LCD-Forschung - wo die kleinen Flüssigkristalle wachsen

26.10.2007
Von WIWO WIWO
50 Millionen Haushalte weltweit besitzen einen Flachbild-Fernseher - die Technik dafür stammt aus den Forschungseinrichtungen von Merck. Die Entwicklung neuartiger Flüssigkristalle ist eine der Erfolgsgeschichten des Unternehmens. Jetzt winkt das nächste Milliardengeschäft: OLED.

DÜSSELDORF. Es ist wie bei einem komplizierten Puzzle: Die Entwickler im Forschungszentrum von Merck sitzen vor ihren Computerbildschirmen und testen verschiedene Varianten von neuen komplexen chemischen Strukturen. Mit ihnen wollen sie Flüssigkristalle mit noch besseren physikalischen Eigenschaften herstellen: Die neuen LCDs müssen noch heller leuchten als die bisherigen, schneller schalten und möglichst wenig Energie verbrauchen. 500 neuartige Moleküle und 10.000 neue Mischungen werden auf diese Weise pro Jahr entdeckt. "Sie werden in einem aufwändigen Verfahren getestet, um herauszufinden, ob sie die Eigenschaften von Flachbildschirmen weiter verbessern könnten", sagt Thomas Geelhaar. Einige Hundert seien schließlich so gut, dass sie in den Markt kommen, so der Leiter der Chemieforschung bei dem Chemie- und Pharmakonzern in Darmstadt.

Die Entwicklung dieser Substanzen ist eine der großen Erfolgsgeschichten von Merck. Eher per Zufall hatte der Botaniker Friedrich Reinitzer vor über 100 Jahren das Phänomen der flüssigkristallinen Phase entdeckt. Damals war den Forschern noch nicht klar, wie man diese besondere physikalische Eigenschaft technisch nutzen konnte. Merck stellte zwar erste flüssigkristalline Substanzen her, doch die wurden bis Ende der 60er Jahre ausschließlich von Wissenschaftlern in der Grundlagenforschung genutzt. "Erst als in Japan die ersten Flüssigkeitskristalle in monochromen Displays von Taschenrechnern und Armbanduhren auftauchten, war plötzlich klar, was man mit den Substanzen alles anfangen könnte", beschreibt Geelhaar die Aufbruchstimmung in dieser Zeit. Danach hat es immerhin noch rund 20 Jahre gedauert bis es Merck geschafft hatte, sich in dem neuen Markt durchzusetzen.

Flüssigkristalle in verschiedenen Phasen - sie zeigen Eigenschaften, die sich zwischen denen einer perfekten Kristallanordnung und dem „Durcheinander“ von Flüssigkeiten bewegen. Fotos: Merck
Flüssigkristalle in verschiedenen Phasen - sie zeigen Eigenschaften, die sich zwischen denen einer perfekten Kristallanordnung und dem „Durcheinander“ von Flüssigkeiten bewegen. Fotos: Merck
Foto: Merck

Ein wirtschaftlicher Erfolg wurden die Flüssigkristalle in den 80ern. Sie wurden Bestandteil von immer mehr Produkten. Inzwischen findet man sie nicht nur in Handys, PC-Bildschirmen und Notebooks, sondern auch in Anzeigen von elektronischem Spielzeug ebenso wie in Navigationssystemen, in Fernsehern oder Kontrollanzeigen großer Industrieanlagen. Dabei haben sie unterschiedliche Eigenschaften. Während man beim Geldautomaten in seiner Bank froh ist, dass der Nebenmann nicht aufs Display schauen kann, soll das Fernsehbild möglichst von vielen verschiedenen Sitzpositionen aus einsehbar sein. "Jede dieser Anwendungen erfordert besondere Anzeigen und entsprechend speziell zusammengesetzte Flüssigkristall-Mischungen", sagt der Forschungschef.

Ein besonderer Entwicklungssprung gelang den Merck-Forschern Anfang 2000. Sie entdeckten eine komplett neue Generation von Flüssigkristallen, mit denen erstmals auch Displays für schnelle, bewegte Fernsehbilder hergestellt werden konnten. "Das war der Durchbruch für den Flachbildschirm bei Fernsehern", sagt Geelhaar. Inzwischen besitzen weltweit 50 Millionen Haushalte einen dieser neuen, schicken und superflachen LCD-TVs - und es werden immer mehr: In zwei Jahren sollen es bereits über 100 Millionen sein.

Dass die Technik so schnell in den Markt kam, ist der engen Kooperation mit den TV-Herstellern zu verdanken. Die Entwicklung der neuen Flüssigkeitskristalle fand in Deutschland statt. Die Chemiker, Physiker und Anwendungstechniker arbeiteten dabei jedoch eng mit den Kunden in Asien zusammen. Nachdem die neuen Substanzen umfangreiche Tests in den Labors durchlaufen hatten, wurden sie zusammen mit den Displayherstellern in Südkorea, Taiwan und Japan optimiert.

Das Geschäft mit den Flüssigkristallen läuft zwar noch sehr gut - im vergangenen Jahr hat der Chemiebereich mit den Substanzen einen Umsatz von knapp 900 Millionen Euro (42 Prozent des Umsatz der Chemiesparte) erzielt. Dennoch hat Merck bereits die nächste Generation der Flachbildschirme im Blick: Sie werden mit organischen lichtemittierenden Dioden - sogenannten OLEDs - betrieben. Diese enthalten halbleitende, organische Materialien, die unter dem Einfluss von elektrischem Strom Licht emittieren und damit selbst leuchten. Sie können dazu benutzt werden, große Flächen zu be- und hinterleuchten und eignen sich zum Aufbau von Displays und Lichtquellen. In Mobiltelefone und MP3-Spieler werden OLED-Displays schon eingebaut.

Spätestens 2009, sagen Marktforscher voraus, werden die OLEDs zum Milliardengeschäft. "Dann wollen wir ganz vorne mit dabei sein", sagt Geelhaar. Um dies zu erreichen, hat Merck frühzeitig wichtiges Know-how hinzugekauft und vor zwei Jahren die OLED-Sparte Covion der britischen Chemiengruppe Avecia sowie das OLED-Projekt des Spezialglasherstellers Schott übernommen. Neben Kodak und dem japanischen Chemiekonzern Sumitomo gehört Merck inzwischen zu einem der führenden Anbieter der Ausgangsmaterialien für OLEDs. Experten sind sich sicher: Wenn es den Darmstädtern gelingt, frühzeitig auch hier die richtigen Moleküle zu generieren, dann haben sie gute Chancen ihren Erfolg, den sie mit den Flüssigkristallen erzielt haben, zu wiederholen. Zumal sie hier mit den gleichen Firmen zusammenarbeiten würden. (WiWo/ajf)