Windows NT avanciert allmaehlich zum Herausforderer von Netware

LAN-Markt: Client-Server laesst die Baeume in den Himmel wachsen

02.02.1996

Weitgehend unveraendert stellt sich die Situation bei den LAN- Betriebssystemen dar: Hier ist Novell unangefochtener Branchenprimus, wenngleich die Netware-Bastion angesichts des Erfolges von Windows NT allmaehlich zu broekkeln scheint.

Die installierte Basis der an LANs angeschlossenen Rechner ist 1994 im Vergleich zum Vorjahr sprunghaft um 44 Prozent auf rund 4,5 Millionen Systeme gewachsen. Die Ursache fuer diese explosionsartige Steigerung des Marktvolumens liegt nach Ansicht der IDC-Experten darin, dass mittlerweile auch kleinere und mittlere Unternehmen die Vorteile eines LAN-basierten Networkings erkannt und entsprechend investiert haben (siehe Kasten: "LAN- Nutzung in Deutschland"). Hand in Hand geht damit die Entwicklung des Umsatzes bei PC-Servern, wo zudem ein ueberdurchschnittlicher Preisverfall zu beobachten ist. Waren hier der Studie zufolge dedizierte Systeme noch bis 1993 in einem sehr hohen Preissegment angesiedelt und demzufolge selbst sogenannte Einstiegsloesungen kaum unter 13000 bis 15000 Mark zu bekommen, kosten multiprozessorfaehige PC-Server mittlerweile im Durchschnitt weniger als 10000 Mark.

Beeindruckende Steigerungsraten hat auch der Markt fuer Network Interface Cards (NICs) zu verzeichnen. Hier kam es laut IDC (nach 1,2 Millionen verkauften Boards im Jahr 1993) 1994 zu einem Zuwachs von rund 41 Prozent, was dem Verkauf von 1,712 Millionen Interfaces zwischen Berchtesgaden und Flensburg entspricht. Dabei entfielen allein auf das Ethernet-Segment 1,43 Millionen verkaufte Einheiten, was, wie es in der Studie heisst, vor allem auf den hohen Bekanntheitsgrad und die Ausgereiftheit dieser LAN-Topologie zurueckzufuehren ist.

Der zukunftstraechtige Markt fuer High-speed-NICs (FDDI, Fast Ethernet, ATM) kam 1994 auf ein Plus von 42 Prozent - wenn auch von einer niedrigeren Basis ausgehend. Neben den im Vergleich zu 1993 im Folgejahr nur minimal erhoehten IT-Budgets ist hier nach Einschaetzung von IDC die Stabilitaet von Ethernet- und Token-Ring- Architekturen der Hauptgrund fuer die "relative Zurueckhaltung" der Unternehmen bei Investitionen in High-speed-LANs.

Aehnliches gilt fuer die Entwicklung des gesamten deutschen ATM-LAN- Marktes, der 1994 zwar auf ein Wachstum von 42 Prozent kam, im Vergleich zum Token-Ring- und Ethernet-Geschaeft aber noch verschwindend klein ist. Hemmschuh einer durchschlagenden positiven Entwicklung sind hier nach Ansicht der IDC-Experten immer noch die zu hohen Kosten - was im uebrigen nicht nur fuer die NICs, sondern vor allem auch fuer die Verkabelung gilt. Um entsprechende Uebertragungsraten von 100 Mbit/s und mehr zu erreichen, muessen anstelle von Koaxial-, STP- oder UTP-Kabeln neue Glasfaserstrecken verlegt werden, und das ist bekanntlich teuer.

Allerdings gibt es, wie IDC berichtet, neue Entwicklungen, etwa von IBM und Digital, um ATM auf der Basis von STP/UTP-Kabel zu realisieren, was die Installationskosten um ein Vielfaches reduzieren wuerde.

Der deutsche Router-Markt entsprach IDC zufolge 1994 in seiner Aufteilung dem Produktportfolio der einschlaegigen Hersteller - es wurde also zwischen dem sogenannten Low-end-, Mainstream- und High-end-Segment unterschieden. Als durchschnittlichen Preis fuer die jeweiligen Produktklassen ermittelten die Auguren 6900, 24000 und 70000 Mark.

Die starke Steigerung bei den Auslieferungen (insgesamt wurden nach Angaben der Studie 15940 Systeme verkauft) resultiert aus folgenden Marktfaktoren: der steigenden Anzahl von LANs und LAN- LAN-Verbindungen, der zunehmenden Integration heterogener Strukturen, der Liberalisierung des Telecom-Marktes, der mittlerweile gaengigen Anbindung von Niederlassungen an die Unternehmenszentrale sowie der Notwendigkeit von Gateways zum Internet.

Darueber hinaus gab es mit den Themen ATM und LAN-Switching zwei wichtige Einflussfaktoren im Router-Markt. Allerdings fuehrt dies nach Ansicht der IDC-Experten nicht dazu, dass die herkoemmliche und derzeit aktuelle Router-Technik schon in den naechsten Jahren durch ATM ersetzt wird. Eher duerfte die wachsende Funktionalitaet von Hubs in die traditionelle Router-Domaene eingreifen. "Insbesondere ATM-Hubs koennten in Zukunft verstaerkt zur Segmentierung heterogener LAN-Umgebungen und zur Verbindung von LANs ueber WANs genutzt werden", heisst es in der Studie woertlich. Analog zu ihrer Einschaetzung in Sachen weitere Entwicklung von ATM gehen die Auguren jedoch auch hier davon aus, dass es durch das LAN-Switching zunaechst zu keinem signifikanten Einbruch im Router-Markt kommen wird.

Client-Server-Computing ist in. Fuer kein anderes Marktsegment trifft dies laut IDC mehr zu als fuer den Bereich der LAN- Betriebssysteme. Dort wuchs das Geschaeft 1994 um rund 50 Prozent, wobei nach Aussage der Studie vor allem zwei Dinge bemerkenswert sind: die (noch) unangefochtene Position von Marktfuehrer Novell mit einem Anteil von mehr als 60 Prozent sowie der Siegeszug von Windows NT, das bei Neuinstallationen mit knapp 23 Prozent mittlerweile in Deutschland Rang zwei innehaelt (siehe Abbildung und Kasten: "Hausaufgaben fuer den Marktfuehrer"). Bei der kleineren Sparte, den sogenannten Peer-to-peer-Systemen, ist die Produktbezeichnung IDC zufolge mittlerweile fast synonym mit dem Namen einer einzigen Loesung: MS Windows for Workgroups. Fast 93 Prozent aller in Deutschland ausgelieferten Peer-to-peer-Pakete (102000 Stueck) entfielen auf das Microsoft-Betriebssystem, gefolgt von Personal Netware (vier Prozent) und Artisofts Lantastic (zwei Prozent).

Netware dominiert in ganz Europa

Aehnlich wie in Deutschland ist die Situation im uebrigen Europa. So bleibt nach den Erhebungen von IDC Netware auch in allen anderen EU-Laendern bis auf weiteres das dominante LAN-Betriebssystem, das derzeit in gut 54 Prozent aller Unternehmen im Einsatz ist. Nach wie vor arbeiten uebrigens die meisten Netware-Anwender mit der Version 3.x. Unix-basierte LAN-Betriebssysteme werden in knapp 13 Prozent der Unternehmen genutzt, an europaweit dritter Stelle folgt mit knapp neun Prozent Microsofts Windows NT/LAN Manager.

Der LAN Server von IBM ist speziell in groesseren Unternehmen vertreten. In Betriebsstaetten mit mehr als 100 Beschaeftigten liegt nach Angaben der Studie sein Marktanteil zwischen knapp sieben und etwas mehr als neun Prozent. Insgesamt allerdings fristet Big Blues Networking-Software mit 2,6 Prozent in Europa ein Schattendasein. Der in Fachkreisen nach wie vor geschaetzte "Klassiker" Banyan Vines ist, so das vernichtende Urteil der IDC- Auguren, im Gesamtmarkt kaum noch vertreten. Lediglich bei Unternehmen mit ueber 1000 Beschaeftigten kommt die Software mit dem populaeren Streettalk-Verzeichnisdienst noch auf einen Anteil von zwei Prozent.

Hausaufgaben fuer den Marktfuehrer

Novell - eine Erfolgsbilanz, bei der sich allerdings das Blatt rasch wenden koennte. IDC kommentiert in der Studie die strategische Neuausrichtung der Company aus Provo und blickt kritisch in die (Novell-)Zukunft:

Am 26. September 1995 praesentierte Novell seine neue Strategie mit der Bezeichnung "Net2000". Eine Woche zuvor gab das Unternehmen den Verkauf seines Unixware-Geschaefts an die Santa Cruz Operation (SCO) und die Absicht bekannt, zusammen mit SCO und Hewlett- Packard seine Netware Directory Services (NDS) in eine robuste Intel-basierte Unix-Plattform integrieren zu wollen. Mit dem Verkauf von Unixware ging eine Firmenepisode zu Ende, waehrend der Netware und Unixware gemeinsam als die Novell-Server-Plattform der Zukunft positioniert wurden. Ad acta gelegt wurde auch das Konzept eines "Super-NOS", das, als modernes Server-Betriebssystem angedacht, Netware und Unixware gleichzeitig unter einer einheitlichen Verzeichnis- und Management-Struktur fuehren sollte.

Im Rahmen von Net2000 wird Netware nun als optimiertes Betriebssystem mit intelligenten Features, beispielsweise Diensten wie Management, Sicherheit, Electronic Commerce und Groupware, positioniert, die komplexe Operationen ueber ein globales Netz ermoeglichen. Dadurch bleibt, wie es bei IDC heisst, Netware auch kuenftig die wichtigste Komponente privater Firmennetze und darueber hinaus auch Plattform fuer oeffentliche Netzwerkdienste. (...) Womoeglich genauso wichtig oder sogar noch wichtiger sind Novells Plaene, auch die breite Palette der Netware- Dienste auf Unix- und erstmals auch NT-Server portieren zu wollen. (...) Man hat also erkannt, dass Unixware kaum das Zeug zu einem grossvolumigen Server hat, mit dem man NT herausfordern kann. Netware soll daher weiter als Netzwerk-Betriebssystem fuer komplexe Anwendungen seinen Dienst verrichten, waehrend NDS, Tuxedo und andere Netzwerkdienste auf NT portiert werden sollen.

Noch muss Novell allerdings eine Reihe von Aufgaben loesen. Einmal ist dies sicherlich die Tatsache, die eigene neue "Message" den Anwendern wie Wiederverkaeufern noch nahezubringen. Insbesondere den IS-Managern muss die Gewissheit vermittelt werden, dass Novell und Netware Antworten auf die wachsenden Anforderungen in den komplexen Netzwerken der Unternehmen haben. (...) Mit Blick auf NT muss die versprochene Integration auch zeitlich nach Plan erfolgen. Novell hat NT schon zu lange als Plattform ignoriert - erst recht, nachdem angesichts des starken NT-Wachstums die anvisierten Verbindungen zwischen beiden Welten notwendiger denn je sind.

LAN-Nutzung in Deutschland

Um die aktuelle und kuenftige LAN-Nutzung in Europa zu ermitteln, fuehrte IDC eine Untersuchung durch, deren Basis 7642 Telefoninterviews mit ausgewaehlten kleinen, mittleren und grossen Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und den Beneluxstaaten bilden. Danach haelt das kraeftige Wachstum im LAN-Bereich an, wobei insbesondere mittlere Firmen eine starke Nachfrage zeigten. Fuer Deutschland erwartet IDC in diesem Jahr eine Steigerung des LAN-Anteils innerhalb der IT-Strukturen der Unternehmen um 10,5 Prozent, was die Bundesrepublik zum EU-Land mit dem groessten LAN-Wachstum machen wuerde. Aus der Untersuchung geht ferner hervor, dass von 1375 befragten deutschen Unternehmen derzeit durchschnittlich 28,7 Prozent LANs einsetzen. Bei Konzernen mit mehr als 1000 Mitarbeitern liegt dieser Anteil bei 98,4 Prozent, sinkt aber mit abnehmender Beschaeftigtenzahl: Bei Unternehmen zwischen 100 und 199 Mitarbeitern sind es nur noch 66,8 Prozent, Firmen mit einem bis 19 Angestellten koennen sich derzeit nur noch zu 26,3 Prozent fuer den Einsatz von LANs entscheiden.