Neues System erlaubt mehr als nur Fernsehempfang:

London: Erste Lizenzen für CATV-Konsortien

09.12.1983

LONDON (CW) - Die englische Regierung ist ihrem Ziel, das Kabelfernsehen in Großbritannien auszubauen, einen wichtigen Schritt nähergekommen: Die ersten elf Konsortien haben jetzt Lizenzen für das geplante "Multi-Channel Cable Television" erhalten. Dabei sollen zunächst in den Ballungsgebieten des Landes Pilotprojekte unter Beteiligung von rund 500 000 Haushalten durchgeführt werden. Gleichzeitig sind auch Richtlinien über die technischen Voraussetzungen sowie für die Programmgestaltung verabschiedet worden.

Die Lizenzvergabe ist die Umsetzung des in einem "Weißbuch" der Regierung festgelegten Votums für den Ausbau des Kabelfernsehens in Großbritannien. Zwar belieferten schon seit längerer Zeit 13 Programmgesellschaften rund 2,4 Millionen Haushalte über ein Kabelnetz. Dieses gilt jedoch allgemein als veraltet, da es sich bei den verlegten Kabeln zumeist um Kupferkabel handelte, die nach dem "Tree and Branch System" installiert sind. Für die neuen - vom Industrie- und Handelsministerium festgelegten - technischen Anforderungen eignet sich das moderne "Star Switch System" wesentlich besser, das von der englischen Firma Rediffusion in Zusammenarbeit mit British Telecon (BT) entwickelt wurde. Für dieses System können nämlich sowohl Kupferkoaxialkabel als auch Glas- und optische Fasersysteme verwendet werden.

Entsprechend den neuen Vorschriften des Industrie- und Handelsministeriums bieten Rediffusion und BT den Haushalten neben der Belieferung mit 30 Fernsehkanälen auch die gesonderte Abrechnung von bestimmten TV-Programmen und -kanälen, die Übertragung von Bildschirmtext-Informationssystemen (auf Prestel-Basis) und die Möglichkeit, mit Computersystemen von Banken, Versicherungen und Einzelhandelsgeschäften in Verbindung zu treten.

Noch Hemmschwellen bei Investitionen

Darüber hinaus können sich die verkabelten Haushalte an elektronischen Meinungsumfragen beteiligen und über das System elektronische Mitteilungen an andere CATV-Teilnehmer versenden. Schließlich sind auch Programmkanäle für den Anschluß von Homecomputern und für elektronische Videospiele vorgesehen. Mit dem Rediffusion/BT-System können pro Haushalt drei voneinander unabhängige Fernsehgeräte sowie ein Drucker an das Kabel angeschlossen werden.

Die für die Verkabelung mit dem neuen System erforderlichen hohen Investitionen sehen Fachleute allerdings zunächst als Hemmschwelle. Sie verweisen auf das Beispiel der Vereinigten Staaten, wo bisher noch keine Kabelfernsehgesellschaft Gewinne in nennenswertem Umfang erwirtschaftet hat. In England betragen allein die Kosten für die Verkabelung von 100 000 Haushalten Schätzungen zufolge derzeit rund 30 Millionen Pfund, das sind umgerechnet etwa 120 Millionen Mark. Die Produktionskosten für eine Stunde Kabelfernsehprogramm schwanken zwischen 2000 Pfund bei Verwendung von Importprogrammen und 30 000 Pfund für Programme, die in Großbritannien produziert werden.

Die Haushalte des Landes werden - wenn sie an das Kabelfernsehsystem angeschlossen sind - mit einer Grundgebühr von fünf bis sieben Pfund, also 20 bis 28 Mark belastet. Dazu kommen weitere sieben bis acht Pfund für die Inanspruchnahme besonderer Fernsehkanäle, auf denen zum Beispiel neueste Filme, Spezialproduktionen oder hochwertige Unterhaltungsprogramme gezeigt werden.

Angesichts der vergleichsweise geringen Kosten für Importprogramme befürchten Vertreter der britischen Filmwirtschaft, daß in der Anfangsstufe des Kabelfernsehens diese Programme einen sehr großen Anteil am Angebot der CATV-Gesellschaften ausmachen werden. Die Regierung beabsichtigt aber trotzdem nicht, hier mit gesetzlichen Vorschriften die Importware zu begrenzen. Ein Sprecher des Innenministeriums deutete lediglich an, daß es Aufgabe der neu zu gründenen Aufsichtsbehörde für das Kabelfernsehen in Großbritannien sei, "gewisse Qualitätsmaßstäbe zu setzen".

Alles in allem ist die Investitionsbereitschaft der Programmanbieter derzeit noch begrenzt, zumal deren Gebühreneinnahmen nur sehr schwer abzuschätzen sind und auf der anderen Seite die Werbeeinnahmen auf Grund der geringen Streuung zumindest zu Beginn nicht allzu hoch ausfallen dürften.

Leasing von Fernsehkanälen

Demgegenüber wächst das Dienstleistungsangebot der britischen Unternehmen für die verkabelten Haushalte beständig an. British Telecom beispielsweise hat die Tochterfirme "Game Star" gegründet; sie offeriert Konsolen und Adapter für elektronische Spiele, die mit Heimcomputern betrieben werden können. Banken, Versicherungen, Wettbüros, Reisebüros sowie Heimcomputerhersteller und -anbieter sehen ebenfalls über CATV neue Wege, um ihre Waren und Produkte zu vertreiben: In England wird es künftig auch möglich sein, regional abgegrenzte Fernsehkanäle im Wege des Leasing-Verfahrens zeitlich befristet zu mieten, um Mitteilungen und Programme an die Endverbraucher zu senden.

Zu den Unwägbarkeiten bei den Kabelpilotprojekten trägt aber auch das bereits angelaufene Satellitenfernsehen bei. Noch ist nämlich nicht absehbar, ob hierdurch die Ausweitung des CATV gefördert oder ergänzt wird. Die Regierung in London hat kürzlich die öffentliche Rundfunk- und Fernsehgesellschaft BBC autorisiert, versuchsweise mit der Ausstrahlung von Satellitensendungen (Direct Broadcasting by Satellite, DBS) zu beginnen. Ab Februar nächsten Jahres ist der Empfang von in England produzierten Programmen über Parabolspiegel zwischen 60 und 90 Zentimeter Durchmesser möglich, wobei die Antennenkosten derzeit bei etwa 250 Pfund oder umgerechnet etwa 1000 Mark liegen.

Von 1986 an beabsichtigt die BBC, über die beiden Fernsehkanäle DBS 1 und DBS 2 regelmäßige TV-Programme via Satellit auszustrahlen. Hierfür sind Gelder in Höhe von 168 Millionen Pfund vorgesehen. Neben der BBC haben auch die in der ITV zusammengeschlossenen privaten Fernsehgesellschaften kürzlich von Innenminister Leon Brittain die Genehmigung erhalten, ab 1986 zwei DBS-Fernsehkanäle zu betreiben.

Ab Februar '84 über ECS 1

Parallel dazu hat der britische Pressekonzern "News International", zu dem unter anderem die "Times", die "Sun" sowie die "News of the World" gehören, einen 65prozentigen Anteil an der Firma "Satellite Television" (SATV) erworben. SATV sendet derzeit bereits täglich ein zweistündiges Satellitenprogramm an Zuschauer nach Finnland, Norwegen und in die Schweiz über den "European Orbit Test Satellite" (OTS). Vom Februar 1984 an wird SATV über den neuen europäischen Satelliten ECS 1 auch Satellitenprogramme nach Großbritannien ausstrahlen.

Das Problem der großflächigen Satellitenausstrahlung über die Grenzen Europas hinweg führte zu einer Initiative Großbritanniens, eine einheitliche Bildqualität durch die Anwendung des "Multiplex Analogue Components Systems" (MAC) zu gewährleisten. Bisher liegt allerdings noch keine endgültige Zustimmung Frankreichs, wo das "Secam"-Verfahren angewendet wird, und der Bundesrepublik - dort ist das "Pal"-System die Norm - vor.

Darüber hinaus ist auch eine gemeinsame europäische Haltung zu den Grundsätzen über die Ausstrahlung von Fernsehwerbung bisher noch nicht in Sicht. Alle britischen Kabelfernseh-Programmgesellschaften, die sich jetzt um die neue Lizenzerteilung beworben haben, das waren immerhin insgesamt 37, sind jedoch bereit, Fernsehkanäle für die ins Haus stehenden Satellitenprogramme zur Verfügung zu stellen.

Die ersten elf Lizenznehmer des "Multi-Channel Cabel Television" in Großbritannien

- Aberdeen: "Aberdeen Cable Services";

- Belfast: "Ulster Cablevision";

- City of Westminster: "Westminster Cable";

- Coventry: "Coventry Cable;

- Croydon: "Croydon Cable Television";

- Ealing: "CableTel Communications";

- Guildford: "Rediffusion Consumer Electronics"

- Norths Glasgow: "Clyde Cablevision";

- South Liverpool: "Merseyside Cablevision";

- Swindon: "Swindon Cable Services";

- Windsor, Slough und Maidenhead: "Windsor Television".