Software für Warenwirtschaft/Zulieferer senkt Gesamtkosten durch Optimierung der Reihenfolge

Liefertermine einhalten trotz Reduzierung von Rüstzeiten

03.12.1998
Bei der Herstellung von elektrischen und elektronischen Komponenten für die Automobilindustrie stehen die Unternehmen unter enormem Kostendruck. Bei Delphi Automotive Systems in Neumarkt wird für die Produktion von Kabelbäumen eine Software zur Produktionsoptimierung eingesetzt, die die operativen Kosten erheblich senken konnte. Michael Esper* und Emma Deil-Frank* erläutern die Problematik der Planung und beschreiben den Lösungsansatz.

Um die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Serienfertigung zu schaffen, erfolgt die Produktion von Delphi Automotive auf Fabrikationsanlagen, die permanenten Verbesserungsmaßnahmen unterzogen werden.

Sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion wird der Qualität ein hoher Stellenwert zugeschrieben, unter anderem durch qualitätssichernde Maßnahmen wie DIN-ISO 9001 und QS 9000. Die Produktion verlangt nach flexiblen, auf die Käuferwünsche zugeschnittenen Verdrahtungssystemen. Dies führt zu einer Vielzahl an Leitungssatzvarianten für einen Fahrzeugtyp bis hin zur kundenspezifischen Verdrahtung. Aufgrund dieser vielfältigen Ausstattungsvarianten und des allgemeinen Trends zur Bestandsminimierung werden die Leitungssätze in kleinen Losgrößen (Ziel: Losgröße 1) gefertigt und just in time in Sequenz der Montage direkt an die Einbauorte der Montagelinien der Automobilhersteller geliefert.

Aus wirtschaftlichen Gründen, das heißt, um die Produktionskosten möglichst gering zu halten, erfolgt die erste Stufe der Fertigung - Zuschneiden sowie Freilegen und Anschlagen von Kontaktteilen - an Schneideautomaten, bevor sie an die Kabelbaummontage weitergeleitet werden. Je nach Leitungstyp, Kontaktteil etc. sind diese Automaten mit jeweils anderen Werkzeugen oder Kabeltrommeln (von denen die Leitungen abgeschnitten werden) auszurüsten. Bei einem Produktwechsel ergibt sich damit ein reihenfolgeabhängiger Umrüstungsaufwand entsprechend der geänderten Attribute von Vor- und Nachgängerprodukt. Ein geringer Wechselaufwand ist zum Beispiel dann erforderlich, wenn lediglich die Kontaktteile ausgetauscht werden. Aufwendig gestaltet sich der Umbau, wenn Leitungstyp, Kabeltrommeln und Kontaktteile geändert werden müssen. Die Kosten für die Rüstzeiten sind hoch, da die Automaten in dieser Zeit nicht genutzt werden können und zusätzliches Personal erforderlich wird.

In Neumarkt sind 20 Schneideautomaten im Einsatz, die in verschiedenen, dem Herstellungsprozeß angepaßten Gruppen geordnet und in eine vollintegrierte CIM-Umgebung (Computer-integrated Manufacturing) eingebunden sind. Diese wurde 1992 im Technologie-Zentrum Wuppertal von Delphi mit den ursprünglichen Komponenten Auftragsabwicklung, Anbindung an die Maschine, Betriebsdatenerfassung, Datenbank und Auswertungsmodul entwickelt. Das System arbeitet vollintegriert, das heißt, die Betriebsaufträge werden mit den zugehörigen technischen Parametern vom Kunden mittels Computer-integrated Manufacturing direkt auf die Maschinen heruntergeladen. Der Mitarbeiter kann dem PC am Automaten entnehmen, was produziert wird, und entsprechend handeln. Ein Eingreifen bezüglich Auftragsreihenfolge ist ihm nicht möglich. Rückmeldedaten oder Störungsmeldungen werden automatisch erfaßt und dann in einer Access-Datenbank gespeichert. Die Daten werden vom System automatisch verarbeitet und dienen als Grundlage für die Fertigungssteuerung. Auskunftssysteme zu Produktivität, Stör-/Stillstandzeiten, Maschinenlaufzeiten, Maschinenauslastung und Fertigungskennzahlen ermöglichen eine nahezu vollständige Transparenz der Produktion.

Die Betriebsaufträge entstehen aus Kundenabrufen, die über einen relativ kleinen Zeitraum gesammelt und anhand ihrer Stücklisten zerlegt werden. Sie werden im SAP-System gebildet und über ABAP (Advanced Business Application Programming) und eine Batch-Input-Mappe an die CIM-Umgebung angebunden. Betriebsaufträge für gleiche Produkte mit denselben Lieferterminen werden zusammengefaßt. Dabei entstehen jedoch Losgrößen, die aufgrund der hohen Rüstaufwendungen für eine wirtschaftliche Produktion zu klein sind. Das Unternehmen befindet sich also in einem Zielkonflikt: Einerseits müssen wegen der Just-in-time-Anforderungen der Kunden jeweils kleine Lose - teilweise sogar Einzelaufträge - abgeliefert werden. Für eine hohe Maschinenauslastung, verbunden mit niedrigen Umrüstkosten, sind aber große Lose beziehungsweise Reihenfolgen aus ähnlichen Produkten erforderlich.

Um den Balanceakt zwischen Losgröße, Just-in-time-Lieferung und Produktionskosten bestmöglich bewältigen zu können, wurde bei Delphi zunächst eine grafische Plantafel (Fertigungsleitstand) in das CIM-System integriert. Sie sollte eine Zuordnung der Aufträge an die Maschinen und deren Abfolgen bewerkstelligen und durch Sortieren (zum Beispiel nach Rüstschlüssel oder Termin) oder mittels Prioritätsregeln ("Minimum Slack") Produktionsreihenfolgen bilden. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, daß der Fertigungsleitstand trotz mehrerer Anläufe nicht den erhofften Erfolg brachte. Grund dafür war die Tatsache, daß durch die Algorithmen des Sortierens und der Prioritätsregeln systembedingt nur jeweils ein Ziel - entweder Rüsten oder Termin - unterstützt wurde.

Die Integration des Fertigungsleitstands hatte also zur Folge, daß dessen Sortierergebnisse die ursprüngliche Anforderung einer Senkung der Produktionskosten bei hoher Lieferbereitschaft nur unzureichend erfüllen konnte. Man griff auf einen Planer zurück, der manuell durch Hin- und Herschieben von "Kästchen" die schlechten Planungen zu reparieren versuchte: ein aussichtsloses Unterfangen bei einigen tausend Aufträgen pro Planungsperiode beziehungsweise Woche. Erschwerend kam hinzu, daß immer wieder Störungen auftraten und ein zusätzliches Umplanen erforderten.

Deshalb faßte Delphi Automotive Systems Anfang 1994 den Entschluß, ein zusätzliches Optimierungsverfahren in die CIM-Umgebung zu integrieren, denn mehrere hausinterne Analysen zu den Rüstzeiten hatten ergeben, daß hier die Ursache für die Unwirtschaftlichkeit zu suchen war: Die teuren Produktionsautomaten hatten zu lange Leer- und Stillstandszeiten. Eine Optimierung der Reihenfolgen unter Kostenaspekten würde demzufolge erhebliche Einsparpotentiale mit sich bringen. Erneut mußte also nach einer Lösung gesucht werden, mit der sich eine optimale Zuordnung von Automaten, Produktionsreihenfolgen, Produk- tionszeitpunkt und Produkt erreichen ließ.

Auf der Suche nach einer geeigneten Software kristallisierten sich folgende Anforderungen heraus, die das System erfüllen mußte:

- Kostenoptimierung,

- Reihenfolgenoptimierung,

- Planung von Ressourcen- und Werkzeugbedarf,

- hohe Verfügbarkeit und

- Integrationsfähigkeit mit dem vorhandenen SAP- und CIM-System sowie den Datenbanken.

Man entschied sich daraufhin für das Kostenoptimierungsverfahren Proopt5 von DMC KGC, München, da es die Anforderungen erfüllte. Andere Systeme stellten sich als mehr oder weniger "intelligente" Sortierer heraus.

Das Verfahren ist Bestandteil des Decision-Optimization-Tools Orion-PI und ein sogenannter genetischer Algorithmus, der sich die Evolution biologischer Organismen zum Vorbild nimmt. Diese haben sich im Laufe der Zeit von einfachsten Urformen zu einer fast unvorstellbaren Komplexität entwickelt und sich dabei optimal an die jeweiligen Umgebungsbedingungen angepaßt. Mittels des spezifischen Optimierungsalgorithmus wird die in der Natur bewährte Evolutionsstrategie auf das Produktions- und Planungssystem übertragen.

Berücksichtigung aller relevanten Kosten

Mit der neuen Lösung werden bei Dephi alle relevanten Kosten in die Kostenrechnung mit einbezogen. Diese sind:

- reihenfolgeabhängige Rüst- und Reinigungskosten,

- individuelle Produktionskosten von Ressourcen (Anlagen, Standorte),

- periodenabhängige Lager- und Verzugskosten sowie

- Transportkosten.

Das System berücksichtigt zudem technische Restriktionen wie ressourcenspezifische Schichtmodelle, reihenfolgeabhängige Rüst- und Reinigungszeiten sowie minimale und maximale Bestände von Lagern. Für jeden Maschinentyp werden als Stammdaten die Rüstzeiten, die Art der Fertigungstechnologie (Art der Leitungen, Kontakte etc.), Leitungstypen (Querschnitte, maximale Leitungslängen), Schicht- und Wartungsmodelle übernommen.

Das Kostenoptimierungssystem wurde vollständig in die CIM-Umgebung integriert. Nach der Datenüberspielung vom Kundensystem werden die definierten Kosten auf jeden Betriebsauftrag aufgeschlagen und unter Berücksichtigung der technischen Randbedingungen berechnet. Ausgehend von einer zufälligen, einer heuristischen oder einer vom Planer vorgegebenen Lösung erstellt das System eine kostenoptimale Planung der Betriebsaufträge und leitet diese an die einzelnen Schneideautomaten weiter. Dort entnimmt jeder Mitarbeiter am Display die kostenoptimierte Produktionsfolge. Die Definition dessen, was als kostenoptimaler Plan anzusehen ist, kann gemäß den Unternehmens- beziehungsweise Betriebszielen parametriert werden. Für Simulationen und bei Bedarf kann der Planer über Wichtungsfaktoren steuern, in welchem Maß die einzelnen miteinander konkurrierenden Zielvorgaben in den kostenoptimalen Plan eingehen.

Die Daten zu den gerechneten Reihen werden in einer Access-Datenbank für tägliche, wöchentliche und monatliche Auswertungen und Überprüfungen gespeichert.

Die Integration des Systems in die CIM-Umgebung von Delphi erwies sich als sehr einfach. Anfangs verursachten lange Rechenzeiten von acht bis zehn Stunden aufgrund der großen Datenmengen, die auf dem 486-Optimierungs-Server bearbeitet werden mußten, noch gewisse Schwierigkeiten. Die Rechenzeiten ließen sich jedoch mittlerweile mit einem Rechner der Pentium-II-Generation erheblich verkürzen: Im laufenden Betrieb benötigt der komplette Neuaufwurf einer Planung für zirka 4000 Aufträge nun lediglich maximal zwei Stunden Rechenzeit.

Bei Betriebsstörungen reagiert das System sofort, da mit dem Verfahren bestehende Lösungen innerhalb weniger Minuten verbessert werden können. Durch Minimierung der operativen Gesamtkosten ergibt sich der ideale Kompromiß der konkurrierenden Ziele ("niedrige Rüstzeiten", "Losgröße 1" und "Einhaltung der Termine"). Ein Vergleich mit den manuellen Planungen zeigte, daß sich die operativen Kosten der Planungsergebnisse von den Planern nicht mehr (wie bisher) verbessern lassen. Umgekehrt ist es aber möglich, sämtliche manuellen Planungen zu optimieren.

Das Einsparpotential läßt sich an einem vereinfachten Vergleich zeigen: Als Basis diente das Auftragsvolumen, das einer Planungswoche für eine Maschinengruppe entspricht. Zunächst wurde eine Planung von einem Sortierverfahren über Rüstschlüssel erstellt, die hinsichtlich der Rüstaufwendungen eigentlich optimal sein sollte.

Dennoch schneidet der Sortieralgorithmus gegenüber dem neuen Kostenoptimierungsverfahren schlecht ab: So sind Gesamtkosten und Rüstkosten mit dem neuen Verfahren um insgesamt 16 Prozent geringer. Im Bereich der Leitungssatzproduktion betrug die Effizienzsteigerung zirka 30 Prozent, der Planungsaufwand verringerte sich sogar um rund 60 Prozent.

Outsourcing der Just-in-time-Systeme

Die Integration des Verfahrens begann im Sommer 1994. Seit Ende 1994 ist die Lösung bei Delphi im täglichen produktiven Einsatz. Derzeit wird die Migration des SAP-R/2-Systems auf SAP R/3 vorbereitet. Außerdem stellt man bei Delphi Überlegungen an, die Kostenoptimierung durch ein Simulationsmodul zu erweitern, also die Konsequenzen aus Investitionen oder Organisationsveränderungen durch eine entsprechende Auswertung der vorhandenen Daten im voraus rechnerisch zu überprüfen.

Nach einem zweijährigen erfolgreichen Einsatz des Kostenoptimierungssystems wurden die ursprünglichen Projektkosten bereits mehrfach eingespielt. Mittlerweile hat Delphi seine Just-in-time-Systeme komplett an seinen Outsourcing-Partner übergeben: Seit Juli 1998 werden die Systeme vollständig von DMC KGC verwaltet.

Technische Daten

Kostenoptimierungssoftware: Proopt5 von DMC KGC, München

Datenbanksysteme: Indexsequentielles File-System, Access-Datenbank

Optimierungs-Server: 1 Hochleistungs-PC Pentium-II

Beteiligte User/Displays: zirka 30

Schnittstellen zu SAP R/2: ABAP, Dateitransfer

Front-end: Maschinendisplays, das heißt Standard-PCs

Explizit/implizit enumerierte Planungsvarianten je Lauf: mehrere Millionen

Typische Rechenzeit für einen Optimierungslauf: fünf Minuten bis zwei Stunden

Delphi

Delphi Automotive Systems bietet komplette Systemlösungen für die unterschiedlichsten Anwendungen im Automobil an. In 198 Produktionsstätten in über 35 Ländern sind mehr als 174000 Mitarbeiter mit der Herstellung von Komponenten, Systemen und Modulen für die Kfz-Industrie beschäftigt. Die Division Delphi Packard Electric Systems ist auf die Herstellung von Systemen für Energie- und Signalübertragung spezialisiert. Angeboten werden Verdrahtungssysteme, Verbindungstechnik, Komponenten, integrierte Elektronik und modulare Produkte. Die dazu notwendigen Leitungssätze umfassen ein Volumen von 500 bis mehr als 1000 Einzelleitungen in unterschiedlichsten Längen, Querschnitten, Farbisolierungen und Kontakten.

Angeklickt

Für die Automobilzulieferindustrie ist die kostenoptimierte Produktionsplanung eine besondere Herausforderung. Die Produktion von elektrischen und elektronischen Bauteilen erfolgt zunehmend in kleinsten Losgrößen, um den individuellen Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Um so wichtiger ist die optimale Auslastung der teueren Produktionsanlagen. Bei Delphi Automotive Systems wurde gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen DMC KGC, München, ein kostenoptimierendes Software-Tool in die bestehende CIM-Umgebung integriert. Damit lassen sich die gesamten Produktionskosten um über 16 Prozent und der Planungsaufwand um rund 60 Prozent reduzieren, die Effektivitätssteigerung liegt bei 30 Prozent.

*Dipl. Ing. Michael Esper ist Leiter der Abteilung Data Processing im Produktbereich Modular Products bei der Delphi Automotive Systems Deutschland GmbH, Neumarkt. *Emma Deil-Frank ist Kommunikationsberaterin in München.