Massive Vorwürfe gegen die U.S. Chamber of Commerce:

Lobbyismus mittels Computer

23.05.1975

WASHINGTON-D. C. - "Eine gekonnte Art politischer Einflußnahme mittels Computer" wirft die amerikanische Öffentlichkeit der U. S. Chamber of Commerce vor, einer starken industriellen Interessenvertretung, die in ihrer Bedeutung in etwa vergleichbar ist mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT). Gegenstand der Empörung ist der Einsatz der EDV für gezielten Lobbyismus: Bei der U. S. Chamber of Commerce sind gegenwärtig die Adressen von rund 250 000 Personen auf Magnetband gespeichert, geordnet nach Branchen und Regionen, darunter die der 50 000 Chamber-Mitglieder, - zumeist einflußreiche leitende Angestellte von Industrie-Unternehmen. Ferner wurden die Anschriften aller Senatoren und Kongreßabgeordneten erfaßt mit dem Merkmal ihrer Herkunftswahlkreise. Jede Anschrift ist mit einem Code versehen, so daß es mittels einer installierten IBM 360/40 möglich ist, festzuhalten, welche Chamber-Mitglieder im Wahlkreis bestimmter Politiker ansässig sind.

Zweck der Übung: Sollte ein Gesetz in Vorbereitung sein, das die Pressure Group in ihrem Sinne beeinflussen möchte, dann können einflußreiche Manager flugs mit einem "passenden" Schreiben aufgefordert werden, sich mit den Senatoren beziehungsweise den Abgeordneten ihres Wahlkreises in Verbindung zu setzen, um die "Meinung des Volkes" den Parlamentariern bekannt zu machen.

Direkter Kontakt

Wer die amerikanischen Verhältnisse kennt, weiß, daß der Kontakt des amerikanischen Bürgers zu "seinem" Congressman seines Wahlkreises sehr viel stärker ist, als beispielsweise in der Bundesrepublik. So ist es in den USA durchaus üblich, daß sich der Bürger mit einem bestimmten Anliegen direkt an "seinen" Parlamentarier wendet und dieser, - selbstredend auf Wählerstimmen angewiesen -, versucht, diesem Wunsch entgegenzukommen. Das Computer-Verfahren der U. S. Chamber of Commerce soll noch verbessert werden. Dazu wurden einflußreiche Chamber-Mitglieder mehrfach aufgefordert, "jene Senatoren und Kongreßabgeordnete zu nennen, mit denen Ihr Unternehmen engere Verbindungen unterhält... Das wird uns ermöglichen", so die U. S. Chamber of Commerce, "die richtigen Leute rechtzeitig zu informieren, wenn eine spezielle Unterstützung bei einer entsprechenden Gesetzgebung nötig sein sollte...". Der Computer liefert die Adressen gleich mit.

"Nichts ist illegal"

Eingeweihte behaupten, daß diese US-Manager, sprich Chamber-Mitglieder, in "dringenden Fällen" sogar nach schriftlichen Aktionen bewegt werden sollen, selbst nach Washington zu fahren und mit den Politikern persönlichen Kontakt herzustellen. Gegenüber den massiven Vorwürfen seitens der amerikanischen Presse gibt sich der Lobbyisten-Verein ganz naiv: Nichts sei am Vorgehen der Chamber illegal: "Die Presse hat das >Projekt< absolut überbewertet."