Collaboration am lebenden Objekt untersucht

Let's work together - sechs Praxisbeispiele

02.05.2003
MÜNCHEN (qua) - Die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit, neudeutsch: Collaboration, verspricht mehr Flexibilität und Effizienz, stellt aber hohe Ansprüche an alle Beteiligten. Was unter welchen Umständen möglich ist, ergründete eine Tiefenstudie der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) mit Sitz in Bremen.

Die Hoffnung, ihre Wettbewerbsposition zu verbessern, bewegt immer mehr Unternehmen zu einer gemeinsamen Entwicklungs-, Produktions- und/oder Absatzplanung bis hin zur gegenseitigen Lagerbewirtschaftung mit ihren Lieferanten. Die BVL wollte herausfinden, welche Hindernisse die Collaboration-Partner zu überwinden haben und welche Faktoren für den Erfolg der Zusammenarbeit verantwortlich sind. In ihrem Auftrag unterzog das Marktforschungsunternehmen Bearing Point zwölf Collaboration-erfahrene Unternehmen detaillierten Fallstudien. Als Untersuchungsobjekte stellten sich folgende Pärchen zur Verfügung: Audi und Bosch, Daimler-Chrysler und Johnson Controls, IBM und Molex Interconnect, Hewlett-Packard und Flextronics, Metro und Procter & Gamble sowie Karstadt und Esprit Europe.

Die Studie beweise, dass Hochlohnländer ihre Prozess- und Produktionskosten durch Supply Chain Collaboration, kurz: SCC, erheblich senken könnten, lautet das Fazit von Dieter Bock, Vorstandsmitglied der BVL. Allerdings müsse sich dazu die Denke in den Unternehmen erst einmal ändern. Wie Bock weiter ausführt, variieren die mit SCC erzielbaren Vorteile je nach Branche:

- Die Automotive-Konzerne profitierten eigenen Angaben zufolge in erster Linie von reduziertem "Trouble-Shooting", verbesserter Bestandshaltung und geringeren Kosten für Bestände, Sondertransporte und Personal.

- Der Handel und die Konsumgüterindustrie hätten vor allem die verringerte Anzahl von Sonderbeschaffungen, gesunkene Kapitalbindungskosten, erhöhte Umschlagsgeschwindigkeit und effizientere Handhabung von Werbeaktionen positiv vermerkt.

- Die Hightech-Branche wisse insbesondere die Potenziale zur Bündelung von Transport- und Fertigungskapazitäten zu schätzen. Sie habe allerdings auch die Kehrseite dieser Medaille zu spüren bekommen: Die verringerten Transaktionskosten seien mit erhöhten Investitionen, beispielsweise in die Mitarbeiterschulung, zu erkaufen. Hinzu komme, dass sich der Nutzen von SCC-Projekten derzeit kaum quantitativ bewerten lasse, ergänzt Ulrich Weingarten, Prinzipal bei Bearing Point.

Dennoch haben sich beispielsweise die Audi AG, Ingolstadt, und ihr Zulieferer Robert Bosch GmbH, Plochingen, zu einer gemeinsamen Kapazitätsplanung durchgerungen. Als Beweggrund nennt Ernst Hermann Krog, Leiter Markenlogistik bei Audi, die explodierende Varianten- und Modellvielfalt, die zahlreiche Sondertransporte und Verschrottungen, übermäßige Bestände und kurzfristige Teilezukäufe in ihrem Schlepptau habe.

Transparenz über die gesamte Kette

Mit traditionellen Verfahren lässt sich der gestiegene Koordinationsbedarf nicht in den Griff bekommen, so Krog. Das bestätigt auch Oliver Merle, Projektleiter E-Business bei Robert Bosch: "Auf Basis der heutigen EDI- und ERP-Systeme" sei der Versuch, das vom Markt gewünschte "Zehn-Tage-Auto" zu bauen, "zwecklos".

Folglich hat die Audi-Mutter Volkswagen AG ein elektronisches Kapazitäts-Management ("E-Cap") eingeführt, in das sich Tier-1-Zulieferer wie Bosch einklinken können. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten (siehe CW 17/02, Seite 36) stehe Audi und seinen Partnern nun "ein tolles Instrument" zur Verfügung, freut sich Krog. Es könne allerdings nicht das "gesprochene Wort" ersetzten.

Collaborative Planung über die ganze Tiefe der Wertschöpfungskette hieß das Ziel, das die Daimler-Chrysler AG mit ihrem Supply-Chain-Monitoring verfolgte (siehe auch CW 10/02, Seite 60). Das System bildet einen Supply-Chain-Prozess bis auf die siebte Lieferantenebene hinunter ab. Laut Stefan Putzlocher, Leiter Supply-Chain-Management im Daimler-Chrysler-Werk Sindelfingen, beschränken sich derartige Ansätze aber vorerst auf "Spezialfälle". Auch auf längere Sicht würden Collaboration-Lösungen "nicht mehr als 50 Prozent der Lieferantenbasis abdecken".

Solche Lösungen sind keineswegs der Versuch, eine zentrale Planung einzuführen, konstatiert Bearing-Point-Principal Weingarten: "Zentrale Planung ist Utopie - und außerdem nicht wünschenswert." Angestrebt werde vielmehr Transparenz über die gesamte Kette, aber Planung auf der Grundlage kleiner verketteter Regelkreise zwischen jeweils zwei Partnern.

Diese Zielsetzung dürfte auch den Unternehmen auf der obersten Zuliefererebene besser schmecken. Schließlich haben die genug Bauchschmerzen bei dem Gedanken, ihre Planungsdaten für den Endfertiger zugänglich zu machen. Stefan Schmid, Logistikleiter des Zulieferers Johnson Controls GmbH & Co. KG, Böblingen, räumt ein, dass Johnson Controls anfangs erhebliche Bedenken gegen eine Teilnahme am Supply-Chain-Monitoring gehegt habe - vor allem wegen der Möglichkeit eines Datenmissbrauchs. Positive Erfahrungen während der Projekte hätten jedoch geholfen, diese Ängste abzubauen.

In der Hightech-Industrie sind collaborative Bedarfs- und Lieferplanung bereits gang und gäbe. Als beispielhaft hat Bearing Point hier die "Replenishment and Supply Collaboration Application" (RSC) von IBM ausgemacht. Mit Hilfe einer Internet-basierenden Softwarelösung implementiert das System die Verbindung zweier Planungszyklen: Bedarfsvorschau des Endfertigers und Lieferzusagen des Suppliers. Der Lieferant ist direkt mit dem Planungssystem der IBM verbunden; abhängig von deren Verbrauch liefert er seine Ware automatisch an ein "Konsignationslager". Laut Thomas Fleck, Manager E-Procurement Strategy bei der IBM Speichersysteme GmbH in Mainz, schließt der IT-Riese mit den teilnehmenden Lieferanten nur noch Rahmenverträge ab.

Als Qualitäts-Manager des in Eindhoven ansässigen Connector-Herstellers Molex Interconnect AG sieht Reinier Remmelink allerdings auch die potenziellen Schwächen und Risiken eines SCC-Systems. Beispielsweise müsse sich der leichtgewichtigere Supply-Chain-Partner stets an die Lösungen unterschiedlicher Kunden anpassen. Die Vorteile seien nicht immer gleichmäßig verteilt. Und die Begriffe "wirkliche" Zusammenarbeit sowie "wahres" Vertrauen würden bisweilen sehr individuell interpretiert.

Als wollten sie Remmelinks Ausführungen widersprechen, beteuern HP und sein Zulieferer Flextronics, dass in ihrem Fall beide Parteien vom "Vendor-managed Inventory" (VIM) profitierten: Laut Jürgen Waas, Director Supply Chain Operations bei der Hewlett-Packard GmbH, Böblingen, kann sich HP dank dieses Konzepts auf seine Kernkompetenz konzentrieren und fixe in variable Kosten umwandeln. Flextronics gewinnt eigenen Angaben zufolge durch den Einblick in die gesamte Bedarfs- und Lieferkette an Flexibilität und Effizienz.

Werbeaktionen gemeinsam planen

Im Retail-Bereich hat der Collaboration-Gedanke ebenfalls längst Fuß gefasst. Ein Beispiele dafür ist das "Collaboration Promotion Management" (CPM) des Handelsriesen Metro. Es ist Teil eines breit angelegten Programms, das unter dem Schlagwort "Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment" (CPFR) geführt wird, und ermöglicht gemeinschaftliche Absatzprognosem im Umfeld von Sonderwerbemaßnahmen - beispielsweise für Produkte des hierzulande in Schwalbach ansässigen Herstellers Procter & Gamble ("Tempo", "Ariel", "Blendamed", "Pampers"). Wie dessen CPFR-Manager Peter Hambuch, und Axel Hopp, Bereichsleiter Strategie Warengruppen-Management bei der Metro MGB GmbH, unisono versichern, lässt sich damit eine über alle Märkte aggregierte Bestellprognose bereits vier bis fünf Wochen vor der Promotion mit einer Genauigkeit von 80 Prozent entwickeln.

Mode ist wie frischer Fisch

Gemeinsame Ertragssteigerungen durch umsatz- und kostenorientierte Maßnahmen - so formulieren Karstadt und der Textilhersteller Esprit die Hauptmotivation für ihr Collaboration-Vorhaben. Daneben geht es der Warenhauskette aber auch darum, für die eigenen Häuser dieselben Bedingungen zu schaffen wie für die Esprit-eigenen Shops. Das gilt vor allem für die "Time to Market". Mode ist verderblich wie frischer Fisch, so Ludger Tillmann, Supply Chain & Logistics Manager bei der Esprit Europe GmbH in Ratingen, bei Düsseldorf: "Kommt die Ware zwei Tage zu spät, fängt sie an zu stinken."

Wer mehr über die sechs Fallbeispiele erfahren möchte, kann sich an die BVL in Bremen wenden. Die Studie kostet für Nichtmitglieder 195 Euro.

Fünf Erfolgsfaktoren

Aus Sicht von Helmut Baumgarten, Leiter des Bereichs Logistik an der Technischen Universität Berlin und Ehrenmitglied der BVL, hängt der Erfolg der "Supply Chain Collaboration" von folgenden Faktoren ab:

1. Die Zusammenarbeit muss über die IT-Integration hinausgehen und den menschlichen Faktor einschließen.

2. Ihren vollen Nutzen wird sie erst entfalten, wenn sie die gesamte Supply Chain - Kunden, Lieferanten und Logistikdienstleister - intern und extern sowie vertikal und horizontal integriert.

3. Die Komplexität der Lieferkette muss von der System- und von der Prozessseite durchdrungen sein.

4. Um Kosten und Nutzen des Supply-Chain-Managements zu identifizieren, ist es notwendig, ein unternehmensübergreifendes Logistik-Controlling zu entwickeln und zu implementieren.

5. Der Erfolg steht und fällt mit dem gegenseitigen Vertrauen der Collaboration-Partner. Dazu beitragen wird eine faire Aufteilung von Kosten und Nutzen, die auch weniger starken Partnern die Teilnahme ermöglicht.