Chancen in Rechenzentren und im Bereich Embedded-Systeme

Linux-Arbeitsmarkt: Jobs in Nischen

24.08.2001
MÜNCHEN (am) - Im vergangenen Jahr hatten Bewerber mit Linux-Know-how noch die Wahl zwischen Distributoren, Dienstleistern oder großen IT-Playern wie IBM oder HP, die das Open-Source-System auf ihre Produkte portierten. Heute sind die Jobs für Linux-Experten rar geworden.

"Es ist problematisch, sich nur auf Linux zu spezialisieren und nichts anderes machen zu wollen." Karin Miers, Geschäftsführerin des Darmstädter Schulungsunternehmens Linup Front GmbH, müsste die Werbetrommel für das Arbeitsfeld Linux rühren, schließlich lebt ihre Firma von Kursen in dem Umfeld. Allerdings weiß sie auch, dass die Jobsituation in diesem Segment nicht mehr so rosig ist. Ehemals expansionsfreudige junge Linux-Dienstleister wie ID-Pro oder Innominate sind pleite oder haben ihre Belegschaft rapide reduziert. Große amerikanische IT-Player wie Sun Microsystems, die sich auf der letztjährigen "Linuxworld" in Frankfurt am Main noch als attraktiver Arbeitgeber präsentierten, haben Einstellungsstopp. Auch Vorzeigefirmen wie Suse in Nürnberg mussten nach Entlassungen in den USA nun auch 50 Mitarbeiter in Deutschland kündigen.

Dabei wird das Wissen um das freie Betriebssystem immer mehr zu einer Qualifikation, die wie die Programmiersprache C++ zu den Standards gehört. So wird im Bereich Betriebssysteme bereits in 44 Prozent der Stellenanzeigen Unix-/Linux-Know-how verlangt, wie die Auswertung von 4000 IT-Offerten durch das Münchner Schulungsunternehmen CDI im ersten Quartal dieses Jahres ergab. Damit hat Linux zum ersten Mal die Microsoft-Konkurrenz Windows NT (30 Prozent) deutlich überholt. Meist ist die Erfahrung mit Linux aber nur ein Punkt im langen Anforderungskatalog der Unternehmen. Jobs für Linux-Experten sind hingegen gar nicht mehr zahlreich gestreut.

Die besten Chancen macht Linup-Front-Chefin Miers noch im Server-Bereich aus, da hier Linux vermehrt eingesetzt werde. Ob für Service, Support oder Administration von Linux-Servern, für diese Aufgabengebiete werden Fachleute gesucht, - jedoch auch hier nicht mehr so viele wie im vergangenen Jahr. So haben Internet-Provider wie Web.de oder Schlund und Partner, deren Rechenzentren fast komplett auf Linux laufen, einen geringeren Personalbedarf. Schlund und Partner, die in Karlsruhe 700 Mitarbeiter, davon 65 in Entwicklung und Administration, beschäftigen, wollen bis Jahresende weitere vier bis sechs neue Stellen im technischen Bereich besetzen. Für Personalleiterin Sonja Hefft mittlerweile ein leichteres Unterfangen, zumal "es viel mehr Initiativbewerbungen gibt und auch die Qualität der Kandidaten gestiegen ist".

Fachwissen entscheidet über EinstiegsgehaltDiese Erfahrung hat auch Claudia Müller-Pan gemacht. Die Personalreferentin des Tübinger IT-Dienstleisters Science + Computing sucht Administratoren, die sich in verschiedenen Unix-Systemen auskennen: "Da wir uns auf die Betreuung von heterogenen Netzen spezialisiert haben, sollte der Bewerber mindestens ein Unix-Derivat sehr gut beherrschen." Und das ist meist Linux. Die tiefergehenden Kenntnisse haben sich die Bewerber aber nicht durch Zertifikate erworben, sondern in der Praxis. So beschäftigt Science + Computing neben Informatikern vor allem Naturwissenschaftler wie Physiker, die schon an der Universität die Linux-Rechner verwalteten. Das fachliche Wissen wird im Vorstellungsgespräch auch getestet und entscheidet mit darüber, wo der neue Mitarbeiter gehaltlich eingestuft wird: eher bei 65 000 Mark oder eher bei der Obergrenze von 95 000 Mark pro Jahr.

Auch wenn sich die Situation am Arbeitsmarkt verändert hat, halten die meisten Bewerber an ihren hohen Gehaltsansprüchen fest. Aber in dem Punkt lassen viele Firmen nicht mehr mit sich handeln. "Wenn uns freiberufliche Linux-Profis sagen, sie verdienen jetzt 200 000 Mark im Jahr und wollen das bei uns auch haben, geht das einfach nicht", so Hefft von Schlund und Partner. Darum ist es für die Personalleiterin nach wie vor schwierig, Experten mit längerer Erfahrung oder Nischenqualifikationen wie etwa Linux-Kernel-Hacker zu finden.

Allerdings ist es nicht nur eine Frage des Geldes, Linux-Experten zu gewinnen. Die Web.de AG, die noch acht bis zehn Stellen für Administratoren zu besetzen hat, versuchte sich darum mit einer etwas anderen Anzeige im Internet: Gefahndet wurde nach einem "Linux-Guru, der "glaubt, er wäre der wahre Linus". Personalreferent Felix Pfefferkorn hat dieses Spiel mit den Klischees nicht bereut, da "viele sich begeistert gemeldet haben".

Spagat zwischen IBM- und Open-Source-WeltDer Motivation der Open-Source-Szene versucht auch Alexander Stark im Böblinger Entwicklungslabor von IBM gerecht zu werden. Vor dreieinhalb Jahren brütete er mit einem Kollegen die "Schnapsidee" aus, Linux auf den Großrechner S 390 zu portieren. Heute ist er als Manager Linux Architektur und Performance für 50 Entwickler verantwortlich. Im Laufe des nächsten Jahres sollen weitere 20 dazukommen. "In der Open-Source-Szene ist ein Produkt fertig, wenn es fertig ist. Unsere Kunden erwarten aber, dass wir uns an die zeitlichen Versprechen halten. Wir mussten vielen Leuten erst klar machen, dass man am Ende eines Entwicklungszyklus den Code nicht mehr ändert, sondern nur noch testet", beschreibt Stark den Spagat zwischen den zwei Welten.

Andererseits schätzt der IBM-Manager das tiefe technische Wissen, das viele seiner Mitarbeiter mitbrachten, nachdem sie jahrelang in der Open-Source-Gemeinde programmiert hatten. Er ist sich sicher, dass Linux auch bei Big Blue die Art der Zusammenarbeit verändert hat: "Von der Analyse über Design und Codierung bis zum Test und Service, bei uns macht jeder alles." So haben auch Entwickler direkten Kundenkontakt, wenn sie bei der Install-Party in einer weltweiten Telefonschaltung mit zehn Kunden Schritt für Schritt die Funktionen durchgehen. Diese Variante der in der Linux-Gemeinde üblichen Install-Party fand zwar nicht im Biergarten statt, ist aber für Stark ein wichtiges Instrument zur Motivation: "Im Linux-Umfeld wird die Arbeit des Einzelnen weltweit gesehen und anerkannt, da im Source-Code der Name drin steht."

Keine Berührungsängste dürfen Linux-Profis haben, wenn sie den Embedded-Systems-Markt ins Visier nehmen. Dieser ist als Arbeitsfeld zwar kaum bekannt, verspricht aber Zukunftspotenzial: Zum einen werden immer mehr der Embedded-Systeme ans Netz angeschlossen, zum anderen sind die bisher eingesetzten Betriebssysteme in diesem Bereich wie Vx Works oder Lynx OS lizenzpflichtig. "Linux bekommt in diesem Markt Auftrieb", so Knut Degen, einer der drei Geschäftsführer der Sysgo Real-Time Solutions GmbH in Mainz. Bis Jahresende sucht er noch acht Experten, die das freie Betriebssystem zum Beispiel auf Chips in Ticketcounter portieren: "Wir brauchen Profis, die flüssig in C programmieren können, aber keine Scheu haben, mal ein Oszilloskop in die Hand zu nehmen." Diese Kombination "Informatiker mit Hardware-Neigung" oder "Elektrotechniker mit Software" ist laut Degen aber nicht einfach zu finden, meist scheitert es am Bezug zur Hardware. Gerade hier liege der Reiz der Tätigkeit: "Ob Zeiterfassungsanlagen oder Basisstationen für Mobilfunkanlagen, die Anwendung ist immer etwas Neues. Linux ist das Handwerkszeug."