Linguistin setzt sich gegen IT-Profis durch

04.09.2008
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Ordnung ins Web will Sonja Kraus bringen. Mit ihrer Idee für eine semantische Schlagwort-Eingabehilfe gewann sie den Talentwettbewerb des Forschungsprogramms Theseus.

Sonja Kraus hat es gern ordentlich. Auf einer ihrer Ratgeberseiten im Internet, "ordnung-im-leben.de", schreibt sie: "Wer Ordnung hält, findet Dinge schneller und spart Zeit." Kurzerhand hat die 31-jährige Pragmatikerin jetzt eine Idee entwickelt, um auch bei der Suche im virtuellen Chaos schneller fündig zu werden und sich viele sinnlose Suchergebnisse zu ersparen: Sie hat sich eine semantische Eingabehilfe für Schlagworte ausgedacht, mit der Texte, Bilder und Filme besser im Netz geortet werden können. Den Vorschlag schickte sie an den Talentwettbewerb des Forschungsprogramms Theseus - und gewann den mit 10 000 Euro dotierten ersten Preis. Das Besondere: Sonja Kraus hat Deutsch und Latein auf Lehramt studiert.

Arbeit über semantische Netze

Schon seit Längerem hatte sich die Studentin mit der Bedeutungsebene von Wörtern beschäftigt. Denn an der Universität in Köln ist sie auch in den Magister-Studiengängen Sprachwissenschaften und Sprachliche Informationsverarbeitung eingeschrieben. Bei der Recherche zu ihrer Examensarbeit über semantische Netzwerke stieß sie auf den Theseus-Talentwettbewerb. Das Theseus-Forschungsprogramm, eines der Leuchtturmprojekte der Bundesregierung, sucht nach neuen Technologien und Standards, mit deren Hilfe das Wissen im Internet besser genutzt und verwertet werden kann. An dem Projekt beteiligen sich Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Mit dem Ideenwettbewerb "Theseus Talente 2008" wollte das Wirtschaftsministerium Nachwuchswissenschaftlern, freien Entwicklern, Studierenden und auch Schülern erstmals die Gelegenheit geben, sich mit Kreativität und Know-how in die Entwicklung einzubringen. Verschiedene Themen und Anwendungsszenarien standen zur Auswahl. Besonderes Interesse galt dabei semantischen Technologien und Verarbeitungswegen.

Sonja Kraus musste nicht lange überlegen. "Schon vor Jahren hatte ich die Idee, Suchmaschinen auf eine semantische Basis zu stellen, sodass sie die Benutzer besser verstehen und mehr leisten können als bei der herkömmlichen Suche anhand der Schreibweise", erklärt die begeisterte Internet-Nutzerin, die im Netz als "E-Fee.de", als elektronische Fee, anderen Usern mit Rat und Tat zur Seite steht. Dort betreibt sie auch ein eigenes Blog. Das Thema Semantik sei immer stärker aufgekommen und habe ihr Interesse geweckt, erzählt sie. So passte eins zum anderen: Parallel arbeitete sie an ihrer Examensarbeit zu dem Thema und verfasste ihre Ideen für das Theseus-Programm mit dem Titel "Semantstrategien".

Ordnung durch Schlagworte

Ihr Ansatz schafft Ordnung im kaum zu überblickenden Informationschaos des Internets. Der zentrale Vorteil ist die bessere Vernetzung von Wissen - vor allem auch von multimedialen Inhalten - durch Schlagworte, auf Englisch "Tags". Diese Verschlagwortung, das "Tagging", findet durch die Nutzer statt. Doch ist der "Otto-Normal-Nutzer", wie Kraus den Durchschnitts-User liebevoll-ironisch nennt, nicht immer gern dazu bereit.

Genau hier setzt ihre Idee für mehr Ordnung im Netz an: Das System macht dem Nutzer bei der Eingabe Vorschläge und erhöht aufgrund der Angaben die Qualität der vorgeschlagenen Tags. Die Preisträgerin veranschaulicht es mit einem Beispiel: "Wenn ein Nutzer ein Bild online stellen will, werden ihm Tags wie Landschaft oder Sport vorgeschlagen. Nach der ersten Auswahl folgen weitere Vorschläge, etwa Sommer- und Winterlandschaft. In der Hierarchie geht es immer einen Schritt weiter - für mehr Detailtiefe. Aber auch der Urheber oder Künstler können so erfasst werden."

Mit dieser semantischen Eingabehilfe sind in Zeiten von DSL und steigenden Übertragungsraten vor allem Bilder und Filme besser zu finden. Hat der Nutzer seine Schlagworte als Markierung eingegeben, passiert der Rest nämlich von selbst. Denn der große Vorteil des semantischen Webs ist die vollautomatische Vernetzung, die über alle Arten von Informationen und über verschiedene Formate hinweg Wissen miteinander verknüpft und die entsprechenden Dienste integriert. Die manuelle Verlinkung entfällt. Das Ergebnis sind passgenaue Informationen, Angebote und Services. Dass die User freiwillig beim Tagging mitmachen - daran zweifelt die Sprachwissenschaftlerin nicht: "Wer gefunden werden will, hat ein Interesse daran, dass er gut verschlagwortet ist."

Mit ihrem Konzept trägt Sonja Kraus nicht nur dazu bei, das Netzwissen der Zukunft maßgeschneidert zur Verfügung zu stellen. Sie leistet zudem, so der Direktor des Deutschen Forschungszentrums Professor Wolfgang Wahlster in seiner Laudatio, einen wichtigen Beitrag "zur Überwindung einer der größten Herausforderungen des Theseus-Projekts, der Schließung der semantischen Lücke" im Internet.

Im Mittelpunkt steht der Nutzer

Dass sich dabei eine Geisteswissenschaftlerin gegen zahlreiche IT-Spezialisten durchgesetzt hat, ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Sie hat die Jury mit ihrem frischen und stark nutzerorientierten Blick auf das Semantik-Problem überzeugt und konnte dabei viele Konkurrenten mit stark softwaretechnischen Ansätzen hinter sich lassen. Das zeige, so Wahlster, dass auch für Geisteswissenschaftler neue Berufsperspektiven im Hightech-Sektor bestehen, wenn sie ihr Wissen in der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie einsetzen.

Sonja Kraus stehen jetzt jedenfalls viele Möglichkeiten offen. Dienstleistungen rund ums Internet bietet sie bereits auf ihrer Internetpräsenz als "E-Fee" an. Doch mit den Theseus-Partnern Lycos und Siemens verhandelt sie jetzt auch über die Umsetzung ihrer "Semantstrategie" und sorgt vielleicht schon bald für mehr Durchblick im Netz.