Kolumne

"Lourdes und Unterschleißheim"

18.04.2003
Christoph Witte Chefredakteur CW

Jürgen Gallmann stellt sich ganz offensichtlich diplomatischer an als sein Vorgänger Kurt Sibold. Der hatte noch per offenen Brief vergeblich versucht, Einfluss darauf zu nehmen, unter welchem Betriebssystem die Rechner des Bundestages künftig laufen - unter Linux oder Windows.

Gallmann dagegen sucht erst die Öffentlichkeit, wenn Tatsachen geschaffen sind. Nach zähen Verhandlungen wurde jetzt ein neuer Rahmenvertrag mit dem Bundesministerium des Inneren unterzeichnet, der sämtlichen Ämtern und Behörden in Deutschland beim Kauf von Microsoft-Produkten Sonderkonditionen einräumt (siehe Seite 8). Das Abkommen ist für beide Parteien ein Erfolg: Für Innenminister Otto Schily, weil er Microsoft trotz License 6 offenbar anständige Preise und Lizenzbedingungen abgerungen hat, die er ohne den gegengewichtigen Vertrag mit IBM - der billige Hardware für Linux-Installationen garantiert - wohl nicht bekommen hätte. Schily dürfte besonders freuen, dass er keine Mindestabnahmemengen garantieren muss. Seine Klientel kann bei Microsoft kaufen - oder es bleiben lassen.

Gallmann kann den Kontrakt sogar als doppelten Erfolg verbuchen. Allein die Tatsache, dass die Bundesregierung noch einen Vertrag mit seinem Haus abschließt, obwohl sich gerade die öffentliche Hand der Förderung von Open-Source-Software verschrieben hat, muss man wohl seinem Verhandlungsgeschick anrechnen. Richtig gefreut haben dürfte sich der Microsoft-Statthalter indes über die zusätzliche Unterzeichnung einer Absichtserklärung. In der Presseerklärung des Unternehmens heißt es dazu etwas hochtrabend: "Die Partnerschaft hat zum Ziel, die Sicherheit, Interoperabilität und Offenheit von IT-Systemen in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik zu verbessern." Hört! Hört! Das ist wirklich toll. Ein Softwarehersteller, der quasi als Synonym für Geschlossenheit steht, dessen Konkurrenten jahrelang um die Offenlegung von Schnittstellen vor Gericht gekämpft haben und dessen Produkte immer wieder wegen mangelnder Sicherheit in die Schlagzeilen geraten, setzt sich so ein Ziel. Wirklich bemerkenswert. Wenn Microsoft die gemachten Versprechen in Deutschland einlöst, dann dürfte die Niederlassung in Unterschleißheim bei München für IT-Fachleute das Gleiche werden wie der französische Wallfahrtsort Lourdes für Kranke. Mit dem Unterschied allerdings, dass Microsoft weder die heilige Maria noch Weihwasser helfen dürften, um die vielen Sicherheitslücken in seiner Software zu schließen.