Leserbriefe/Buerokraten als Windows-Bremser?

18.04.1995

Je naeher der Termin der offiziellen Erstauslieferung von Windows 95 in der amerikanischen Endversion rueckt, desto haerter wird die Gangart von "Wettbewerbshuetern" und anderen Wohltaetern, die in diesem neuen Produkt scheinbar nichts Gutes entdecken koennen. Ein besonders schwerer Brocken scheint das Microsoft Network (MSN) zu sein - obwohl doch IBM in seinem Bonus Pak von OS/2 Warp genauso einen Zugriff auf einen - natuerlich IBM-eigenen - Netzwerkknoten bietet. Und warum ist denn ein integrierter WWW-Browser (den es bei OS/2 Warp auch in einer analogen Big-Blue-Variante gibt) zu verurteilen - fuerchten denn eifrige Juristen, dass Microsoft gleich das ganze Internet uebernimmt? Die Sorge ist unberechtigt, denn selbst Big Bill koennte diese Rechnung wohl schwer begleichen.

Herr Gates hat richtig erkannt, dass Online-Service bisher zu umstaendlich fuer den Massenmarkt ist, und er hat es sich zur Aufgabe gemacht, das zu aendern.

Die Sorge, dass Microsoft auf dem bisherigen Erfolg von Windows 3.x aufbauen kann, sollte nicht ueberbewertet werden - fast alle Unternehmen der Branche tun das ja derzeit (selbst IBM mit OS/2 fuer Windows, der Workstation-Spezialist Sun mit seiner WABI- Implementierung, SCO und andere Unix-Systeme mit "Windows in a box", noch einmal IBM zusammen mit Apple mit Softwindows von Insignia fuer den Power-Mac ...). Folglich muss auch Microsoft seine eigene Altlast zwangslaeufig unterstuetzen (selbst wenn sich dadurch viele Fallstricke ergeben).

Die Branche wuenscht sich klare (und investitionssichere) Verhaeltnisse und wird Microsoft so lange gerne als Marktfuehrer akzeptieren, bis die Innovativitaet sichtbar nicht mehr gegeben ist. Diese Gruende haben auch am Ende der IBM-Dominanz dazu gefuehrt, dass die Kleineren und Schnelleren siegen konnten. Einen Mangel an praktischen Ideen kann man Bill Gates aber bisher nicht vorwerfen.

Kay Labinsk, Wirtschaftsinformatiker, 50827 Koeln