Internet ist die Basis für den Open-Source-Erfolg

Linux knabbert an den Marktanteilen von NT

18.06.1999
DÜSSELDORF (CW) - Das freie Betriebssystem Linux sorgt derzeit nicht nur im Desktop-Bereich für Furore (siehe Thema der Woche, Seite 13). Vor allem im Server- Segment verzeichnet das Open-Source-Produkt von Linus Torvalds einen enormen Marktzuwachs.

Linux gehört mittlerweile fest in die Server-Welt. Zu diesem Ergebnis kamen die Teilnehmer der ersten Euroforum-Konferenz "Linux" in Düsseldorf. Doch obwohl sich das freie Betriebssystem des Finnen Linus Torvalds aufgrund der breiten Unterstützung von kommerziellen Hard- und Softwareherstellern mehr und mehr auch als File-, Print- und Datenbank-Server etabliert, bleibt das Internet die klassische Domäne für die Windows-NT-Alternative.

"Kein IP-Paket wird heute längere Strecken zurücklegen, ohne von einem Linux-Rechner bearbeitet zu werden", veranschaulicht Daniel Riek, Geschäftsführer des Bonner Linux-Dienstleisters ID-Pro GmbH, die Bedeutung des Systems. Galt der Preis bis dato als ausschlaggebendes Argument, so habe sich das Betriebssystem vor allem in Kombination mit dem Web-Server "Apache" aufgrund seiner Funktionalität zum De-facto-Standard für den Einsatz im Internet entwickelt.

Grund für die rasche Verbreitung des Open-Source-Betriebssystems sei darüber hinaus die wachsende Zahl von Programmiersprachen sowie die Unterstützung verschiedenster Netzwerkkarten und virtueller IP-Interfaces. "Linux ist aus der Welt der Mail- und Netz-Server sowie der Router und Firewalls einfach nicht mehr wegzudenken", betont Riek.

Während sich "Sendmail" als Standard-Mail-Server durchgesetzt habe, existierten mit "Postfix" oder "Qmail" Alternativen, bei denen die Sicherheit des Mail-Transports im Vordergrund stehe. "Majordomo", "Listserv" oder "ESMLM" dienten wiederum als Standard für den Einsatz von Mailing-Listen-Servern. Ebenso müßten die Pakete "INN" als News-Server, "Bind" als DNS-Server oder "Open-LDAP" als LDAP-Server den Vergleich mit Windows-NT-Produkten längst nicht mehr scheuen.

Ferner habe sich Linux aufgrund der Einsatzmöglichkeiten in komplexen, mehrstufigen Firewall-Systemen und Backbone-Routern längst einen Namen gemacht. Hauptgrund für die rasche Verbreitung in diesem Bereich seien Technologien, die für das Open-Source-Betriebssystem selbstverständlich, für die große Konkurrenz Windows NT allerdings nur per Aufpreis zu haben seien: Dazu gehören integrierte Paketfilter, freie zusätzliche Firewall-Software wie "Sifi", Masquerading-Fähigkeit oder erweiterte IP-Routing-Funktionalität, konkretisiert IT-Experte Riek.

Ferner trügen die gute VPN-Unterstützung, Support für IPv6 und die exzellente Nutzung von ISDN und breitbandigen Verbindungen dazu bei, daß Linux für Windows NT im Internet-Bereich eine ernsthafte Gefahr darstelle.

In LAN-Segment sorgt laut Riek vor allem die standardmäßige Unterstützung der Netzdienste "DNS", "LDAP", "NIS" und "DHCP" für kräftigen Zuwachs. Dennoch erwägen Unternehmen nach den Worten des ID-Pro-Geschäftsführers den Einsatz von Linux zunehmend auch in Bereichen, in denen Windows NT bis dato konkurrenzlos regierte.

"250 Tage ohne Neustart sind keine Seltenheit"

"Linux wird immer häufiger auch als Applikations-Server für X11-fähige Clients eingesetzt", konstatiert der Bonner IT-Profi. Doch während sich Linux im File- und Print-Bereich in Kombination mit "Samba" oder als Datenbank-Server durchaus für kleinere Abteilungen oder Betriebe eigne, sollte der Einsatz in größeren Unternehmen gut durchdacht werden, vor allem, wenn hohe Skalierbarkeit und garantierte Ausfallsicherheit gewährleistet sein müssen (siehe Grafik "Linux vs. NT").

Gründe genug für zahlreiche deutsche Unternehmen, Linux gegen Windows NT auszutauschen. Positive Erfahrung mit dem Open-Source-Betriebssystem auf dem Server konnte etwa die Böhm Kunststofftechnik GmbH machen - und dies nicht nur für den Einsatz im Internet. "250 Tage ohne einen Neustart sind keine Seltenheit", läßt Thomas Hofmann, Systemadministrator im Tettauer Unternehmen, verlauten. Der fränkische Betrieb setzt das Open-Source-Betriebssystem sowohl als File-, Print- und Mail-, wie auch als Datenbank-Server ein. So nutzt Böhm das Pinguin-Betriebssystem etwa für den Produktionsleitstand, um die Parameter von Spritzgußmaschinen zu erfassen und zu überwachen. "Linux ist im Preis-Leistungs-Verhältnis unschlagbar", erklärt Hofmann, dessen Brötchengeber die Version 5.3 des Nürnberger Linux-Distributors Suse unternehmensweit verwendet.

Ebenso schwört Horst Weiß, Quantenchemiker bei der BASF AG aus Ludwigshafen, auf das Open-Source-Betriebssystem von Torvalds. "Linux ist kostenlos, unterstützt SMP und wird im Internet hervorragend dokumentiert", faßt Weiß zusammen, weshalb man sich beim Chemiegiganten für den Einsatz der Windows-NT-Alternative entschieden hat. Seit Januar 1997 hat BASF Linux auf zehn Pentium-II- Doppelprozessor-Machinen mit jeweils 512 MB Arbeitsspeicher im Einsatz. "Die Kosten pro Rechner beliefen sich auf weniger als 5000 Mark", nennt der Chemiker das ausschlaggebende Argument. Neben der Suse-Distribution 6.0 mit dem Kernel 2.2.5 verwendet BASF das Linux-Paket "Mpich" für parallele Berechnungen von Molekül-Eigenschaften sowie "DQS" zur Jobverwaltung. Die Erfahrungen des Ludwigshafeners: Bei geeigneten Anwendungen konkurriert der Pentium-II-Linux-Cluster mühelos mit teurer Spezialhardware unter Windows NT.

Berechnungen ganz anderer Art leistet Linux bei der Daimler-Chrysler AG aus Stuttgart. Nach den Worten von Reinhold Schöb, Leiter des Bereichs Rapid System Prototyping, nutzt der Stuttgarter Automobilbauer Linux vornehmlich für die Entwicklung. "Wir verwenden Linux für die Entwicklung elektronischer Systeme wie ESP (Elektronisches Stabilitätsprogramm) und Distronic", so Schöb. Zu den Einsatzgebieten gehört darüber hinaus ein Bedienrechner in Testfahrzeugen, der unter Linux läuft. Anfänglich hatte Daimler-Chrysler Linux lediglich für interne Laptops verwendet, aber "die Zufriedenheit mit diesen Laptops führte schrittweise zum Ersatz der bisherigen Sun-Workstations". Schöbs Resümee: Linux hat sich als eine stabile Entwicklungsplattform erwiesen, die problemlos mit NT-Systemen koexistieren kann.