"Linux wird zum Zoo"

20.02.2006
Über die Entwicklungen in Sachen Utility Computing sprach Suns Deutschland-Chef Marcel Schneider mit CW-Redakteur Martin Bayer.

CW: Scott McNealy zufolge hat sich Sun neu erfunden. Wollen Sie mehr in Richtung Servicegeschäft gehen?

Schneider: Strategisch sind wir ganz klar auf Technik ausgerichtet und werden es auch bleiben. Wettbewerber wie Hewlett-Packard haben sich von der Technik verabschiedet und stärker in Richtung Services orientiert. Das kommt für Sun nicht in Frage, wie man schon an den innovativen Produkten sieht, die wir in der jüngsten Vergangenheit vorgestellt haben.

CW: Was ist daran so innovativ?

Schneider: Zum Beispiel unsere neuen T1-Server mit acht Rechenkernen pro CPU, die 32 Threads parallel abarbeiten können. Das gab es vorher nicht. Man kann diese Technik weder auf der Roadmap von Hewlett-Packard noch bei IBM finden. Sun bietet mit diesem Chip dreifache Leistung bei halbem Stromverbrauch. Das sind Innovationen, die der Markt braucht.

CW: Server sind doch aber das klassische Geschäft von Sun?

Schneider: Die T1-Server sind nur ein Beispiel. Sun ist nicht nur Hardwarelieferant. Wir sehen uns selbst als Lösungsanbieter im Umfeld Network Computing.

CW: Wie hat sich Suns Idee des Utility Computing weiterentwickelt?

Schneider: Wir haben mittlerweile drei Rechenzentren aufgebaut. Dafür bieten wir zwei Modelle an: ein "Commercial Grid" und ein "Enterprise Grid". Auf das Commercial Grid kann jeder zugreifen und Rechenleistung für einen Dollar pro CPU-Stunde abrufen. Hier stecken wir gerade in der Versuchsphase. Das Enterprise Grid adressiert Unternehmen, die Rechenleistung auslagern wollen. Dafür gibt es bereits eine Reihe von Betakunden.

CW: Für die Kunden steht doch der Betrieb der Softwarelösung im Vordergrund. Wer übernimmt diesen Teil?

Schneider: Sun stellt nur die Rechenkapazität zur Verfügung. Auf der Seite des Kunden laufen die Applikationen und die Grid-Technik. Er schickt uns ein Image in unser Rechenzentrum. Dort arbeiten unsere Rechner die entsprechenden Aufgaben ab. Für den Kunden ist dieses Modell deshalb so sexy, weil er völlig flexibel auf die benötigte Rechenleistung zugreifen kann. Die Kosten sind absolut transparent - egal welche Hardware, Services oder Softwarelizenzen dahinter stecken.

CW: Viele Softwarehersteller springen derzeit auf den On-Demand-Zug und betreiben wie Oracle eigene Rechenzentren. Läuft damit die Entwicklung nicht an Sun vorbei?

Schneider: Im Gegenteil. On-Demand bringt im Grunde erst dann etwas, wenn es aus einem Grid heraus geliefert wird. Es gibt heute nur zwei Hersteller, die die notwendige Plattform dafür bereitstellen können: Das sind IBM und Sun. Beide verfügen über die notwendige Technik aus Hardware, Betriebssystem, Middleware und Grid-Technik. Der große Unterschied liegt jedoch im Betriebssystem. Das Container-Konzept von Solaris erlaubt es, verschiedene Kunden über das Grid zu bedienen und dieses gleichzeitig effizient auszulasten. Die Konkurrenz verfügt zwar über ähnliche Konzepte, allerdings fällt die Leistung des Betriebssystems ab, sobald mehr Container zusammengeschaltet sind. Das ist so, als ob bei mir zu Hause das Licht schwächer wird, sobald ich zusätzlich das Fernsehgerät einschalte.

CW: Oracle betreibt in seinem zentralen On-Demand-Rechenzentrum eine Kombination aus günstigen Dell-Rechnern unter Linux. Was kann Sun gegen diese Kombination setzen?

Schneider:Viele Kunden haben sich in der Vergangenheit auf diese Kombination gestürzt. Allerdings sehen sie sich heute wegen zahlreicher unterschiedlicher Linux-Derivate mit einer steigenden Komplexität konfrontiert. Damit steigen auch die Kosten. Wir reden zurzeit mit vielen Kunden darüber, Linux auf Open Solaris zu migrieren. Das ist eine zertifizierte Plattform mit einem einheitlichen Wartungsvertrag. Der Kunde hat nicht sieben oder acht unterschiedliche Betriebssystem-Derivate im Einsatz.

CW: Befürchten Sie im Linux-Umfeld eine ähnliche Zersplitterung wie bei Unix?

Schneider: Wir haben vor drei Jahren auf Wunsch vieler Kunden Solaris-Applikationen auf Linux portiert und zahlreiche Projekte mit unseren x86-Servern unter Suse- beziehungsweise Red-Hat-Linux abgewickelt. Das haben viele andere Hersteller wie IBM, HP oder Dell auch gemacht. Es gibt Kunden, die rund 200 Applikationen unter Linux betreiben, allerdings unter sieben oder acht verschiedenen Distributionen. Für jeden Kernel ist ein Wartungsvertrag notwendig. Es entwickelt sich ein wilder Zoo. Das führt dazu, dass die Kosten massiv steigen.

CW: Was macht Sun mit Open Solaris anders?

Schneider: Dem Geschäftsmodell nach ist Open Solaris genau das Gleiche wie Suse oder Red Hat. Der Vorteil ist das Qualitäts- und Zertifizierungsprogramm von Sun. Die Open Community bringt die Innovation. Sun achtet aber darauf, dass beispielsweise die Binärkompatibilität gewährleistet ist und die unabhängigen Softwarehäuser zertifiziert sind. Wir wollen von diesem Zoo wegkommen. Der Grundgedanke von Open Source, nur für den Service zu zahlen, nicht aber für den Code, ist brillant. Die negativen Begleiterscheinungen wollen wir jedoch vermeiden.