Fuer unternehmensweite Netze bietet sich eine gemischte Strategie an

LAN-Basis fuer die Makrowelt und Multiuser im Mikrokosmos

09.04.1993

Bevor man das Arbeitsumfeld einzelner Mitarbeiter, Fachabteilungen oder Projektgruppen um einen Computer erweitert, muessen vier Fragenkomplexe grundsaetzlich beantwortet werden:

- Wie arbeitet das Unternehmen, wie arbeiten die einzelnen Mitarbeiter, und wie kommunizieren sie miteinander?

- Wie kommen die Benutzer an die Informationen, die sie fuer ihre Arbeit benoetigen? In vielen Faellen werden diese Anwender die Technologie, die eingesetzt werden soll, gar nicht verstehen oder verstehen wollen. Fuer sie ist der Computer lediglich ein Arbeitsmittel, das ihnen ihr Tagesgeschaeft erleichtern soll.

- Welche Konfiguration ist in diesem Fall passend - ein Multiuser- System oder ein lokales Netzwerk?

- Wie optimiert man das Preis-Leistungs-Verhaeltnis einer Investition?

Kosteneffizienz ist ein wichtiger Aspekt im modernen Management. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass ein System mit der Geschaeftsentwicklung wachsen muss und dass es auch noch in einigen Jahren einsatzfaehig sein sollte.

Beruecksichtigt man diese Aspekte von Beginn an, so schrumpfen die vielen Alternativen, die sich zunaechst einmal anboten, auf einige wenige zusammen. Diese ergeben jedoch bereits ein relativ schluessiges Bild. Selbst die Integration vorhandener Hardware stellt heute kaum mehr ein Problem dar.

Umstellungsprobleme kosten sehr viel Geld

Entscheidet man sich fuer eine Loesung, die mit sehr vielen Umstellungen verbunden ist, beispielsweise in der Benutzeroberflaeche oder im Datenzugriff, oder die sogar eine interne Umorganisation erfordert, so kann sie noch so leistungsfaehig sein - die anfaenglichen Reibungsverluste und Umstellungsprobleme kosten sehr viel Geld.

Daher ist es erforderlich, die Systemumgebung moeglichst strukturgerecht auszulegen. Ueblicherweise besteht die Unternehmensstruktur aus kleinen Abteilungen oder Fachgruppen. Hier erfolgt eine sehr detaillierte, sachbezogene Kommunikation im Team. Auf der naechsten Hierarchie-Ebene zeigt die

Kommunikation der Bereichs- oder Abteilungsleiter einen wesentlich hoeheren Aggregationsgrad. So ergeben sich je nach Unternehmensgroesse verschiedene Kommunikationsebenen, deren Inhalt auch sehr unterschiedlich ist.

Weiterhin wird sicher die eine oder andere Fachgruppe bereits mit Desktop-Rechnern arbeiten und kaum Bereitschaft zeigen, von der gewohnten Anwendung auf eine neue zu wechseln. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um Applikationen mit einer komfortablen Windows-Oberflaeche handelt.

Diese gesamte Infrastruktur ist vergleichbar mit der eines Staates. Auch hier existieren mehrere Kommunikationsebenen mit unterschiedlichen Inhalten. In einer gesunden und florierenden Wirtschaft muessen Menschen, Waren und Informationen frei zirkulieren koennen.

Auf der obersten, der nationalen Ebene bieten Lufttransport, Eisenbahn und Autobahnen ein Verbindungsnetz zwischen den Staedten. Innerhalb der Staedte gewaehrleisten Strassen, Busse und Stadtbahnverkehr, dass die Stadtbewohner sich frei bewegen koennen.

Uebertraegt man dieses Bild auf die Kommunikations-Infrastruktur eines Unternehmens, so exisitert auch hier eine Makrowelt. Diese Makrowelt, das heisst die unternehmensweite Kommunikation, muss eine hohe Bandbreite an Kommunikationsmechanismen unterstuetzen. Gefordert ist ein weitgehend systemunabhaengiger Informationsfluss; anders in den einzelnen Arbeitsgruppen, die oft mit denselben Applikationen, gleicher Hardware und identischen Datenstrukturen arbeiten. Vor diesem Hintergrund erscheint es einleuchtend, dass ein unternehmensweites Kommunikationssystem wesentlich kostenintensiver ist als das einer Fachgruppe.

Betrachtet man die derzeitige Marktentwicklung, so scheint sie die Frage LAN oder Multiuser-System bereits zu beantworten. Es werden immer mehr Einzelplatz-PCs oder -Workstations gekauft, die dann in eine LAN-Loesung eingebunden werden. Prognosen fuehrender Analysten besagen beispielsweise, dass bereits 1994 die Verkaufszahlen fuer Einzelplatz-PCs auf Unix-Basis hoeher sein werden als die der Multiuser-PCs unter Unix. Rechnet man noch die Unix-Workstations dazu, scheint das Rennen gelaufen.

Aber es gilt auch noch andere Aspekte zu beruecksichtigen. So bietet die heutige LAN-Technologie Transferraten von rund 10 Mbit/s. Im Klartext heisst das, das Netz verfuegt gerade einmal ueber ausreichend Leistung, um zehn bis 15 PCs zu verbinden. Dabei spielt auch die Distanz zwischen den Systemen eine wichtige Rolle.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass diverse Netzwerk- und Workstations-Hersteller an einer gemeinsamen Entwicklung eines neuen LAN-Standards mit 100 Mbit/s interessiert sind. Mehr Kapazitaet fuer groessere Distanzen bedeutet aber auch mehr Workstations und mehr Kabelsalat.

Daher stellt sich die Frage, ob LAN auch kuenftig vor den Multiusern Marktsieger bleiben werden. In der Makrowelt mit Sicherheit, denn LANs koennen viele Workstations, die "an der Strecke" liegen, integrieren. Im Mikrokosmos einer Abteilung, eines Teams, einer Projektgruppe, also in den kleinen und kleinsten Einheiten, wird dagegen das Multiuser-System wieder Terrain erobern.

Multiuser-Systeme in kleinen Arbeitsgruppen

In einem bekannten englischen Fachmagazin war kuerzlich zu lesen: "Eine serielle I/O-Karte, die einen PC zum Abteilungsrechner werden laesst, ist die (System)-Komponente, die derzeit das beste Preis-Leistungs-Verhaeltnis bietet."

Das erscheint durchaus einleuchtend. Kleine Arbeitsgruppen beanspruchen in erster Linie lokale Systemleistung. Sie benoetigen den Zugang zu ihren eigenen Daten, mit denen sie taeglich arbeiten. Wenn man das Informationsbeduerfnis dieser Arbeitsgruppen analysiert, wird man feststellen, dass die Frequenz, mit der diese Anwender via LAN auf andere Datenbestaende zugreifen oder mit anderen Personen kommunizieren, vergleichsweise gering ist. Vorhandene PCs koennen mit Terminal-Emulationssoftware sehr einfach an ein Multiuser-System angeschlossen werden, um einen effizienten Datenaustausch zu gewaehrleisten. Wenn notwendig, kann die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Teams ueber LAN geloest werden.

In einem gemischten LAN-Multiuser-Szenario wird die Frage der Netzkapazitaet zuerst einmal in den Hintergrund treten.

Aber auch zukuenftige Expansionen sollten von Beginn an beruecksichtigt werden. Werden immer mehr Benutzer an ein System angeschlossen, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem ein weiterer User die Leistungsfaehigkeit des Gesamtsystems erheblich reduziert. Dieser Punkt ist bei einer LAN-Loesung wesentlich frueher erreicht als bei der Kombination eines Multiuser-Systems mit intelligenten seriellen I/O-Kontrollern. Und selbst wenn das Multiuser-System an diesen Punkt gelangt, so genuegt beispielsweise die Integration eines weiteren Servers in das LAN, um die Systembelastung gleichmaessig aufzuteilen. Eine derartige Aufruestung ist wesentlich einfacher als die Aufspaltung in zwei Netze und deren Verbindung. Auch die gemeinsame Nutzung von Systemressourcen ist unproblematisch. Hierfuer bietet ein LAN sehr praktische Transportebenen. Datenschutzfunktionen werden in dieser Konstellation von der Multiuser-Software uebernommen, und zwar ueber das gesamte Netz.

Ausserdem bieten Multiuser-Systeme auch Multitasking-Faehigkeiten, so dass ein Benutzer beispielsweise einen Druckauftrag geben und sich sofort anderen Aufgaben zuwenden kann.

Steht man also vor der Notwendigkeit, eine Computerumgebung erstmalig zu schaffen oder eine bestehende gleichzeitig leistungsfaehig und kosteneffizient auszubauen, so erscheint die Integration lokaler Multiuser-Systeme in ein unternehmensweites Kommunikationsnetz auf LAN-Basis als logischer und sinnvoller Ansatz. Die Produktstrategien von Novell und Microsoft kommen einer solchen Loesung entgegen.

*Tony Westray ist International Marketing Manager der Specialix International in Byfleet und Muenchen.

Gefaehrliche Grundsatzfrage

Die Ausruestung einer Arbeitsumgebung mit Computern ebenso wie die Umstellung oder Erweiterung einer bestehenden Systemumgebung sind keine einfachen Aufgaben. Waehlt man die richtigen Applikationen, aber das falsche System, riskiert man unnoetige Kosten. Wenn die Rechner den Anforderungen zwar entsprechen, die Anwendungen jedoch nicht bedienerfreundlich sind, so ist mit Produktivitaets- und Motivationsverlusten bei den Benutzern zu rechnen. Ausgewogenheit muss also Ziel aller Ausruestungsvorhaben sein. In diesem Entscheidungsprozess wird immer haeufiger eine Grundsatzfrage gestellt: Multiuser-System oder LAN?