Spannungen in Architekturfragen

Lotusphere: Antworten auf Linux und Workflow

12.11.1999
Mit über 5000 Teilnehmern ist es Lotus gelungen, ein europäisches Pendant der US-Konferenz Lotusphere zu etablieren. Volker Weber* berichtet von der zweiten, wiederum in Berlin abgehaltenen Veranstaltung.

Vor einem Jahr noch hatte Lotus-CEO Jeffrey Papows in Berlin eine Portierung von Domino auf Linux weit von sich gewiesen. Im Januar kündigte er dann eine Kehrtwendung an und versprach einen Domino-Server für Linux bis zum Jahresende. Wie aus einer lapidaren Pressemitteilung in Berlin zu erfahren war, geht es sogar noch schneller. Mit dem Quarterly Maintenance Release (QMR) 5.02 im November schließt Lotus die Betaphase ab und bringt die neue Server-Version heraus. Unterstützt wird Domino für Linux auf den Distributionen von Red Hat und Caldera. Eine kostenlose 90-Tage-Testversion läßt sich von http:// notes.net herunterladen. Die Lizenz kostet ebensoviel wie für einen NT-Server. Eine Linux-Version des Notes-Clients ist derzeit allerdings nicht geplant.

Eher bescheiden fällt die bisherige Bilanz von Lotus im Bereich Faxanbindung in Notes aus - mit dem "Lotus Fax Server" (LFS), später "Domino Fax Server 4.5" (DFS), war keine beeindruckende Entwicklung gelungen. Lotus hat jedoch einen neuen Anlauf genommen und mit "Fax for Domino" eine Codebasis geschaffen, die mit der alten Lösung nichts gemein hat. Kurioserweise hat diese eine kleinere Versionsnummer, aktuell 4.1, als DFS. Im ersten Quartal 2000 wird dann Fax for Domino 5.0 erscheinen, das auch mit Domino R5 kompatibel ist.

Um im Bereich Unified Messaging voranzukommen, geht Lotus jetzt eine nichtexklusive Partnerschaft mit AVT ein, besser bekannt als Hersteller von "Rightfax". AVT wird das eigene Produkt "Call Xpress" an Notes und Domino R5 sowie an die Version 4.6 anpassen. Domino-Anwender können dann vom Notes-Client, einem Web-Browser, aber auch von einem Telefon aus auf E-Mail, Voice-Mail und eingehende Faxe zugreifen beziehungsweise darauf antworten. Alle Nachrichten werden im Postkorb des Benutzers verwaltet. Die Kombination von Call Xpress und Domino soll noch im zweiten Quartal verfügbar sein.

Schließlich gab es auf der Lotusphere auch Neuigkeiten in Sachen Workflow und Knowledge-Management (über den auf der Veranstaltung angekündigten Knowledge-Management-Server "Raven" berichtete die CW in Ausgabe 44/99, Seite 14). Seit Lotus den ehemaligen Business-Partner Onestone aus Paderborn gekauft hat, macht das von "Prozessware" in "Domino Workflow" umbenannte Produkt deutliche Fortschritte. So kündigte Lotus in Berlin die Verfügbarkeit des "Domino Workflow Toolkit" an. Dabei handelt es sich um eine aus dem Netz kostenlos ladbare Dokumentation mit Beispielen, wie sich Domino Workflow in vier Bereiche erweitern läßt:

- Es werden mehr als 50 Events geboten, in die man eigenen Code einklinken kann.

- Ein spezielles API ist über Lotusscript ansprechbar. So können nun von außen neue Jobs erzeugt oder Dokumente an vorhandene Binders angehängt werden.

- Über den "Orga Access Manager" läßt sich die eigene Organisationsdatenbank durch das standardmäßige "Domino Directory" ersetzen. Dieses wiederum kann mit der LSA Orga über Agenten synchronisiert werden - eine wichtige Voraussetzung für die Verwendung von Domino Workflow in LSA-Anwendungen.

- Eine XML-Schnittstelle auf der Ebene von Subprozessen ermöglicht die Anbindung fremder Workflow-Systeme. Der Hersteller wird nicht gerne daran erinnert, daß hier einmal die Brücke von Onestone Prozessware zu Microsofts "Exchange" stand.

Mit viel Getöse, aber zunächst wenig Inhalt präsentierte Lotus außerdem eine nichtexklusive Zusammenarbeit mit Nokia, die einen Zugriff von WAP-Browsern auf Domino-Server beinhaltet.

Die bislang wenig überzeugenden Antwortzeiten der vorgestellten Lösung erklärte Pertti Lounamaa, Nokias Vice-President für Mobile Software Solutions, mit der langen Protokollkette vom Applikations-Server über den WAP-Server und Provider bis hin zum WAP-Browser im Telefon.

Was die Architektur für die Anwendungsentwicklung betrifft, so sind die Spannungen zwischen Lotus und Business-Partnern noch lange nicht beigelegt. Der mit zahlreichen "Beacon Awards" ausgezeichnete dänische Premium-Partner IT Factory möchte seine "ITF Architecture" als Standard für die Entwicklung von Domino-Anwendungen etablieren und betritt damit zumindest in Deutschland ein Minenfeld. Hier haben bereits zahlreiche Business-Partner und auch größere Anwender eigene Lösungen implementiert. Seit einem Jahr versucht nun Lotus selbst, diese konkurrierenden Ansätze durch eine eigene Lösung mit der Bezeichnung Lotus Solution Architecture (LSA) zu ersetzen.

Eine gemeinsame Architektur ermöglicht interoperable Anwendungen, die sich auf gleiche Schnittstellen und Datenstrukturen stützen. So gibt es wenig Sinn, wenn jede Anwendung etwa bei Organisationsdatenbanken oder Adreßverzeichnissen eigene Wege geht. LSA wurde in Deutschland entwickelt und hat die Unterstützung der europäischen Lotus-Organisation, ist jedoch bislang nicht weltweit akzeptiert.

Die technische Dimension wird dabei von der politischen überlagert. Lotus unterhält die eigene Service-Organisation Lotus Professional Services (LPS), die sich mit einem jährlichen Wachstum von 60 Prozent prächtig entwickelt. LPS beansprucht in Europa bei den 120 größten Kunden die Projektführerschaft, eine namentliche Liste der aktuellen und potentiellen Kunden soll das Lotus-Terrain gegenüber den Business-Partnern abstecken. Bei diesen Kunden möchte Lotus natürlich die eigene Architektur zum Einsatz bringen und meldet dort auch erste Erfolge.

Während Lotus mit LPS noch auf deutscher beziehungsweise europäischer Ebene agiert, will IT Factory die eigene Architektur auf einen Schlag weltweit bekanntmachen und bietet deshalb ein Development Kit mit der Lizenz für einen Entwickler einschließlich der ITF Architecture kostenlos an. Sofern damit kommerzielle Anwendungen entstehen, muß sich der Entwickler als ITF-Business-Partner registrieren lassen und Lizenzgebühren abführen. Auch wenn das ein verlockendes Angebot ist: In Deutschland wird sich IT Factory aufgrund der Konkurrenz zu LSA schwertun. Viele Business-Partner beklagen darüber hinaus, daß IT Factory im letzten Jahr viel versprochen, aber wenig geliefert hat.

*Volker Weber ist Fachjournalist in Darmstadt.