Mängel im Detail

LTE leidet noch unter Schluckauf

21.11.2012
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Frequenzspiele

Nachdem die Carrier die unterversorgten Landstriche bedient haben, dürfen sie nun in den wirtschaftlich lukrativeren Ballungsräumen und Metropolen ihre LTE-Netze in Betrieb nehmen. Seit dem Frühjahr 2012 läuft der Rollout, und fast täglich kommen neue Städte hinzu. In der Regel werden dabei die Frequenzen von 1800 und 2600 Megahertz genutzt.

Ein Unterschied zwischen dem auf dem Land verwendeten LTE 800 und LTE 1800 ist die erzielbare Datenrate: Im ersten Fall sind das bis zu 50 Mbit/s, im zweiten Fall um die 100 Mbit/s - was allerdings nur für relativ leere Funkzellen und bei optimalem Empfang gilt. "Wenn sich in einer Zelle zwischen 200 und 300 Leute befinden, dann dürfte eine Transferrate von 10 bis 14 Mbit/s noch realistisch sein", dämpft Bruno Jacobfeuerborn, Geschäftsführer Technik der Telekom, allzu hohe Erwartungen. Damit die Empfangsleistung bei starker Nutzung nicht zu sehr einbricht, will die Telekom zudem in Hotspots, also Gegenden mit vielen Nutzern wie etwa Messen oder Flughäfen, noch LTE-2600-Netze aufbauen. Die höheren Übertragungsraten im Vergleich zu LTE 800 fordern dagegen auf einer anderen Seite ihren Tribut: Während in den 800-Megahertz-Netzen eine Funkzelle einen Radius von rund zehn Kilometern abdeckt, werden mit LTE 1800 etwa fünf Kilometer erreicht. So musste beispielsweise die Telekom rund 70 Sendemasten in Betrieb nehmen, um den Münchner City-Bereich zu versorgen.

Messergebnisse

Ein Aufwand, der sich gelohnt hat. Bei unseren Messungen im Telekom-LTE-Netz an verschiedenen Standorten in München erreichten wir Transferraten von bis zu 25 Mbit/s. Im schlechtesten Fall, einem Bürokomplex mit viel Stahlbeton und bedampften Fensterscheiben, gingen die Übertragungsraten auf bis zu 10 Mbit/s im Download und 1 Mbit/s im Upload zurück. Verglichen mit früheren Mobilfunkerfahrungen sind zudem die Ping-Zeiten im LTE-Netz eine Offenbarung: Sie lagen in der Regel zwischen 35 und 85 Millisekunden. Mit anderen Mobilfunktechniken hatten wir hier oft Werte um die 300 Millisekunden gemessen.

Auch bei anderen Tests auf dem flachen Land konnte LTE überzeugen und stellt im Vergleich zu den 3G-Techniken UMTS und HSPA eine Revolution dar. So konnte sich die Computerwoche in einem weißen Flecken nahe dem bayerischen Ebersberg im O2-Netz vom LTE-Potenzial überzeugen: Im Test erreichten wir Latenzzeiten um die 30 Millisekunden, so dass etwa das Arbeiten mit einer Citrix-Desktop-Lösung kein Problem war. Dabei ermittelten wir durchschnittliche Download-Raten um die 40 Mbit/s und in der Gegenrichtung um die 12 Mbit/s.

Anwendungen für LTE

Auch bei weiteren Tests an sehr gut per Funk versorgten Standorten stellten wir fest, dass LTE mit den schnellen leitungsgebundenen VDSL-50-Internet-Zugängen der Telekom konkurrieren kann. Allerdings müssen die teuersten LTE-SIM-Karten von Telekom und Vodafone verwendet werden, um die maximale Leistung zu erhalten.

Ernüchternde Erfahrungen

Die COMPUTERWOCHE und Kollegen anderer Redaktionen von IDG hatten die Möglichkeit, LTE von Beginn an in der Praxis zu testen - sowohl in Pilotversuchsnetzen in Stadt und Land als auch später im Regelbetrieb. Und anfangs rief die Technik bei uns wahre Begeisterungsstürme hervor - etwa wenn in der DSL-Diaspora per LTE-Mobilfunk mit Geschwindigkeiten gesurft werden konnte, die sonst eigentlich VDLS-Nutzern vorbehalten sind. In jüngster Zeit ist die Euphorie bei den Probanden aber einer gewissen Zurückhaltung gewichen.

So berichtet der eine Tester von nicht funktionierenden DNS-Servern, der andere von Schwierigkeiten beim Einloggen in das LTE-Netz. Wieder andere erlebten LTE-Geschwindigkeiten, die bestenfalls auf UMTS-Niveau lagen. Ebenso kame es vor, dass LTE-Netze komplett zusammenbrachen. An Lokationen, für die LTE-Versorgung versprochen worden war, gab es schlicht keinen Empfang. Diese Beobachtungen mögen Einzelfälle ohne statistische Relevanz sein. Sie verdeutlichen aber, dass es sich bei LTE noch um eine junge Technik handelt, die mit ihren Kinderkrankheiten zu kämpfen hat - das galt aber auch für DSL in den Anfangstagen. Im Business-Umfeld sollte in jedem Fall eine Backup-Verbindung vorhanden sein, egal wie langsam, um wichtige Daten, wenn LTE nicht funktioniert, dennoch transferieren zu können.

Damit taugt LTE auch für anspruchsvolle Business-Anwendungen bis hin zur Standortvernetzung mittels VPN over LTE. Hohe LTE-Datenraten und kurze LTE-Ping-Zeiten sind noch unter einem anderen Aspekt von Bedeutung: Cloud-Anwendungen lassen sich auf den Endgeräten auch unterwegs zum Arbeiten nutzen. An gut versorgten Standorten reicht LTE für Voice over IP, Videoconferencing oder Videoüberwachung aus.

Allerdings erfuhr unsere LTE-Euphorie auch Dämpfer. Zudem hat LTE noch mit Kinderkrankeiten zu kämpfen. So ist ein einfaches Daten-Roaming, wie wir es von UMTS kennen, derzeit nicht möglich. Bis echtes Multiband-Equipment für LTE verfügbar ist, wird es noch einige Zeit dauern. Deshalb ist es keine gute Idee, von einem Business-Trip ins Ausland ein LTE-Tablet oder -Notebook mitzubringen.