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Larry Ellison lässt neue NC-Firma vom Stapel

09.05.2000
Internet Appliance für 200 Dollar

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach seinem ersten vergeblichen Anlauf im Jahr 1996 setzt der umtriebige Oracle-Chef Lawrence "Larry" Ellison erneut auf die NC-Karte. Mit einer Finanzspritze aus seinem ganz privaten Geldbeutel hat er eine Startup-Firma angeschoben, die mit preiswerten Netzwerk-Computern den Markt aufmischen soll.

Die neue Company heißt The New Internet Computer Co., kurz NICC, und hat ihren Sitz im kalifornischen San Franzisko. Zur CEO (Chief Executive Officer) hatte Ellison bereits im vergangenen Jahr die ehemalige Computerjournalistin Gina Smith ernannt. Beide kannten sich aus mehrere Interviews, und Smith hatte Ellison bei der Vorstellung des ersten NCs gesagt, sie würde daraus "ein Wahnsinns-Consumer-Teil machen". Das darf sie nun, denn der Oracle-Boss meldete sich Ende letzten Jahres bei ihr und machte ihr "ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte".

Ein Internet-Rechner für 200 Dollar

Erstes Produkt von NICC ist der "New Internet Computer" (NIC). Der kostet gerade einmal 200 Dollar (ohne Monitor, versteht sich - mit 15-Zöller beträgt der Preis 376 Dollar) und hat weder eine Festplatte noch Windows. Er bootet statt dessen das Open-Source-Unix Linux von einer mitgelieferten CD und bietet Zugriff auf das Web und E-Mail. Der NIC arbeitet mit einem 266 Megahertz schnellen Cyrix-Prozessor und ist mit 64 MB Arbeitsspeicher bestückt, ein 10/100-Ethernet-Adapter ist ebenfalls an Bord. Die Silberscheibe ist fest in das Gerät eingebaut und enthält neben Betriebssystem und Internet-Client auch verschiedene Browser-Plugins (Shockwave/Flash, Real Player etc.) für gängige Multimedia-Inhalte. Ferner ist die Client-Software von Citrix enthalten, die bei Bedarf den Zugriff auf Server-basierte Microsoft-Anwendungen ermöglicht. Ein Software-Update lässt sich (nur) durch Einsetzen einer neuen CD erreichen. Produziert wird der NIC übrigens in Taiwan; Smith wollte den Hersteller allerdings nicht namentlich nennen.

Zunächst zielt NICC mit dem Spar-Rechner auf den akademischen Sektor. Zum Start stiftete das Unternehmen gleich mehr als 1100 der Geräte für Schulen und Universitäten in Texas. Die Positionierung hat sich damit gegenüber dem einstigen NC-Ansatz deutlich verändert. "Wir wollen den PC nicht ersetzen", erklärte Gina Smith. "Schulen und Hochschulen werden auch weiterhin PCs benutzen - aber sie haben nicht genug davon, und sie kosten eine Menge Zeit und Geld." Ende des Jahres will NICC dann mit einem ähnlich konzipierten Gerät in den Massenmarkt. Auch der Consumer-NC soll weniger als 200 Dollar kosten und vornehmlich den Zugang zu Web und elektronischer Post ermöglichen.

Aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?

Mit diesem Konzept hat die neue Company zumindest bessere Karten als der 1995 gegründete Oracle-Ableger NCI (Network Computer Inc.). Ellison hatte die Branche seinerzeit mit Marketing-Attacken über einen 500 Dollar teuren PC-Ersatz in Aufruhr versetzt, konnte dann aber die Erwartungen ebenso wenig erfüllen wie andere NC-Konzepte von Sun Microsystems oder IBM. NCI benannte sich in der Folge 1999 in Liberate Technologies Inc. um, konzentrierte sich forthin auf Softwarelösungen für Interaktives Fernsehen und ging erfolgreich an die Börse.

"Diesmal wird alles anders", verspricht NICC-Chefin Gina Smith. Ihre Firma soll kein zweiter Aufguss des gescheiterten Konzepts werden. Die ersten Oracle-NCs nutzten ein proprietäres Betriebssystem und - weit gravierender - waren stets auf einen korrespondierenden Server angewiesen, der die Anwendungen hostete. Die neuen NCI hingegen laufen unter Linux, werden komplett mit 56-Kbit/s-Modem und Netscape-Browser geliefert und können damit aus dem Stand eine Verbindung zum Internet herstellen. "Eigentlich ähnelt unsere Hardware ziemlich den Internet Appliances, die Firmen wie Compaq und Gateway jüngst vorgestellt haben", gibt Smith zu.

Und genau hier könnte das Problem für NICC liegen: Sowohl die traditionellen IT-Größen - neben den genannten verfolgen unter anderem auch IBM, Dell und HP eigene Appliance-Pläne - als auch Consumer-Electronics-Riesen wie Sony verfügen über die nötigen Produktions- und Vertriebsprozesse, um den Markt zu beherrschen. "Im Appliance-Geschäft geht es vor allem um die Produktionskapazitäten", gibt Rob Enderle von der Giga Group zu bedenken. Er bezweifelt, dass die frühere ABC-TV-Frau Gina Smith die nötige Erfahrung mitbringt: "Das wird ein Problem. In diesem Markt ist der Preis das Wichtigste, und die Chefin hat keinen Herstellungs-Background."