"Ich warte, bis erste Benchmark-Tests vorliegen"

Lob für DEC-Mainframe, doch Kaufinteressenten zögern

10.11.1989

MÜNCHEN (jm) - Mit der Vorstellung der VAX 9000-Mainframe hat sich DEC auf ein Marktsegment eingeschworen, das einige Risiken birgt. Obwohl die ersten Reaktionen auf Digitals Großrechner positiv ausfielen, drängen sich Fragen über die Zukunftschancen des leistungsstärksten DEC-Rechners auf Einige Zahlen verheißen nicht nur Positives.

Der Mainframe-Bereich gehört zu den überschaubaren Marktsegmenten des Computergeschäftes. Auch wenn mit Tandem Computers und Digital Equipment nun zwei weitere Konkurrenten im Kreis der Großrechnerhersteller mitbieten, es bleibt doch ein intimes Kammerkonzert, in dem nur wenige Unternehmen das technische Know-how und die Finanzkraft zur Unterhaltung von E&F-Abteilungen besitzen, um im Konzert der Großen mitspielen zu können.

Fixpunkt und Maß aller Dinge ist hier wie in kaum einem anderen Rechnerbereich IBM. Bei einer Marktdurchdringung von 70 Prozent fällt der Konkurrenz unweigerlich die Rolle des "follower up" zu. Big Blue setzt die Normen und für die Konkurrenz stellen sich zwei Alternativen: entweder kann man mit einer technologischen Übererfüllung des Plansolls aufwallen, oder man zieht mit Big Blues State-of-the-art gleich. Das darf den Kunden dann allerdings höchstens die Hälfte des aus Armonk vorgegebenen Preises kosten. Und auch dann muß man sich als Mainframe-Anbieter bis auf weiteres mit der Aufsteiger-Klientel begnügen, die schon aus dem Midrange-Bereich akquiriert wurde. Das Geschäft ist hart im Großrechnermarkt.

Dazu paßt, daß die gesamte Branche nicht gerade mit positiven Geschäftsergebnissen glänzt. Wenn die IBM für das letzte Quartal einen 30prozentigen Gewinnrückgang verzeichnet, so kann man davon ausgehen, daß sich dieser Trend möglicherweise durch die Einführung ihrer neuen 3390-Plattenspeicher wieder abfangen läßt.

Anders bei der Konkurrenz: Der mit 9,1 Prozent Marktanteil zweitgrößte Anbieter von Mainframes, die Unisys Corp., hatte ihren Aktionären gerade einen Quartalsverlust von 648,2 Millionen US-Dollar beizubringen. DEC, zweitgrößter Computeranbieter weltweit nach IBM, knabbert an einem 33prozentigen Gewinnrückgang, den es im ersten Geschäftsquartal (Ende 30. September) hinnehmen mußte.

Amdahl, Drittgrößter im Reigen der Großrechnerhersteller, führt unter anderem die agressiven Preise im zunehmenden Wettbewerb als Erklärung für die um 37 Prozent rückläufigen Gewinnzahlen des dritten Quartals an. Control Data ist vor allem damit beschäftigt, lukrative Unternehmenszweige wie Speicherperipheriehersteller Imprimis zu verkaufen, ihre Dienstleistungsbereiche zu verhökern und ihre ETA-Superrechner einzustampfen.

Sowohl für Tandem als auch DEC gilt, daß beide ihre Hoffnungen nähren an den vorhergesagten Zuwachsraten und steigenden Gewinnmargen im Mainframe-Bereich. Frank Gens, Analyst bei der International Data Corp. (IDG) sieht eine kontrapunktische Marktentfaltung: "Die Entwicklung verläuft in Richtung der High-end- und der Low-end-Systeme. Die Midrange-Szene ist Niemandsland, weshalb DEC und Tandem gar nichts anderes übrigblieb, als sich nach oben orientieren." Wieviel von den aufgehenden Mainframekuchen sie sich sichern können, ist jedoch unklar.

Branchenkenner räumen beiden vor allem dann Marktchancen ein, wenn sich ein Bedarf für spezielle Applikationsverarbeitungen entwickelt. Konsequenterweise betonen Tandem und DEC insbesondere auch die OLTP-Fähigkeiten (On-LineTransastion-Processing) ihrer Großrechner. Allerdings machen sie sich damit vor allem gegenseitig Konkurrenz. Sowohl IBM-Kunden als auch Branchenkenner winken ab bei der Diskussion um DEC oder Tandem als Optionen zu /370-Systemen. Bereits der äußerst beschwerliche Umstieg auf andere proprietäre Software stünde dem entgegen.

Besonders DEC scheint nach Meinung von Beobachtern zum erneuten Schritt in Großrechnergefilde gezwungen gewesen zu sein. Damit könne Digital seinen eigenen Kunden den kompatiblen Durchmarsch von der Mini- über die Midrange- bis zur Mainframe-Welt offerieren. Genau auf diese Durchgängigkeit wurde bei der Vorstellung des VAX-9000-Rechners auch besonders abgehoben. Immerhin kann man bei Digital auf eine installierte Basis von etwa 15 000 High-end-VAX-Systemen verweisen. Deren zirka 6500 Applikationen sollen laut Digital alle auch auf der Mainframe laufen.

Außerdem erwies man sich in Maynard als sehr beweglich bei Formulierungen und Definitionen. "Das Wort Mainframe hat ab jetzt eine neue Bedeutung," meinte Harvey Weiss, Vice-President der Government Systems Group von DEC. Der Mainframe solle nicht mehr ein zentraler Großrechner sein, sondern Teil einer dezentralisierten Welt, in der er das Zusammenspiel von PCs, Workstations, Druckern und weiterer Peripherie sicherstelle. Diese Argumentation ist auf DECs Angebotsspektrum zugeschneidert und pariert gleichzeitig das Argument von Anwendern, als Host-, also Zentralrechner, komme eine DEC-Mainframe nicht in Frage. Hier würde kein Weg an IBM vorbeiführen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß - geht es um die Leistungsfähigkeit des Systems - erste Reaktionen auf DECs VAX 9000 positiv ausfallen. Verhaltend sind jedoch die Antworten, kommt die Frage auf Kaufabsichten. Für viele Digital-Kunden steht vor einer Aufrüstung auf die neue DEC-Mainframe eine Clusterung mittlerer Rechner als Option an. Mindestens 70 Prozent der DEC-Verkäufe resultieren immerhin aus geclusterten Systemen.

Deutet man zudem erste Aussagen richtig, so scheint keiner die Vorreiterrolle beim Kauf einer VAX 9000 übernehmen zu wollen. Das mag damit zusammenhängen, daß DEC bei der Vorstellung nicht mit Testzahlen für ihren neuen Mainframe aufwarten konnte. Transaction-Processing-Benchmarks werden erst im ersten Quartal des kommenden Jahres zur Verfügung stehen. Die von DEC angegebenen 44 bis 70 Transaktionen pro Sekunde sind lediglich hochgerechnete Ergebnisse aus Tests mit einer High-end-VAX 6000. Im Vergleich der Zykluszeiten eines VAX-9000-Prozessors zu dem einer IBM 3090-180S schneidet Big Blue marginal besser ab: 15 Nanosekunden gegenüber 16 bei DEC machen den kleinen Vorteil aus. Laut DEC sei die Leistungsfähigkeit der Skalarprozessoren denen einer IBM 3090-180S vergleichbar, die ihrer Vektorprozessoren höher.

Ohne endgültige Testergebnisse vorweisen zu können, muß man sich bei Digital momentan noch mit Versprechungen begnügen. Dies betrifft auch das modifizierte VMS-Betriebssystem, das mit den Rechnern im Frühjahr 1990 ausgeliefert und von ersten Kunden ausgetestet werden wird. William Strecker, Vice President für Produktstrategien und -architekturen bei DEC verspricht: "VMS ist im hohen Maße befähigt, die sehr großen Datenbankanwendungen und Transaktions-Processing-Applikationen zu unterstützen, die in diesem Bereich anfallen." Bis auf die Fähigkeit, Vektor-Prozessoren zu unterstützen, wird es jedoch zunächst kaum Veränderungen aufweisen. Zu den Erweiterungen, die dem VMS-Betriebssystem peu a peu appliziert werden, gehören auch TP-Fähigkeiten.

Applikationen für den neuen Mainframe konnte DEC allerdings schon präsentieren: 80 Anwendungen für Finanz- und Bankwesen, Administration, Engineering, für wissenschaftliche und Industriebereiche unter anderem gibt es bereits. Außerdem hat CA ein Abkommen mit DEC getroffen, innerhalb der nächsten 18 Monate Applikationen unter VMS für VAX-Systeme zu liefern. Die Netzwerkmanagement-Software Netman befindet sich in der Testphase. Softwareprodukte wie System-Überwachungs-Applikationen und Resource-Management-Tools werden folgen.

Trotzdem warten Anwender jetzt auf die Stunde der Wahrheit: "Ich halte mich zurück, bis ich die ersten Performance-Zahlen lesen kann." Diese Antwort von Mike Beardslee, MIS-Direklor eines Unternehmens in Utah, war bei Anwendern immer wieder zu hören. Solange die nicht vorliegen, wird viel über der VAX 9000 diskutiert werden. Was DEC jedoch braucht, sind Aufträge. Bis die Verkaufszahlen für den Mainframe auf die Bilanz durchschlagen, zu noch ein Geschäftsjahr ins Land ziehen.

DEC auf schwankendem Boden?

Man bietet einiges in Maynard: Die neue VAX 9000 ist luftgekühlt und unter anderem deshalb erheblich kostengünstiger als ein IBM-Mainframe Sie wartet mit 256 Megabyte Hauptspeicher mit ECC-Technologie (Error Correcting Code) auf eine Erweiterung auf maximal 512 Megabyte ist möglich. Sobald 4-Megabit-Chips verfügbar sind, stehen dem Anwender gar zwei Gigabyte Arbeitsspeicher zur Verfügung. Kein anderer Hersteller biete solches, tönt es selbstbewußt aus dem Mund von Peter Ross, DECs Produktmanager für den High-end-Bereich.

Man bietet mehr: Weitere Accessoires sind die integrierte Vektorverarbeitung und schnellere I/O-Interfaces für VAX-Cluster. Je nach der Konfiguration des Systems unterstützt eine VAX 9000 bis zu vier XMI-Kanäle, die jeweils einen Datendurchsatz von 80 Megabyte pro Sekunde erlauben. Pro XMI-Kanal lassen sich 12 Interfaces ansprechen. Speicherperipherien von 48 Gigabyte bei dem Basismodell 210 bis zu 222 Gigabyte für die Endausbaustufe, die VAX 9000-440, können über den KDM70-Disk- und Bandkontroller angesprochen werden Bis zu vier - insgesamt somit 16 - XMI-kompatible Adapter pro CPU des DEGLAN-Kontrollers-400 verbinden eine VAX 9000 mit einer gleichen Anzahl von LAN-VAX-Clustern, Ethernet V2.0- und IEEE 802.3-Netzwerken. 80 speziell für den neuen Rechner geschriebene Applikationen konnte DEC bei der Vorstellung bereits präsentieren, eine Zusammenarbeit mit CA sichert weitere Software für die Zukunft.

All das ist Faktum, und die Litanei ließe sich beliebigfortsetzen. DECs neue Mainframe erntet Vorschußlorbeeren in Hülle und Fülle. Nur kaufen will sie keiner. Der Anwender erinnert sich, das DEC bereits einen Versuch hinter sich hat, mit DECsystemen in der Geschäftswelt Fuß zu fassen. Erfährt - wenn auch teuer - seit Jahren gut mit IBM. Und er scheut das Risiko. Versprochen wird viel von DEC. Konkrete Ergebnisse jedoch liegen noch nicht vor. Deshalb wartet nun jeder auf den ersten Käufer. Wenn das mal gut geht. jm