Outsourcing/Freier Ruecken fuer ein breites IT-Modernisierungsvorhaben

Lekkerland: DV-Auslagerung aus Sicherheits- und Kostengruenden

12.01.1996

An und fuer sich gab es noch vor etwas mehr als einem Jahr bei Lekkerland keinen konkreten Anlass dafuer, sich mit Outsourcing intensiver zu beschaeftigen. Lediglich die Entscheidung, Schritt fuer Schritt die selbstentwickelten, proprietaeren Individualprogramme durch die integrierte Standardsoftware SAP R/3 in der Zentrale in Frechen sowie in den fuenf regionalen Dependancen im ganzen Bundesgebiet abzuloesen, war gefallen.

Damit wollte das Unternehmen insbesondere ein homogenes, konsistentes und in der Zukunft flexibel erweiterbares Anwendungssystem mit bis zu 350 Benutzern aufbauen, das die Geschaeftsprozesse eines expandierenden Handelsunternehmens umfassend abdeckt. Die betriebswirtschaftliche Standardsoftware deckte zu 80 Prozent die rund 300 in einem selbsterstellten Anforderungskatalog aufgelisteten Funktionskriterien ab - eine fuer Lekkerland akzeptable Groesse.

Die Wahl des Hardwarelieferanten fuer die Unix-Rechner fiel auf Hewlett-Packard (HP). Danach erfolgte die Installation eines HP-Testsystems fuer Trainings- und Uebungszwecke bei der sdh Software fuer den Handel GmbH, einer 100prozentigen Lekkerland-Tochter. Sie ist zustaendig fuer saemtliche IT-Belange des Handelsunternehmens. Auf dem Testsystem lief "Retail", eine SAP-Musteranwendung fuer den Handelsbereich, fuer die Lekkerland Pilotanwender ist.

Als es Ende 1994 darum ging, die tatsaechliche Rechnerkonfiguration des anstehenden Produktivbetriebs zu bestimmen, tauchten ploetzlich unter anderem folgende Fragen auf: Wo sollen die Datenbank- und Applikations-Server installiert werden? Was ist, wenn eine kritische Client-Server-Komponente wie ein Datenbank-Server ausfaellt? Welche vorbeugenden Massnahmen sind zu treffen, um Rechner und Platten gegen Brand- oder Wasserschaeden zu schuetzen?

Bei sdh beziehungsweise Lekkerland gab es damals kein Rechenzentrum, das Sicherheitsanforderungen wie getrennte Brandschutzzonen fuer Produktiv- und Backup-Systeme erfuellte. Ein groesseres und aufwendig gesichertes Rechenzentrum war bis dahin fuer das Unternehmen auch nicht erforderlich, da in den Niederlassungen und in der Zentrale autonom arbeitende Midrange-Rechnersysteme ihre Dienste verrichteten.

Eine Kalkulation ergab, dass mit etwa 250000 Datensaetzen (Fakturasaetzen) pro Tag zu rechnen sei. Bei diesem Datenvolumen kamen die Verantwortlichen zum dem Schluss, dass die Rechnerkonfiguration fuer die zu implentierenden R/3-Module FI (Finanzwesen), CO (Controlling), SD (Vertrieb) und MM (Materialwirtschaft) aus insgesamt zwei Datenbank-Servern vom Typ HP 9000/T500 - einer als Stand-by-Server und zur Datenspiegelung -mit rund 150 GB Plattenkapazitaet und fuenf Applikationsservern (HP 9000/G70) sowie einem Testrechner (H70) zu bestehen hatte.

Als eine praktikable und vor allem wirtschaftlich sinnvolle Problemloesung kristallisierte sich an diesem Punkt das Outsourcing heraus. Dadurch liess sich eine sechsstellige Investitionssumme fuer den Aufbau eines sicheren Rechenzentrums vermeiden. Dies war seinerzeit das vorrangige Argument fuer die Uebergabe des Rechenzentrums und die Uebertragung der Verantwortung des HP-SAP-Operating sowie des Datenbank-Managements an einen noch auszuwaehlenden externen Dienstleister. Der musste natuerlich die von Lekkerland aufgestellten hohen Rechenzentrums-Sicherheitskriterien erfuellen.

Sehr rasch rueckte bei naeherer Betrachtung des Themas Outsourcing insbesondere ein Punkt in den Vordergrund: die Moeglichkeit einer nachhaltigen Kostenreduktion fuer den IT-Bereich. Diesem Ziel kam das urspruengliche Motiv - Vermeidung von Investitionen fuer ein sicheres RZ - zusaetzlich entgegen.

In einer Kostenabschaetzung verglichen die Verantwortlichen die eigenen Kosten fuer den RZ-Betrieb mit denen, die im Outsourcing-Markt ueblich sind. Hinzu kam hier die Tatsache, dass sich durch das Auslagern der Rechner und deren Betrieb das IT-Personal reduzieren liess.

Eines war jedoch von Anfang an klar: Bei dem Outsourcing-Vorhaben sollten auf keinen Fall risikoreiche Abhaengigkeiten gegenueber dem kuenftigen Outsourcer entstehen. Vorgesehen war auch nicht, dass die Rechner in das Eigentum eines moeglichen externen Dienstleisters uebergehen. Die Ueberlegungen in puncto Outsourcing sollten zudem nicht dazu fuehren, strategische Elemente wie die Geschaeftsprozessgestaltung oder das SAP-Customizing, also die Einstellungen der Lekkerland-spezifischen Funktionen in R/3, in fremde Haende zu legen.

Anfang dieses Jahres erstellte die sdh ein Pflichtenheft, in dem alle mit einem externen Dienstleister abzuklaerenden Outsourcing-Aspekte (Rahmenbedingungen, exklusive eines erforderlichen WAN-Betriebs) ihren Niederschlag fanden. Gleichzeitig diente es den in Frage kommenden externen Dienstleistern als Grundlage fuer ihre Angebote.

Die wesentlichen Kernpunkte aus dem Pflichtenheft waren:

- klar definierte Taetigkeiten und Aufgabenfelder des Outsourcers waehrend der Einfuehrungsphase;

- vorhandene sicherheitstechnische Begebenheiten und IT-Infrastruktur;

- Know-how und Leistungserbringung beim System-Management;

- Struktur der RZ-Ablaeufe gemaess ISO 9000;

- Aussehen eines Notfallprogramms und Stoerungs-Management;

- festgelegte Betriebs- und Ansprechzeiten sowie

- eventuelle Zusagen ueber Systemverfuegbarkeiten.

Lekkerland sprach fuer die Angebotsabgabe insgesamt vier Dienstleister an. Dazu zaehlten die Grossen der Outsourcing-Szene und das Software- und Systemhaus Seitz mit Stammsitz in Pforzheim.

In einer ersten Runde sollten diese Firmen Preisvorstellungen abgeben. Ziel war es dabei, die mitgelieferten Zusatzinformationen (Leistungsspektrum, Referenzen und aehnliches) zu vergleichen. Daraufhin standen Gespraechstermine bei den in Frage kommenden Dienstleistern an. Bei diesen Treffen ging es einerseits darum, die Firmen naeher kennenzulernen, andererseits deren Rechenzentren unter die Lupe zu nehmen.

Dass dabei das von der Groesse her dem Mittelstand zuzurechnende Software- und Systemhaus Seitz das Rennen machte, hat mehrere Gruende. Einerseits ist das Unternehmen seit ueber 20 Jahren im HP-Umfeld taetig und zaehlt zu den ersten R/3-Systemhaeusern, die SAP als solche zertifiziert hat. Kompetenz und Erfahrungen in Sachen HP-SAP-Einsatz scheinen somit gewaehrleistet.

Andererseits war sich Lekkerland sicher, in der Pforzheimer Firma einen Outsourcing-Partner gefunden zu haben, der auch auf die individuellen Wuensche eines Anwenders in vollem Umfang eingeht, kurzum Flexibilitaet verspricht. Hinsichtlich der Preise unterschieden sich die Angebote nur unwesentlich.

Um die Bedingungen respektive Rechte und Pflichten der Partnerschaft mit dem ausgewaehlten Dienstleister in einer schriftlichen Vereinbarung zu fixieren, nahm sdh die Kenntnisse einer Muenchner Rechtsanwaltskanzlei in Anspruch, die sich mit Outsourcing-Vertraegen bestens auskannte. Sie berichtete ueber Outsourcing-Erfahrungen anderer Firmen und formulierte auch den mit Seitz im Mai geschlossenen Vertrag.

Das Handelsunternehmen zahlt an das Software- und Systemhaus einen vereinbarten monatlichen Pauschalbetrag. Ausstiegsklauseln bei Nichterfuellung der vereinbarten Dienstleistungen sind ebenfalls eingebaut. Neben dem eigentlichen Betrieb der Rechner von Lekkerland verpflichtete sich der Outsourcer unter anderem, das HP-SAP-Operating durchzufuehren, das Datenbank-Management sicherzustellen, Backup- und Recovery-Strategien zu entwickeln sowie Neuinstallationen von Hard- und Software vorzunehmen. Desweiteren hat der Outsourcer sicherzustellen, dass einer der beiden Datenbankrechner im Stand-by-Betrieb (mit Plattenspiegelung) in einer separaten Brandschutzzone untergebracht sowie das RZ mit USV-Einrichtung und Notstromaggregat ausgeruestet ist.

Zudem wurde an den eigentlichen Vertrag eine Checkliste angefuegt, deren Punkte die Parteien von Zeit zu Zeit diskutieren. Vom Vertrag abweichende Leistungen, die der Outsourcer auf Wunsch zu erbringen hat, sind dann neu zu verhandeln.

Ueber die mit dem Outsourcing verbundenen Personalveraenderungen hat sdh die Mitarbeiter fruehzeitig und umfassend informiert. In diesem Zusammenhang wurden vor allem die wirtschaftlichen Vorteile durch die RZ-Auslagerung fuer das Unternehmen Lekkerland herausgestellt.

Sowohl Seitz als auch Lekkerland nahmen unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrags die bevorstehende Ueberfuehrung der Rechner von Koeln nach Pforzheim in Angriff. Und an nur einem Wochenende erfolgte der Abbau der inzwischen produktiven HP-Rechner bei sdh sowie deren Aufbau beim Outsourcer.

Seither steht die Client-Server-Anlage mit der darauf laufenden SAP-Software in der schwaebischen Gold- und Schmuckmetropole. Verbunden sind die Zentrale und die Niederlassungen mit dem RZ ueber ein bundesweites Wide Area Network. Als Netz-Provider fuer Lekkerland waehlte sdh die Firma Meganet.

Der Startschuss des R/3-Produktivbetriebs fiel ebenfalls im Mai. Entgegen den urspruenglichen Planungen, alle Module der Client-Server-Standardsoftware nacheinander in jeder Region einzufuehren, wird zur Zeit FI, CO und das spaeter hinzugekommene Modul HR fuer die Personalwirtschaft in allen Regionaldependancen implementiert. In der Zentrale und in zwei Regionen sind die drei Module im Einsatz. SD und MM werden in einer ersten Pilotinstallation in der Zentrale getestet.

Was die bisherige Zusammenarbeit mit dem externen Dienstleister anbelangt, gab es keine nennenswerten Probleme. Kleinere Reibungspunkte liessen sich in Gespraechen schnell ausraeumen.

Schon heute ist erkennbar, dass sich das Kosten-Nutzen-Verhaeltnis der Lekkerland-IT durch die Auslagerung positiv entwickelt. Durch das Outsourcing konnte sdh eine Kostenreduzierung zwischen 20 und 30 Prozent erreichen. Die sdh-Mitarbeiterzahl sank um vier Beschaeftigte.

Durch das Outsourcing kamen Lekkerland und sdh dem Ziel naeher, neue Technologien schnell und mit moeglichst geringen Kosten einzufuehren. Und auch ein immer wieder mit dem Outsourcing in Verbindung gebrachter Pluspunkt, naemlich "Konzentration auf die Kernaktivitaeten", wurde erreicht.

Kurz & buendig

Eigentlich ging es der Lekkerland-Gruppe darum, auf eine offene Client-Server-Umgebung umzustellen, die alten Individualprogramme durch eine betriebswirtschaftliche Standardsoftware zu ersetzen und dabei das allgemeine Sicherheitsniveau des DV-Betriebs zu verbessern. Die Kalkulationen fuer die neuen Anforderungen liessen betraechtliche Kosten erwarten. Recht kurzfristig entschloss sich das Unternehmen dann jedoch dazu, umfangreiche Teile der neuen DV einem externen Dienstleister zu uebertragen. Bei der Ausschreibung machte ueberraschenderweise der einzige mittelstaendische Bewerber das Rennen.

*Roland Pfisterer ist Geschaeftsfuehrer der sdh Software fuer den Handel GmbH in Koeln.