten wäre es für die Anwender wenn Standards weltweit durchgesetzt sind. Wenn sie es nicht sind, muß man entweder Gateways oder Umsetzungen machen, und das ist technischer Aufwand. Wenn das einfache Protokolle sind, die umgesetzt werden, dann mag das noch gehen aber wenn das hineingeht in alle Komponenten eines Netzwerkes also die Connectivity und die Bandbreite und die Protokollumsetzung bis hin zur Steuerung, verkompliziert sich das erheblich.

- Was bedeutet denn für IBM nun konkret "weltweit standardisiert"? Bedeutet es, daß man Produkte weltweit absetzen kann?

Das bedeutet, daß ein Anwender in Japan im Grunde die gleiche Struktur vorfindet wie ein Anwender in Afrika oder Europa oder den USA.