Linux öffnet Mainframes den Markt

22.08.2008
Von 
Jan Schulze ist freier Autor in Erding bei München.
Mit dem Open-Source-Betriebssystem erschließen sich den lange als Dinosaurier verschrienen Großrechnern neue Einsatzgebiete.

Kaum eine Technologie wurde in den vergangenen Jahren so oft für tot erklärt wie die Mainframes. Doch trotz aller Grabreden erfreuen sich die Big Irons bester Gesundheit und gehören zu den Kernkomponenten vieler Rechenzentren. Linux hat sich zu einem zentralen Bestandteil der Großrechner entwickelt, der den Maschinen neue Einsatzgebiete erschließt. Die Kombination aus einem Open-Source-Betriebssystem und einer hochgradig proprietären Hardwareplattform scheint dabei nur auf den ersten Blick unpassend. Tatsächlich lassen sich mit Linux auf Mainframes des System z von IBM die Tugenden beider Welten zu einer für viele Einsatzgebiete geeigneten Umgebung verbinden.

Linux oder z/OS?

Aus technischer Sicht nimmt Linux heute auf dem Mainframe eine gleichberechtigte Position gegenüber dem klassischen Großrechner-Betriebssystem z/OS ein. Es wird in der Regel auf Basis des Virtualisierungs-Layers z/VM betrieben und kann damit unabhängig von z/OS existieren. IBM stellt für reine Linux-Workloads ausgelegte Prozessoren - die "Integrated Facilities for Linux" (IFL) - bereit, die bei gleicher Leistung deutlich günstiger als Standardprozessoren für z/OS sind. Das Open-Source-Betriebssystem verfügt über vollen Zugriff auf die Hardwaremerkmale der Plattform. Gleichzeitig sind die Unterschiede zwischen Mainframe-Linux und Linux auf anderen Plattformen wie etwa Intel-basierenden Servern gering. Laut Jens-Gero Boehm, Alliances Manager Central Europe beim Suse-Linux-Anbieter Novell, sind mehr als 95 Prozent der Funktionen identisch.

Technologien ergänzen sich

Damit löst die Verbindung von Linux mit dem Mainframe eine Reihe von Problemen, die jede Technologie für sich genommen hat: Großrechner gelten oft als kompliziert und veraltet, vor allem der IT-Nachwuchs kann sich nur schwer für die großen Eisen begeistern. So ist es für Unternehmen zunehmend schwierig, Personal für die unternehmenskritischen Systeme zu finden. Gleichzeitig trauen zahlreiche Organisationen Linux den Einsatz in hochkritischen Umgebungen noch nicht zu, wo Verfügbarkeit und Sicherheit wichtiger sind als die reinen Kosten. In der Kombination jedoch beseitigt jede der beiden Komponenten die vermeintlichen Schwächen der anderen: Linux bringt nicht nur neue Technologien auf den Host, sondern senkt auch die Hemmschwelle für den Nachwuchs, sich mit der Technik zu befassen. Denn das allgemein verfügbare Linux-Know-how lässt sich uneingeschränkt auf den Großrechner übertragen. Linux wiederum kann bei kritischen Workloads auf die Fähigkeiten der System-z-Architektur zurückgreifen. "Linux profitiert bezüglich Hochverfügbarkeit und der Sicherheit von den Vorteilen der Mainframe-Hardware", erklärt Boehm.

Die Domäne der Mainframes sind unternehmenskritische Anwendungen. Typische Workloads sind ERP-Systeme und Datenbanken. Daran hat sich durch die Portierung von Linux zunächst nichts geändert. Sowohl SAP als auch Oracle haben ihre ERP-Systeme bereits seit einiger Zeit für den Einsatz auf Mainframe-Linux freigegeben und zertifiziert. Der Linux-Mainframe bietet sich damit als Konsolidierungsplattform im ERP-Umfeld an (siehe Seite 18): In der Regel werden Datenbanken und Applikationen auf dedizierten Systemen betrieben. Die Kommunikation zwischen den Servern erfolgt dabei über das Netzwerk. Werden alle Instanzen hingegen auf einem Großrechner betrieben, entfällt dieser Flaschenhals. Denn das Netzwerk ist zum einen nur für eine relativ niedrige Übertragungskapazität ausgelegt, zum anderen bieten die Netzwerkkomponenten viel Angriffsfläche für Hacker. Der Mainframe hingegen erledigt die komplette Kommunikation zwischen Anwendungen und Datenbank systemintern über "Hypersockets" - mit deutlich schnelleren Datenwegen und unangreifbar für Unbefugte. Gleichzeitig sind die einzelnen Instanzen durch die Virtualisierungstechniken, die beim Mainframe seit langem ein elementarer Bestandteil sind, sicher voneinander getrennt. Dadurch können auch Test- und Produktivumgebungen auf derselben physikalischen Maschine betrieben werden. Somit steht für die gesamte ERP-Infrastruktur eine einheitliche Plattform bereit, die zudem beim Umgang mit zahlreichen Usern deutlich leistungsstärker ist als Standard-Server. Auch ist die Energiebilanz eines Mainframes wesentlich günstiger als die einer ähnlich leistungsstarken verteilten Umgebung - in Zeiten rapide steigender Energiekosten ein gewichtiger Aspekt.

Neue Aufgaben durch Linux

Mit Linux öffnete sich der Großrechner auch für neue Workloads. Laut Novell-Manager Boehm gehören dazu unter anderem Middleware-Lösungen wie Web-Application-Server oder auch Komponenten der Netzwerk-Infrastruktur wie etwas DNS- und LDAP-Dienste. "Mittlerweile gibt es rund 1600 zertifizierte Anwendungen für Mainframes mit Suse Linux", so Boehm. "Das jüngste Mitglied ist die Business-Intelligence-Anwendung Cognos von IBM, die vor kurzem für Linux-Mainframes freigegeben wurde." Neben IBM-Anwendungen und Lösungen von rund 400 Softwarehäusern lässt sich eine Vielzahl von Open-Source-Applikationen auf dem Linux-Großrechner betreiben.

In diesem Anwendungsbereich der nicht ganz so kritischen Unternehmensapplikationen erkennt auch Carlo Velten, Berater bei der Experton Group, ein großes Potenzial des Technologie-Stacks: "Wir sehen immer wieder, dass Anwender nichtkritische Aufgaben auf bestehende Mainframes konsolidieren, etwa CRM (Customer- Relationship-Management) oder SCM (Supply-Chain-Management). In der Regel geschieht das, wenn die wirklich kritischen Anwendungen auf dem Mainframe etabliert und noch Leistungsreserven verfügbar sind." Durch die Konsolidierung könnten die gesamten Betriebskosten (Total Cost of Ownership = TCO) oft günstiger ausfallen als beim Einsatz dedizierter Unix- und Linux-Server. "Zudem wird durch die Mainframe-Plattform die Verfügbarkeit der Anwendungen und auch das Antwortverhalten bei einer breiten Nutzerbasis deutlich verbessert."

Hier lesen Sie ...

  • dass Großrechner trotz vieler Abgesänge wichtig für Unternehmen sind;

  • wie sich die Vorteile von Linux und Mainframes kombinieren lassen;

  • wo der Einsatz von Linux auf dem Host sinnvoll ist;

  • wann Unternehmen davon absehen sollten.

TCO sagen nicht viel aus

Einfache Standarddienste wie File-Services hingegen seien weniger interessant für Linux-Mainframes, da diese nicht von den Leistungsmerkmalen der Mainframes profitieren könnten und die Plattform damit zu teuer wäre. Ob sich der Mainframe als Konsolidierungsplattform wirtschaftlich rechnet, hänge immer von den Anwendungen und dem Bedarf des Unternehmens ab; die TCO seien nur bedingt aussagekräftig: "Bei TCO-Analysen werden ja nur harte Fakten berücksichtigt. Faktoren wie Verfügbarkeit der Anwendungen oder Ausfallrisiken - und damit natürlich auch die daraus resultierenden Kosten für das Unternehmen - fließen dabei nicht ein."

Den Aspekt der Hochverfügbarkeit und der Sicherheit betont auch Boehm: "In diesen Bereichen liegen die signifikanten Vorteile der Mainframes gegenüber anderen Plattformen und vor allem gegenüber verteilten Infrastrukturen. Vor allem bei Ausfallsicherheit, Disaster Recovery und generell beim System-Management ist die z-Technologie sehr weit fortgeschritten." Die Kunden scheinen diese Vorteile der Linux-Mainframe-Kombination zu schätzen. Laut IBM haben rund 30 Prozent der bestehenden System-z-Kunden Linux im Einsatz, das Open-Source-Betriebssystem ist inzwischen für zirka 20 Prozent des Mainframe-Umsatzes verantwortlich. Im vergangenen Jahr sind den Angaben zufolge weltweit über 20 Mainframe-Anwender hinzugekommen, die überwiegend Linux-Workloads auf den Maschinen fahren.

Mainframe-Experten gesucht

Aus Sicht von Experton-Berater Velten sind es jedoch besonders die bestehenden Mainframe-Kunden, die von den Konsolidierungsmöglichkeiten der Linux-Plattform profitieren: "Die Konsolidierung von Workloads auf dem Mainframe ist vor allem dann sinnvoll, wenn das entsprechende Know-how im Haus ist." Ein Neueinstieg in die Technik gestalte sich schwierig, da Mitarbeiter mit dem notwendigen Wissen rar sind. Mindestens zwei bis drei Mainframe-Spezialisten würden benötigt, um den Betrieb der Hardware sicherzustellen.

Auch IDC-Analyst Rüdiger Spies beurteilt die Entwicklung positiv: "Im Zeitalter von Cloud Computing haben Großrechner wieder ihre Berechtigung - riesige Datenmengen und viele User müssen verwaltet werden, Hochverfügbarkeit und Sicherheit sind wichtige Anforderungen." Durch Linux sei weniger z/OS-Wissen notwendig, um die Großrechner zu betreiben.

Wartungskosten sinken

Er bestätigt, dass auch neue Kunden sich für das System z von IBM entscheiden. "Oft handelt es sich dabei um Projekte zur Konsolidierung auf Linux im Bereich SAP und Oracle." Auch für Spies lässt sich die Frage nach den Betriebskosten und Einsparpotenzialen durch die Konsolidierung auf Linux-Mainframes nicht pauschal beantworten: "Wenn das Know-how im Unternehmen bereits vorhanden ist, kann die Konsolidierung von mehreren Unix- oder Linux-Systemen durch Einsparungen bei Wartungskosten und dergleichen günstiger sein." Auf jeden Fall sinke der Verwaltungsaufwand durch die Großrechner.

Neben den klassischen ERP- und Datenbank-Workloads sieht der IDC-Experte besonders das Data Warehousing als mögliches Einsatzgebiet der Großrechner: "Gerade in Umgebungen mit riesi-gen Datenmengen, wie wir sie zum Beispiel in Telekommunikationsunternehmen oder im Retail-Bereich finden, können Mainframes wegen der hohen Anforderungen an das Real-Time-Data-Warehousing interessant werden."

Was gegen Großrechner spricht

Trotzdem sind die großen Eisen mit Linux nicht die Wunderwaffe gegen alle IT-Probleme. Aus der Sicht von Spies sollten nicht nur die Anforderungen an die Verfügbarkeit und an die Sicherheit hoch sein, um einen Einsatz zu rechtfertigen. Eine weitere Voraussetzung sei eine große Zahl von Anwendern, die auf dem System arbeiten. "Müssen zum Beispiel nur wenige User durch das System bedient werden, sind Technologien wie Blade-Server oft besser geeig-net." Dem stimmt auch Novell-Mann Boehm zu: "Das Konsolidieren einer gut ausgelaste-ten Server-Farm wäre kaum sinnvoll." (wh)