Web

Lotusphere 2000: Eine Analyse

01.02.2000
Wohin führt der Weg für Notes/Domino?

Von CW-Redakteur Wolfgang Sommergut

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Rund ein Jahr nach der Freigabe von Notes/Domino 5 setzt Lotus noch auf Konsolidierung und Produktpflege. Bestehende Defizite wie der eingeschränkte Zugriff auf Notes-Datenbanken durch Office-Anwendungen oder das inkonsistente Programmiermodell nimmt die IBM-Tochter vorerst in Form von kleinen Updates in Angriff.

Seit der Version 4 verfolgte Lotus mit allen größeren Updates insbesondere das Ziel, das ursprünglich proprietäre Groupware-System gegenüber Internet-Standards zu öffnen. Durch die Konzentration auf diese Aufgabe unterblieb nicht nur die Beseitigung einiger schon länger existierender Probleme, vielmehr kamen dadurch zusätzliche Komplexität und Inkonsistenzen hinzu. Nachdem Microsoft mit dem grundlegend überarbeiteten "Exchange 2000" in Kürze Lotus herausfordern will, erwarteten Beobachter, dass die IBM-Tochter auf der diesjährigen Hausmesse "Lotusphere" mit den Plänen für ein größeres Update dagegenhalten würde. Indes wollten sich die Firmenverantwortlichen nicht einmal auf die nächste größere Versionsnummer festlegen, geschweige denn strategische Weichenstellungen bekannt geben. Eine Reihe neuer Funktionen für das "Maintenance Release 5.03" sowie diverse Client-Ankündigungen beseitigen aber einige akute Defizite und lassen zudem die Marschrichtung von Lotus erkennen.

Trend: Mehr Frontends dank "Inotes"

Nach der Ankündigung einer ganzen Palette von Notes-Frontends vor drei Jahren und der anschließenden radikalen Kehrtwende zum Einheits-Client Notes 5 zeichnet sich nun bei Lotus eine neue Ausrichtung ab. Unter dem Marketing-Begriff "Inotes" versammeln sich zukünftig Produkte, die Nutzer von alternativen Frontends in den Genuss von Notes-Funktionen bringen sollen. Es handelt sich dabei um "Inotes Web Access" und "Inotes Access für Microsoft Outlook". Beide beinhalten die "Domino Offline Services" (DOLS), bei Outlook kommt eine erweitere Messaging-API-(MAPI-)Unterstützung hinzu. Sie erlaubt Anwendern des Microsoft-Programms Zugriff auf Mails, Kalender, Aufgabenliste und das Adressbuch eines Domino-Servers. Hinter den DOLS versteckt sich im Prinzip ein abgespeckter Notes-Client, der Web-Browser und Outlook um die Möglichkeit zur Replikation, Authentifizierung oder Volltextsuche bereichert. Technisch gesehen lösen die Lotus-Entwickler dabei die "Notes Object Services" aus dem hauseigenen Client und verpacken diese als Active X Control beziehungsweise als Plugin für den "Netscape Navigator". Mittels eines schlanken grafischen Steuerprogramms können Anwender dann beispielsweise die Replikation anstoßen.

Auch wenn Lotus beteuert, dass die Aufwertung alternativer Clients in keiner Weise als Abschied von Notes gesehen werden darf, so könnte Inotes doch mittelfristig eine neue Perspektive für die Groupware-Company eröffnen. Nach der Aufgabe des Multiplattform-Ansatzes mit Notes 5 lassen sich über die DOLS wieder relativ leicht zusätzliche Betriebssysteme neben Windows und dem Mac-OS bedienen. Die Notes Object Services von Notes und Domino unterscheiden sich praktisch nur durch ihre Implementierung des Notes-RPC - da es den Server für diverse Unixe und OS/2 weiterhin gibt, lassen sich davon auch DOLS für diese Systeme ableiten. Tatsächlich soll eine OS/2-Variante von "Inotes Web Access" bald folgen, spätere Unix-Ausführungen will die IBM-Tochter nicht ausschließen.

Neben der einfacheren Portierbarkeit spricht auch das Problem der zweigleisigen Anwendungsentwicklung für einen Notes-Client ohne GUI. Entgegen ursprünglichen Marketing-Versprechen laufen nicht triviale Notes-Anwendungen keineswegs unverändert auch in einem Browser. Faktisch müssen für die beiden Frontends meist separate Masken, Ansichten und Navigatoren entworfen werden. Bei Client-seitigem Code trennen sich die Wege dann endgültig: die Frontend-Klassen von Notes lassen sich nur über Lotusscript ansprechen, das aber kein marktgängiger Browser ausführen kann. Bei Javascript präsentiert sich der Notes-Client nur als ein weiterer Web-Browser, dessen Eigenheiten Entwickler zusätzlich zu den Inkompatibilitäten zwischen Netscape und Microsoft berücksichtigen müssen. Wenn Anwender alte Notes-Programme erst einmal für die Nutzung im Web aktualisiert haben, dürften ihnen die Vorteile von Notes 5 bei der Navigation durch Ansichten oder bei der Ausführungsgeschwindigkeit nicht mehr den zusätzlichen Programmieraufwand wert sein - und die wirklich interessanten Funktionen, allen voran die Replikation, bietet Inotes ja auch.

Notes macht mobil - mit XML

Das Problem der Parallelentwicklung stellt sich nicht nur bei Notes versus Browser, sondern zukünftig verstärkt, wenn Lotus auch mobile Kleingeräte mit eigener Client-Software bedienen möchte. Auf der Lotusphere kündigte der Hersteller "Mobile Notes" an, das Nutzern von Handhelds und Smartphones Zugang zu Mails, Adressen und Terminen auf dem Domino-Server erlauben soll. In späteren Ausführungen sollen Anwender in die Lage versetzt werden, selbst Programme zu schreiben, die auch auf derartigen Endgeräten ablaufen.

Da es bei solch heterogenen Zielsystemen mit einer möglichst getreuen Konvertierung von Notes-Dokumenten nach HTML nicht mehr getan ist, sucht Lotus dafür nach neuen Lösungen. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Extensible Markup Language (XML) zu. Schon in der aktuellen Version nutzt Domino XML, um mit den für Web-Mail benutzten Java-Applets zu kommunizieren. Dabei werden Ansichten im XML-Format übertragen, die Applets im Browser können diese dann im Stil von Notes darstellen (Das dabei benutzte XML-Dokument lässt sich übrigens im "Internet Explorer 5" anzeigen, wenn man statt "OpenView" den CGI-Parameter "ReadViewEntries" eingibt). Für diese XML-Darstellung definierte die IBM-Tochter unter der Bezeichnung DXL eine eigene Document Type Definition (DTD), die später als Schema neu formuliert werden soll.

Lotus will die Aufbereitung von Informationen aus Domino-Datenbanken mittels XML in den nächsten Zwischen-Updates weiter ausbauen und schließlich so weit kommen, dass neben Daten auch sämtliche Designelemente auf diese Weise exportiert und bei Bedarf reimportiert werden können. Dies würde einige der derzeitigen Beschränkungen von Notes gleich in mehreren Bereichen überwinden. Vor allem erlaubt XML in Kombination mit XSLT Entwicklern die flexible Anpassung der Benutzer-Schnittstelle an die Möglichkeiten der jeweiligen Clients. Angesichts der dürftigen Darstellungsfähigkeiten eines Mobiltelefons ließen sich beispielsweise alle nicht unbedingt benötigten Spalten einer Datenbankansicht mit Hilfe eines eigenen Stylesheets dynamisch ausfiltern, während eine andere Transformationsvorlage die gleichen Informationen für einen PC-basierten Web-Browser in HTML aufbereitet.

Ein weiterer Vorteil ergibt sich für Notes-Anwender auch deshalb, weil sie das Design und die Formatierung von Dokumenten mit diversen XML-Tools von Drittanbietern manipulieren können und so nicht mehr den nicht gerade üppigen Möglichkeiten des "Designers" ausgeliefert sind. Den Einsatz alternativer Publishing-Werkzeuge sollen zudem die Pläne von Lotus vereinfachen, auch die Formatierungsinformationen von Rich-Text-Feldern via XML zu exportieren.

Zum Lieferumfang von Domino gehören jetzt schon ein XSLT-Prozessor und IBMs XML-Parser, die beide in einem Open-Source-Projekt von der Apache Group weiterentwickelt werden. In der Version 5.03 sollen sich beide über die Notes-API ansprechen lassen und irgendwann auch für Lotusscript erreichbar sein.

Lotus beabsichtigt aber nicht, Designelemente intern im XML-Format abzulegen, sondern will diese immer bei Bedarf konvertieren. Die native Speicherung von XML-Dokumenten wird erst das nächste große Update ("Feature Release" im Lotus-Jargon) beherrschen. Vorgesehen sind dafür auch Indexierungs- und Abfragemöglichkeiten für XML-Daten. Letztere soll dann besonders der Knowledge-Management-Server "Raven" ausgiebig nutzen.

Domino muss sich stärker öffnen

Ein zusätzliches Client-Angebot sowie vereinfachter Datenaustausch via XML sind nur ein Beitrag, den sich Anwender in puncto Öffnung des Domino-Servers erwarten. Da Dokumente, Ansichten oder auch Agents in Notes-Datenbanken gezielt über URLs angesprochen werden können, ist es mittlerweile recht einfach, Informationen aus Domino herauszubekommen. Notorisch zugeknöpft gibt sich das Lotus-System aber, wenn über andere Programme als den proprietären Client auf einem Domino-Server publiziert werden soll. Daran ändern auch Behelfslösungen wie die "Domino Design Components" oder "Fast Site" nichts grundsätzlich. Besonders Anwender des marktbeherrschenden "Microsoft Office" werden sich häufig eine bessere Anbindung wünschen. Bisherige Lösungen mittels Object Linking and Embedding (OLE) und der Office Document Library waren schwergewichtig und unhandlich zu bedienen. Eine schon länger existierende Zugriffsmöglichkeit auf Notes-Datenbanken stellt für Windows-Programme der ODBC-Treiber "Notes SQL" dar, der kürzlich in der Version 2.06 freigegeben wurde. Er lässt sich aber nur auf solchen PCs nutzen, auf denen der Notes-Client installiert wurde. Das Gleiche gilt auch für die mit Notes/Domino 5.02 eingeführte COM-Unterstützung. Über diese Schnittstelle können Entwickler mittels der einschlägigen Windows-Tools - unter anderem auch mit Visual Basic for Applications - Notes-Dienste in Anspruch nehmen. Da Lotus DCOM vorerst nicht unterstützt, müssen Anwendungen den lokal installierten Notes-Client über COM ansprechen, der dann seinerseits bei Bedarf eine herkömmliche Notes-Session mit einem Domino-Server aufbaut.

Einen Vorteil zumindest kann diese Architektur für sich verbuchen: Da die COM-Schnittstellen lokal vorliegen, lassen sich auf diese Weise auch Domino-Server ansprechen, die nicht unter Windows laufen. Im Gegensatz zur schwerfälligen OLE-Lösung muss beim COM-Zugriff der Client nicht aktiv sein und auch nicht gestartet werden. Auffällig ist jedoch, dass die COM-Unterstützung wie schon zuvor die Java- und Corba-Interfaces die Frontend-Klassen von Notes nicht berücksichtigt. Auch dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Lotus wenig Zukunft für Anwendungen sieht, die auf den eigenen Client zugeschnitten sind.

Neben den neuen Programmier-Schnittstellen will die IBM-Tochter einen weiteren und bequemeren Weg anbieten, über den Desktop-Programme ohne großen Aufwand und ohne installierten Notes-Client auf einem Domino-Server speichern können: eine Server-Task für das in Windows genutzte Protokoll Server Message Block (SMB) lässt Domino-Datenbanken in der "Netzwerkumgebung" von Arbeitsplatzrechnern aussehen wie ein freigegebenes Server-Verzeichnis. Speichert beispielsweise ein Word-Benutzer dorthin, erzeugt Domino ein neues Dokument und hinterlegt die Office-Datei als Anhang. Anschließend lässt sich diese auf dem Server beliebig weiterverarbeiten, unter anderem auch innerhalb von Workflow-Anwendungen. Die SMB-Erweiterung soll im Laufe des Jahres fertig gestellt werden, vorerst aber nur für NT-Server zur Verfügung stehen.

Notes - weiterhin eine Plattform?

Nach dem Verständnis von Lotus-Offiziellen ist Notes/Domino nicht bloß eine Anwendung, sondern hat mehr den Charakter einer Plattform. Diese Einschätzung verdankt sich der Tatsache, dass die Groupware eine Reihe von Funktionen mitbringt, die teilweise Aufgaben des Betriebssystems übernehmen. Dies gilt um so mehr, als letztere immer neue Bereiche abdecken, die zuvor separaten Applikationen vorbehalten waren. Augenscheinlich sind diese Überlappungen zwischen Notes und dem darunter liegenden OS beispielsweise beim Verzeichnisdienst, dem Web-Server, aber auch bei dem mit Dateisystemen konkurrierenden Link-Mechanismus oder bei diversen im Internet gängigen Protokollen.

Microsoft als Betriebssystem-Anbieter zieht für "Exchange 2000" aus dieser Entwicklung radikale Konsequenzen. Zahlreiche bisherige Aufgaben des Messaging-Systems übernimmt zukünftig Windows 2000, das Notes-Konkurrenzsystem reduziert sich im Wesentlichen auf Speicherdienste. Microsoft kann die Arbeitsteilung zwischen Windows und Exchange nach Gutdünken abstimmen, weil die Firma kein weiteres Betriebssystem berücksichtigt. Lotus hingegen will nicht einfach das eigene Verzeichnis aufgeben und auf das Active Directory zurückgreifen, weil Notes über alle unterstützten Systeme hinweg eine konsistente Umgebung repräsentieren muss.

Die IBM-Tochter reagiert auf den Druck durch Microsoft, indem sie unter Windows die in das Betriebssystem eingebauten, konkurrierenden Funktionen stärker berücksichtigt. So kann schon seit längerem der Domino-eigene HTTP-Server wahlweise durch den "Internet Information Server" (IIS) ersetzt werden. Über die neuen COM-Schnittstellen können dann Active Server Pages auf Domino-Dienste zugreifen. Beim Verzeichnis bemüht sich Lotus um dessen optimale Synchronisierung mit dem Active Directory und will es zudem über die von Microsoft entwickelte COM-Schnittstelle Active Directory Service Interface (Adsi) zugänglich machen.

Für Plattformen, von denen keine so starke Konkurrenz ausgeht, zeigt Lotus weniger Bereitschaft, Funktionen aus Domino herauszubrechen. So müssen Anwender unter Linux mit dem vergleichsweise schlechter eingebauten Web-Server vorlieb nehmen, obwohl mit "Apache" eine mächtigere Alternative standardmäßig installiert ist.