Aber keine genauen Benutzerzahlen

Linux schafft Durchbruch zum Massenprodukt

05.06.1998

Die Anzeichen dafür, daß Linux nicht mehr bloß ein System für Freaks und Hacker ist, sondern auch in größerem Maßstab kommerziell genutzt wird, sind vielfältig. Es fällt beispielsweise auf, daß Linux-Distributoren durch Werbeanzeigen in Fachzeitschriften stärker auf sich aufmerksam machen und auf IT-Messen regelmäßig vertreten sind. Die zunehmende Zahl von meist positiven Beiträgen in PC-Magazinen und die erstaunlich umfangreichen Linux-Regale in den Buchhandlungen bestätigen diesen Trend. Einige renommierte Hersteller kündigten in den letzten Wochen die Portierung ihrer Software auf das Unix-Derivat an, darunter Inprise (ehemals Borland), Corel und Netscape.

Linux hat festen Platz in Wissenschaft und Forschung

In Wissenschaft und Forschung, wo es auf Stabilität, Flexibilität und vor allem auf einen günstigen Preis ankommt, hat sich Linux schon seit einigen Jahren einen festen Platz erobert. So setzt die Nasa vermehrt auf freie Software wie Linux und Compiler des GNU-Projekts. Die US-Behörde will damit nicht nur Geld sparen, sondern vertraut auf freie Tools, weil die lange Dauer von Raumfahrtprojekten auch eine entsprechende Lebensdauer der Software erfordert. Die freie Verfügbarkeit des Quellcodes ermöglicht die Weiterentwicklung der Werkzeuge über den ganzen Projektzeitraum.

Linux ist mittlerweile auch bei den professionellen Anwendern angekommen, auch wenn sein Einsatz bei vielen Firmen mehr inoffiziellen Charakter hat. IT-Verantwortliche gestehen dem System Stabilität und besondere Eignung für Internet- und Intranet-Dienste zu. Sind aber gerade in puncto Support immer noch mißtrauisch, weil sie sich dafür an keinen großen Hersteller wenden können. Oft ist es der Web-Server, der durch das Gespann Linux und den ebenfalls freien HTTP-Server "Apache" betrieben wird.

Seltener nutzen Unternehmen den Unix-Abkömmling am Desktop, weil er technisch weniger versierte Anwender überfordert. Außerdem spricht häufig der Mangel populärer Office-Pakete gegen einen solchen Einsatz. Die Linux-Version von "Wordperfect" könnte diese Situation aber verbessern.

Auch wenn sich eine steigende Beliebtheit von Linux feststellen läßt, so existieren mangels lizenzrechtlicher Einschränkungen keine genauen Nutzerzahlen. Da die meisten Distributionen beliebig oft kopiert und installiert werden dürfen, helfen auch deren Verkaufszahlen nicht viel weiter. Die Web-Seite Linux Counter http://counter.li.org versucht durch freiwillige Registrierung der Anwender Aufschluß über die Verbreitung des Freeware-Systems zu erhalten, aber die etwa 60000 bisher dort eingegangenen Meldungen sind selbst bei vorsichtiger Schätzung nur ein Bruchteil der tatsächlichen Nutzer. Die im Internet kolportierten Zahlen liegen bei fünf bis 7,5 Millionen.

Die Aachener Linux User Group möchte auf einem anderen Weg die Verbreitung von Linux ermitteln http://aachen.heimat. de/alug/charts . Sie sucht seit einigen Wochen täglich auf den größten Web-Suchmaschinen nach den Namen der gängigen PC-Betriebssysteme (Windows 95, NT, Linux, OS/2 und Mac-OS). Der relative Anteil der Dokumente, die ein Betriebssystem erwähnen, soll dabei Aufschluß über die tatsächliche Verbreitung geben. Die Abbildung zeigt Ergebnisse von Altavista. Wenig überraschend ist, daß Windows 95 mit 40 bis 45 Prozent das mit Abstand meistgenannte Betriebssystem ist. Es erstaunt aber schon, daß Linux und Windows NT etwa gleich oft auftauchen (20 bis 25 Prozent), während OS/2 und vor allem Mac-OS mit weniger als zehn beziehungsweise fünf Prozent deutlich abgeschlagen sind. Diese Verhältnisse bestätigen alle anderen herangezogenen Suchmaschinen, wobei Hotbot mit dem absolut größten Datenbestand sogar etwa 30 Prozent Linux-Anteil liefert.

Nun ist auch die relative Anzahl der Web-Dokumente, die den Namen eines Betriebssystems erwähnen, nicht zwangsläufig ein Anzeichen für dessen Nutzung. Dies trifft aber auch für die von vielen Herstellern angegebenen Verkaufszahlen zu. Gerade im Bereich der Massen-, Firmen- und Campus-Lizenzen ist aufgrund der Preisgestaltung der Anbieter damit zu rechnen, daß längst nicht alle eingekauften Lizenzen auch eingesetzt werden. So rechnet beispielsweise Apple offiziell mit rund 60 Millionen Nutzern weltweit. Die geringe Präsenz von Mac-OS in Web-Dokumenten läßt aber vermuten, daß diese Zahlen unrealistisch oder daß Macintosh-Anwender im Web unterrepräsentiert sind. Umgekehrt könnte Linux vergleichweise zu oft Erwähnung finden, weil die gesamte Entwicklung über das Internet koordiniert wird und ein Großteil des Supports ebenfalls über dieses Medium stattfindet. Diese Möglichkeit verweist auf einen Schwachpunkt des gesamten Verfahrens, weil es nur Anbieter von Web-Inhalten erfassen kann. Es ist nämlich unklar, inwieweit diese Gruppe typisch für die Gesamtheit aller Computernutzer ist.

Als Fazit gilt: Linux boomt und hat angesichts der zunehmenden Unterstützung durch kommerzielle Anbieter rosige Zukunftsaussichten. Bestätigt wird diese Einschätzung durch den Marktforscher Datapro, dem zufolge das freie Betriebssystem innerhalb eines Jahres von Platz sieben auf Platz vier unter den installierten Unix-Derivaten vorstieß.

Michael Eilers (eilersqrmi.de) arbeitet als freier Autor in München.