Präzise Zielgruppenwahl ist Erfolgsvoraussetzung:

Low-level-Marketing für Software ungeeignet

17.08.1984

Immer häufiger erfahren wir im Computermarkt von Problemen, die im Zusammenhang mit dem Absatz von Software stehen. Die Softwarepreise fallen, die Entwicklungskosten insbesondere für Mikrocomputersoftware sind sehr hoch und die Anzahl der verkauften Kopien pro Programm erreicht häufig nicht die erwünschten Größenordnung, um profitabel zu sein. Diese Situation zwingt zum Überdenken der bestehenden Art und Weise, Software zu vermarkten.

Probleme ergeben sich heute dadurch, daß zielbewußtes Marketing noch im tiefen Dornröschenschlaf zu liegen scheint. Softwareunternehmen meinen, Produkte, die in den USA erfolgreich abgesetzt werden, könnten mit gleichen Methoden und außer der Übersetzung nicht modifiziert auch im deutschsprachigen Raum Erfolg haben. Software wird über die verschiedensten Vertriebswege in den Markt gebracht.

Die Produzenten liefern an Großhändler, Händler, Endkunden sowie an Hardwaremanufakturen. Distributionsfirmen liefern wiederum an Händler und Endkunden - vorwiegend die gleichen Produkte mit dem gleichen Vertriebskonzept, wobei oftmals sogar die gleichen Vertriebsleute und Techniker die verschiedensten Zielgruppen bedienen.

Fraglich ist jedoch, ob Softwareprodukte mit gleichen Mitteln sowohl beim Softwarenutzer als auch beim Handel plaziert werden können.

Der Händler braucht gute Informationen über Produkte, gute Margen, schnelle problemlose Belieferung und allerbesten Support und Service. Er braucht das Vertrauen zu seinem Softwarelieferanten in bezug auf die Qualität der Programme und die technische Unterstützung.

Dagegen hat der Endkunde die Intention, Software als Arbeitsmittel für ihn einfach erlernbar zu der Lösung seiner Probleme einzusetzen. Ein Großteil dieses Marktpotentials hat keine oder wenig Computerkenntnisse und ist auf den direkten Kontakt mit dem Händler angewiesen.

Profit nur durch zufriedene Kunden

Ein erfolgreiches Marketingkonzept muß die Zielgruppe, in die hineinverkauft werden soll, korrekt definieren, ihre Bedürfnisse analysieren und ihnen dann den entsprechenden Service bieten, flankiert von der auf die Zielgruppe abgestimmte Werbung.

Die Analyse der Interessen des Händlers ergibt eine sehr einfache Formel: guter Profit durch zufriedene Kunden.

Erfahrungsgemäß kann der Softwarehändler nur Kunden zufriedenstellen, wenn er in der Lage ist, die Produkte, die er verkauft, zu erklären und deren Vorteile herauszuheben. In der derzeitigen Marktsituation vertreibt der Mikrocomputerhändler im Durchschnitt drei bis vier verschiedene Computermarken sowie zirka zehn Softwareprodukte pro Computer. Das bedeutet, daß er theoretisch 40 verschiedene Programme erklären können und verfügbar haben müßte.

Die Anzahl der täglich neu erscheinenden Programme auf dem Markt macht es ihm jedoch unmöglich, sie alle zu testen und zu beurteilen, um dann die richtigen für seine Kunden auswählen zu können. Dazu benötigt er dringend einen Lieferanten, auf dessen Produktwahl er vertrauen kann und bei dem er problemlos technische Fragen beantwortet bekommt.

Ohne einen solchen Lieferanten ist er gezwungen, bei den Softwareherstellern zu kaufen, deren Produkte, wie man durch Medien erfährt, immer die besten, einfachsten und marktgerechtesten sind. Eine neutrale Beurteilung von Software, sowohl von horizontaler als auch vertikaler ist von seiten der Softwaremanufakturen aber nicht zu erwarten, denn sie haben ein Interesse ihre eigenen und nicht die Konkurrenzprodukte zu verkaufen.

Unklare Infos hindern häufig den Vertrieb

Unter anderem lesen sich auch die Pressemitteilungen ungeheuer positiv. Grenzen und Schwierigkeiten sowie Zielgruppen eines Programmes werden selten aufgezeigt, so daß der Händler hier keine wirklich brauchbare Information erhält. Die Werbung stellt Software vor wie Automobile. So nach dem Motto: Jeder weiß, was Tabellenkalkulationen, Datenbanken und Grafiken der neuen Generation bedeutet. Wenige Unternehmen halten es für nötig, in ihrer Werbung dem Händler echte Informationen zu bieten.

Diese Situation hat dazu geführt, daß der Händler vorwiegend die eingeführte Software von bekannten Softwarehäusern vertreibt und selten das Risiko eingeht, sich auf Werbung oder Kurzbeschreibung von von ihm noch nicht selbst getesteter Produkte verläßt.

Deshalb ist es häufig der Fall, daß sehr gute, aber noch nicht etablierte Software nicht zum Händler gelangt, weil dieser sie nicht kennt und er nicht die Zeit hat, sie selbst zu testen und zudem das Kostenrisiko scheut, etwas nicht Brauchbares zu kaufen was er nicht zurückgeben kann.

Marketing in Deutschland bedeutet nicht nur, richtige Produkte für den Handel auszuwählen, sondern sich vielmehr auf die Mentalität und den Ausbildungsstand der verschiedenen Mikrocomputerdistributoren einzustellen und ihnen ein verläßlicher Partner in ihrem Betrieb zu sein.

Der zentraleuropäische Mikrocomputerhandel hat jedenfalls gelernt, daß ein niedriger Preis allein noch keine Verkaufshilfe und Überlebenschance gewährleistet.

- Sybille E. Ehlers ist General Sales Manager der Softsel Computer Products GmbH, München.