Großes Interesse, aber keine Euphorie

Linux auf dem Prüfstand

15.03.2002
Linux hat sich in den letzten Jahren in einigen Nischengebieten einen festen Platz in der Unternehmens-IT gesichert. Nun scheint es auch als Alternative zu den kommerziellen Betriebssystemen in geschäftskritische Bereiche vorzudringen, nicht zuletzt am Mainframe. CW-Bericht, Jan Schulze

Als vor rund zehn Jahren das Betriebssystem Linux das Licht der Welt erblickte, ahnte noch keiner, welchen Hype es um dieses System geben würde. Mittlerweile hat sich Linux in einigen Bereichen als Server-Betriebssystem hohe Marktanteile gesichert. Das Paradebeispiel: Die Linux-Version des Open-Source-Web-Servers "Apache" dominiert beinahe das Internet.

Für unternehmenskritische IT-Umgebungen wurde das Open-Source-OS (Operating System) bislang kaum herangezogen. Hier bestimmen Unix, Windows sowie Großrechner die Rechenzentren. Das Vertrauen ist bei vielen Anwendern noch nicht groß genug, um auf Linux wichtige Applikationen in großem Stil zu betreiben. Doch immer mehr Unternehmen schauen auf die Entwicklungen der Linux-Community und loten Einsatzmöglichkeiten für Mission-Critical-Funktionen aus.

Testsysteme sind die RegelDer häufig genannte Faktor Lizenzkosten und die plattformunabhängige Verwendbarkeit von Linux bringen viele IT-Verantwortliche dazu, sich näher mit diesem Thema zu befassen. Doch trotz der unbestrittenen Stärken von Linux und des großen Rummels, der um das System besonders im vergangenen Jahr gemacht wurde, sind spektakuläre Projekte selten. Evaluierungsinstallationen bilden zurzeit die Regel. Dennoch betreiben Unternehmen verschiedenster Größe auch produktive Systeme außerhalb der Web-Server-Welt.

Sogar auf dem Desktop-PC, einem von Windows klar beherrschten Bereich, setzen einige wenige Anwender mittlerweile auf Linux. So hat etwa die Darmstädter Henkel KG, eine bundesweit tätige Generalagentur der Nürnberger Versicherung, bereits flächendeckend Linux ausgerollt. Henkel migrierte die PCs und Terminals seiner rund 100 Innendienstmitarbeiter größtenteils auf Thin Clients unter Linux. Bei den Clients und einem Großteil der Server setzt die Versicherungsagentur auf eine vom externen IT-Dienstleister Gonicus GmbH erweiterte Linux-Version von Red Hat. Als grafische Benutzeroberfläche nutzt das Unternehmen KDE (K Desktop Enviroment).

Als Gründe für die großflächige Linux-Einführung nennt IT-Leiter Richard Brückner vor allem die Stabilität der Systeme und die Kosten. Wobei er auch eingesteht: "Wir sind halt ein bisschen Linux-begeistert." Doch Brückner ist sicher, dass es auch finanziell der richtige Schritt für sein Unternehmen war.

Recht häufig wird Linux bereits in Clustern genutzt, meist im Bereich aufwändiger technischer Berechnungen. So setzt etwa das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation zum Betrieb einer sechsseitigen Virtual-Reality-Cave (siehe CW 28/01, Seite 37) schon seit einiger Zeit einen Cluster aus zwölf Intel-PCs unter Linux ein. Diese Billiglösung soll eine ähnlich gute Rechenleistung erbringen wie das parallel dazu verwendete Highend-Unix-System von SGI.

Auch in der Automobilindustrie, wo komplexe physikalische Zusammenhänge simuliert werden, finden sich verstärkt Cluster mit dem Open-Source-OS. Zum Beispiel nutzt der Kölner Automobilzulieferer Visteon GmbH ein System von Fujitsu-Siemens für CFD-Analysen (CFD = Computational Fluid Dynamics): "In der Entwicklungsabteilung für Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung wird ein Linux-Cluster zur Berechnung von numerischen Strömungssimulationen eingesetzt. Die Performance und Stabilität von Linux haben die Entwicklungsingenieure überzeugt", so eine Unternehmenssprecherin.

Immer mehr große IT-Anbieter nehmen neben ihren eigenen, proprietären Betriebssystemen Linux ins Angebot auf. Eine wichtige Rolle spielt dabei IBM. Für die Mainframes S/390 und die z-Serie bietet Big Blue in Partnerschaft mit den Linux-Distributoren Suse und Red Hat seit einiger Zeit Linux als ergänzendes OS an. Referenzkunden sind etwa der Kölner Gerling-Konzern oder die Investmentbank HSBC Trinkaus & Burkhardt aus Düsseldorf. Abseits der IBM-Referenzlisten herrscht aber bezüglich Linux auf dem Großrechner meist Stillschweigen.

Mainframer zeigen großes InteresseDass Linux auf dem Mainframe ein wichtiges Thema für die Anwender ist, bestätigt jedoch die IBM-Usergroup Guide Share Europe (GSE). Deren Deutschland-Chef Christoph Laube ist überrascht, welchen Zulauf Veranstaltungen der GSE haben, wenn Linux auf der Agenda steht: "Das Interesse unserer Mitglieder ist außerordentlich hoch." Der Vorsitzende der Linux-Arbeitsgruppe der GSE, Thomas Uhl, bekräftigt: "Es gibt sicher kein Unternehmen, das einen Mainframe besitzt, das nicht mit dem Gedanken spielt, die Angebote der IBM in diesem Umfeld zu nutzen." Über die Schweigsamkeit der meisten Anwender wundern sich die GSE-Vertreter nicht. Viele Unternehmen haben in ihrer IT-Strategie noch längerfristige Verpflichtungen. Da wolle kaum jemand sein Linux-Interesse an die große Glocke hängen. Die aktuelle Entwicklung in der /390-Welt sei ähnlich wie früher im Client-Server-Bereich: "Wenn Sie vor zwei Jahren Unternehmen gefragt haben, was sie mit Linux machen, hätte wohl der Ansprechpartner gesagt, er verwende es, dürfe aber nicht darüber reden", vermutet Uhl.

Für Laube und Uhl hat die Verbindung von Großrechner und Linux gute Chancen, im Enterprise-Computing Fuß zu fassen. Die Vorteile der Mainframe-Architektur - beispielsweise Ausfallsicherheit und dynamische Ressourcenverteilung - verbinden sich nach Einschätzung der GSE-Leute mit den Stärken eines Unix-artigen Betriebssystems. Aus Laubes Sicht bietet diese Kombination den Anwendern eine attraktive Möglichkeit, ihre Unix- und NT-Server "auf einem Blech" zu konsolidieren: Linux erlaubt es, sehr viele einzelne Server als virtuelle Maschinen (VM) parallel auf einem Mainframe zu betreiben.

Für Uhl ist ein wichtiger Punkt, dass das offene Betriebssystem die Investitionssicherheit für Großrechner erhält: Linux öffne der bislang geschlossenen Mainframe-Welt den Zugang zu neuen Anwendungen und Einsatzgebieten.

Ein Anwender, der bereits Linux auf dem Mainframe evaluiert hat, ist der Wiener Erdöl- und Erdgaskonzern OMV AG. Das Unternehmen nutzt eine Vielzahl von SAP-R/3-Systemen. Die DB2-Datenbanken laufen auf Großrechnern, die SAP-Applikations-Server unter dem IBM-Unix "AIX".

Im Oktober 2001 wurde bei der OMV turnusmäßig einer der beiden im Unternehmen vorhandenen Mainframes erneuert. Auf der neu angeschafften z900 betreibt die IT-Abteilung neben z/OS eine 64-Bit-Version von Linux. Im Versuch wollte der Mineralölkonzern ermitteln, ob es möglich sei, die Applikations-Server der R/3-Systeme in dieser Konstellation auf dem Großrechner zu betreiben. Walter Rotter, System Support Manager Computing Center der OMV, war angenehm überrascht: "Das hat vom ersten Tag an funktioniert."

Nur unter VM flexibelAuf der z900 installierte das Projektteam Linux in VM, um das originäre Mainframe-Betriebssystem beizubehalten. Da für Rotter das Ressourcen-Sharing ein besonders wichtiges Merkmal der Großrechner ist, kam für die OMV eine native Linux-Implementierung nicht in Betracht. Beim Ressourcen-Sharing können die Systemressourcen, etwa Speicher oder Prozessorleistung, den auf der Maschine aktiven Servern oder Applikationen dynamisch zur Verfügung gestellt werden. Benötigt zum Beispiel eine Datenverarbeitung während der Nacht viel Rechenleistung, können diese Ressourcen aus gerade wenig genutzten Anwendungen zugeteilt werden. Linux als natives OS erlaubt aber nur das Ressourcen-Sharing beim Prozessor. "Im Moment sehe ich keine Chancen, ohne VM Linux halbwegs flexibel zu fahren", erläutert der IT-Profi.

Probleme mit System-ManagementBis jetzt betreibt das Unternehmen ausschließlich Testsysteme mit einigen SAP-Applikations-Servern auf dem Mainframe. Rotter ist generell mit den Erfahrungen zufrieden: "Linux ist bis heute sehr stabil, die Applikations-Server laufen gut." Allerdings lasse das System-Management noch zu wünschen übrig. "Wir haben zum Beispiel Tivoli für die Überwachung oder das Workload-Scheduling eingesetzt. Das funktioniert zum Großteil noch nicht", stellt Rotter fest. Das Framework wurde von IBM bereits für Dezember 2001 angekündigt, einige Wochen wird sich die OMV nach eigener Einschätzung aber noch gedulden müssen.

Neben SAP hat die OMV auch bereits andere Systeme auf dem Linux-Teil des Mainframe ausprobiert, darunter eine neue Oracle-Version. Auch hier seien alle Tests erfolgreich verlaufen.

Für Rotter bietet sich das Mainframe-Linux auch als günstige Plattform für neu einzuführende Systeme an: Statt sich bereits im Vorfeld eines Projektes aufgrund eines erwarteten Workloads auf eine Hardware festzulegen, lasse sich ein neuer Applikations-Server zuerst auf dem Mainframe installieren. "In den ersten Tagen und Wochen benötigt das noch sehr wenig Ressourcen", so Rotter. Der dauerhafte Workload zeige sich manchmal erst nach ein paar Monaten. "Und dann kann ich immer noch entscheiden, ob der Applikations-Server auf Linux, z/OS oder eine AIX-Box gelegt wird."

Wenn die Testphase beendet und auch seitens der SAP die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, möchte der Konzern zuerst sein Retail-System für die Tankstellenshops produktiv auf den Mainframe legen. Auch soll dort ein Teil der SAP-Applikations-Server dauerhaft eine Bleibe finden. Seitens der IT-Abteilung steht dem nichts mehr im Weg, es fehlt nur noch die Bestätigung der "General Availability" durch SAP und IBM. Bislang ist R/3 für Linux auf dem Mainframe noch nicht offiziell zertifiziert.

Für Rotter ist es wichtig, dass die nun in der Testumgebung entwickelten Komponenten als Produktionssystem eingesetzt werden können: "Wir müssen ein Gefühl für die benötigten Ressourcen und möglichen Probleme bekommen. Das kriegen wir erst in der Produktion."

Hinsichtlich der Betriebskosten ist der IT-Manager noch zurückhaltend. Es fehle auch hier an Erfahrungen, bis jetzt liegen nur theoretische Zahlen vor. Weder der echte Workload noch die dafür benötigten Ressourcen seien ohne praktische Erfahrung sicher zu bestimmen. Als Pilotanwender habe die OMV sehr günstige Konditionen bekommen: "Das kann man nicht auf den zukünftigen Produktionsbetrieb hochrechnen." Ob der Linux-Mainframe auch preislich eine Alternative zu Unix-Servern ist, müsse man sehen. Doch Rotter ist zuversichtlich, dass Linux künftig eine sinnvolle Ergänzung im OMV-Rechenzentrum sein wird.