IT-Verantwortliche erhoffen sich Kostenvorteile

Linux profitiert von der Branchenkrise

11.10.2002
MÜNCHEN (CW) - In den Messehallen der Systems 2002 sind weit weniger Anbieter von Open-Source-Software vertreten als noch im Vorjahr. Doch der Schein trügt. Deutsche Unternehmen setzen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verstärkt auf Linux-basierende Server-Plattformen. Sie erhoffen sich in erster Linie Kosteneinsparungen.

Die Branchenkrise trifft die Münchner IT-Messe besonders hart. Das gilt auch für den diesjährigen Linux-Park, in dem nicht einmal die großen Linux-Distributoren Suse und Red Hat mit eigenen Ständen vertreten sind. Dennoch prognostizieren Analysten den Open-Source-Anbietern solide Zuwachsraten.

21 Prozent der deutschen Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern setzten derzeit Linux als Server-Betriebssystem ein, hat das Kasseler Marktforschungsunternehmen Techconsult ermittelt. Bis zum Jahr 2004 werde sich der Anteil auf 25 Prozent erhöhen. Für die Studie befragten die Experten 951 Unternehmen unterschiedlicher Größe.

Total Cost of Ownership

Die Meta Group kommt in einer Befragung von 90 IT-Entscheidern zu einer ähnlich optimistischen Einschätzung. Demnach denken neun von zehn Unternehmen in Deutschland darüber nach, innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre Linux zu verwenden. Der wichtigste Grund, das quelloffene Betriebssystem zu nutzen, ist für jeden vierten IT-Leiter die Kostenreduzierung (siehe Grafik "Gründe für den Linux-Einsatz"). 61 Prozent erwarten allgemein niedrigere Gesamtkosten im IT-Betrieb (Total Cost of Ownership).

Diese Angaben passen zu den Ergebnissen der Techconsult-Studie. Derzufolge gaben 29 Prozent der Linux-Nutzer an, signifikante Kosteneinsparungen erreicht zu haben. 24 Prozent sprachen von deutlichen Spareffekten. Zukünftig erwarten rund 64 Prozent der Linux-Anwender signifikante oder deutliche Einsparungen. "IT-Budgetrestriktionen und Konsolidierungsanforderungen sind derzeit und zukünftig die wesentlichen Treiber der Linux-Entwicklung", erläutert Studienautor Carlo Velten.

Vorreiter in Sachen Open Source sind Telekommunikationsfirmen und Non-Profit-Organisationen; das stärkste Wachstum für Linux auf dem Server verzeichnen Versorgungsunternehmen und die öffentliche Verwaltung. Gerade Behörden hätten auch langfristig mit knappen IT-Budgets zu kämpfen, so Velten. Aktuelle politische Initiativen - bekanntestes Beispiel ist der Linux-Einsatz im Deutschen Bundestag - beeinflussten die Entwicklung stärker als in anderen Segmenten.

Pro und Contra

Insgesamt sieht Techconsult in erster Linie betriebswirtschaftliche Gründe, sprich geringere Lizenz- und Update-Kosten, als Motive für den Linux-Einsatz. Aus technischer Sicht nannten die Befragten Stabilität und Performance sowie das hohe Sicherheitsniveau. Als zentrale Argumente gegen die Nutzung von Linux als Server-Betriebssystem gelten das noch unzureichende Angebot an Business-Lösungen und fehlende Referenzen. Auch der hohe Installations- und Administrationsaufwand sowie das als unzureichend empfundene Service- und Supportangebot hielten viele Unternehmen vom Linux-Einsatz ab.

Die Meta Group kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: "Die Anwender sind in puncto Kosteneinsparung, Performance und Stabilität sehr zufrieden", erklärte Senior Consultant Markus Huber-Graul gegenüber der CW-Schwesterpublikation "CIO". Die Softwareunterstützung, der Installationssupport und der Administrationskomfort würden hingegen noch als "neuralgische Punkte" betrachtet. Aus der Sicht von Techconsult sind diese Vorbehalte allerdings zu relativieren: Das wachsende Angebot an Business-Lösungen und Services werde von den IT-Entscheidern antizipiert, beobachtet Velten. In diesem Sinne verringere sich die Relevanz der Gründe gegen den Linux-Einsatz.

Vor diesem Hintergrund lautet eine weitere Erkenntnis, dass sich die Anwendungsfelder für Open-Source-Software verändert haben. Zwar zählen laut Techconsult noch immer Web-Server (Internet/Intranet), Firewalls und Mail-Server zu den wichtigsten Einsatzgebieten. Bei den derzeitigen Linux-Anwendern werde die Relevanz von Linux innerhalb der strategischen IT-Planung aber weiter zunehmen. Den höchsten Bedeutungszuwachs erreiche das Betriebssystem in den Bereichen Datenbank- und Applikations-Server.

Lowend-Datenbanken (My SQL) werden gegenwärtig von rund einem Drittel (27 Prozent) der Linux-Anwender eingesetzt, unternehmenskritische Datenbanken von einem Fünftel. Für klassische Applikations-Server ermittelten die Kasseler einen Einsatzgrad von 18 Prozent unter den Linux-Anwendern. Dieser Bereich weise eine überdurchschnittliche Steigerungsrate auf. So würden bis 2004 rund 26 Prozent der Linux-Anwender auch Applikations-Server unter Linux betreiben, was einem Wachstum von rund 38 Prozent entspricht.

Die Erfahrungen der etablierten Softwareanbieter scheinen ebenfalls in diese Richtung zu gehen. So erklärte ein SAP-Mitarbeiter bereits Ende letzten Jahres gegenüber der CW, die Anzahl deutscher Anwender, die die betriebswirtschaftliche Standardsoftware R/3 unter Linux einsetzten, sei weit größer als allgemein angenommen (siehe CW 51/01, Seite 33). Diesen Angaben zufolge nutzten damals bereits 302 deutsche Unternehmen das Open-Source-System als Server-Plattform für R/3 oder Mysap.com. Weltweit soll die Zahl bei 530 Unternehmen oder Organisationen gelegen haben.

Weniger optimistisch bewerten Marktforscher die Perspektiven für Linux auf dem Mainframe - trotz der immensen Marketing-Anstrengungen von IBM. Zwar nutzen immer mehr Unternehmen diese Kombination, berichtet Techconsult. Das Potenzial sei aber auf Großanwender mit bereits installierten Host-Systemen beschränkt. Meta-Group-Berater Huber-Graul meint dazu: "Linux auf dem Mainframe wird zwar als interessant bewertet, aber nicht als Hauptkriegsschauplatz angesehen."

Dass die wachsende Popularität von Linux vor allem zu Lasten Microsofts gehen könnte, bezweifeln deutsche IT-Verantwortliche. Knapp die Hälfte der von Techconsult Befragten geht davon aus, dass nach einer Etablierung des quelloffenen Systems vor allem Unix-Derivate verdrängt werden. Lediglich ein Viertel der IT-Entscheider erwartet eine bedeutende Substitution von Microsofts Server-Betriebssystemen. Auch Gartner-Analyst Matthew Boon kommt zu dieser Einschätzung. Der Effekt der Verbreitung von Linux werde darin bestehen, dass es das Ende der vielen Unix-Derivate einläute. Nur AIX von IBM, Solaris von Sun und HP-UX würden überleben. Allerdings werde auch der Durchmarsch von Windows in weniger anspruchsvollen IT-Umgebungen behindert.

Linux auf dem Desktop

Betrachtet man die aktuellen Marktzahlen, so muss Microsoft auf mittlere Sicht auch im Desktop-Segment nicht allzu viel Verluste befürchten. Laut Techconsult nutzen derzeit lediglich sechs Prozent der deutschen Unternehmen mit über 20 Mitarbeitern Linux als Client-Betriebssystem. Bis 2004 soll der Wert auf acht Prozent zulegen.

Vorreiter in Sachen Desktop-Linux sind Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche, die ihre im Server-Einsatz gewonnenen Erkenntnisse nutzen, ferner auch Non-Profit-Organisationen. Besonders öffentliche Verwaltungen würden Linux künftig verstärkt auf PCs verwenden, prognostiziert Techconsult. Der Einsatzgrad werde von heute fünf Prozent auf neun Prozent im Jahr 2004 steigen. Banken und Versicherungen hingegen, die traditionell große PC-Bestände verwalten, hielten sich in Sachen Linux auch künftig zurück. Hier wachse die Verbreitung von drei auf vier Prozent.

Beim Linux-Distributor Red Hat schätzt man das Marktpotenzial offenbar anders ein. CEO Matthew Szulik erklärte Ende August, sein Unternehmen wolle im nächsten Jahr ein umfassendes Angebot von Anwendungen für Linux auf Desktops vermarkten. Auch Sun Microsystems hat inzwischen einen Linux-PC angekündigt.

Lizenzkosten

Die US-amerikanischen Anbieter möchten sich dabei die Verärgerung der Kunden über Microsofts neue Lizenzpolitik zunutze machen, die häufig zu höheren Kosten führt. "Wahnsinnig viele Leute suchen nach einer Alternative", glaubt Szulik nach Gesprächen mit Anwendern. Nach seiner Ansicht könnte sich die Geschichte wiederholen: "Das Linux-Phänomen auf den Servern weitet sich auf die Desktops aus."

Ob sich diese Prognose bewahrheitet, dürfte sich erst in den kommenden zwei Jahren zeigen. Klar scheint dagegen zu sein, welche Hardwareanbieter von der steigenden Linux-Akzeptanz profitieren. Aufgrund der Entstehung von Linux als entwicklerorientiertem Betriebssystem und der derzeitigen Budgetsituation nutzen rund 32 Prozent der Linux-Anwender selbst gebaute Server, hat Techconsult ausgerechnet. Dieser Wert bleibe innerhalb der nächsten Jahre stabil.

Von den etablierten Hardwareherstellern besitzt Compaq mit einem Einsatzgrad von 24 Prozent der Linux-Anwender die stärkste Position, gefolgt von Fujitsu-Siemens Computers (elf Prozent), IBM (elf Prozent) und Hewlett-Packard (sieben Prozent). Durch die Fusion von HP und Compaq werde deren derzeitige Marktposition gefestigt.

Für die klassischen Linux-Distributoren, allen voran Suse und Red Hat, bleibt das Servicegeschäft der große Hoffnungsträger. Im Zuge komplexerer Installationen würden strategische Beratungs- und Planungsdienstleistungen künftig verstärkt nachgefragt, schreibt Techconsult. Zu den Kunden zählten insbesondere Großunternehmen. Der Anteil deutscher Linux-Anwender mit entsprechendem Bedarf werde bis zum Jahr 2004 von acht auf 14 Prozent steigen.

Die bekanntesten Linux-Serviceanbieter aus der Sicht deutscher IT-Entscheider sind Suse und Red Hat, gefolgt von den Hardware-Schwergewichten IBM, Compaq und HP. Suse profitiert dabei von der großen installierten Basis im Heimatmarkt. Rund 76 Prozent der Befragten setzen eine Distribution des Nürnberger Unternehmens auf ihren Servern ein. Red Hat liegt mit 26 Prozent auf Platz zwei, gefolgt von Debian GNU/Linux (acht Prozent) und Mandrake (zwei Prozent). (wh)

Abb: Gründe für den Linux-Einsatz

Jeder vierte IT-Manager, der Linux einsetzt, erwartet sich Kosteneinsparungen. Quelle: Meta Group