Verschiebung des Merced bringt nur eine Atempause

Läutet IA 64 das Ende der Risc-Plattformen ein?

26.02.1999
Von den CW-Mitarbeitern Andreas Stolzenberger und Wolfgang Herrmann MÜNCHEN - Verzögerungen bei der Entwicklung des 64-Bit-Prozessors Merced haben den alteingesessenen Risc-Anbietern eine Atempause verschafft. Trotzdem sind die Perspektiven etlicher Plattformen alles andere als rosig. Anwender müssen sich schon heute mit der Frage befassen, wie eine Migration auf eine andere CPU-Architekturzu bewältigen ist.

Als Compaq vor gut einem Jahr die Übernahme von DigitalEquipment (DEC) bekanntgab, war für viele Experten das Schicksal des hochgelobten Risc-Prozessors "Alpha" besiegelt. Schon frühzeitig hatten sich die Texaner darauf festgelegt, künftige Server-Systeme mit den von Intel- und Hewlett-Packard gemeinsam entwickelten IA-64-Chips auszurüsten. Wenige Monate zuvor hatte DEC zudem die Alpha-Fertigungsanlage in Hudson an Intel veräußert. "Ich denke, daß die Alpha-Architektur mit dieser Entwicklung langsam sterben wird", kommentierte etwa Franz Grobbel aus dem IT-Bereich der Unternehmensberatung Kienbaum in Düsseldorf seinerzeit.

Inzwischen sind die Karten scheinbar neu gemischt worden. "Bei Compaq gibt es ein klares Bekenntnis zu Alpha", sagt Klaus Kometer, Leiter High Performance Server Division bei der deutschen Compaq-Dependance. Die Roadmap bis zum Jahr 2003, das heißt bis zur übernächsten Alpha-Prozessorgeneration EV8, stehe fest. Für die Nachfolger EV9 und EV10 seien derzeit lediglich die technischen Details noch nicht bekannt. Kometer: "Es gibt überhaupt keine Anzeichen für einen Wechsel in Richtung IA 64."

Nach der Fusion mit DEC existieren innerhalb Compaqs zwei Server-Sparten: In der High-Performance Server Division sind alle Alpha-basierten Server zusammengefaßt. Die Industriestandard-Server-Abteilung betreut demgegenüber Compaqs Intel-basierte "Proliant"-Server. Beide Produktlinien würden auch nach Erscheinen des IA-64-Prozessors weiterbestehen, versichert Kometer.

Wolfgang Schwab, Analyst bei der Meta Group in München, beurteilt die Zukunft der Alpha-Plattform weniger optimistisch: "Es gibt eine klare Aussage von Herrn Pfeiffer, daß Compaq Industriestandards anbietet, das heißt NT und Intel. Wenn ein Kunde das wirklich unter keinen Umständen will, dann kriegt er auch etwas anderes, sprich VMS und Alpha und Digital Unix."

Kometer führt als Beleg für das Alpha-Bekenntnis Compaqs die Pläne an, die ausfallsicheren "Himalaya"-Server der Tochter Tandem in Zukunft mit Alpha-Prozessoren zu bestücken. Ursprünglich war vorgesehen, diese Maschinen von der jetzigen Mips- auf die IA-64-Architektur zu migrieren.

Insider gehen hingegen davon aus, daß es die Verzögerungen bei der IA-64-Entwicklung waren, die Compaq dazu bewogen haben, die Tandem-Rechner auf Digital-Chips umzurüsten. Intel mußte die anfangs für das Jahr 1999 angekündigte erste IA-64-Implementierung Merced auf das Jahr 2000 verlegen. Branchenexperten wie Linley Gwennap, Herausgeber des "Microprocessor Report", erwarten, daß die anderen Risc-Anbieter mit ihren CPUs bis dahin eine mindestens gleichwertige Rechenleistung anbieten können.

Verspätung des Merced blieb nicht ohne Folgen

Die Verschiebung des Merced ist offenbar auch beim Intel-Entwicklungspartner Hewlett-Packard (HP) nicht folgenlos geblieben. Für die hauseigene Prozessorarchitektur PA-Risc hat HP ohnehin konkrete Pläne bis zum Jahr 2003. Auf das aktuelle Prozessormodell PA-8500 sollen vier weitere CPUs bis hin zum PA-8900 folgen. Die weitere Zukunft der Produktlinie ist zwar noch nicht festgelegt. "Unsere Strategie ist es, so lange PA-Risc-Chips anzubieten, wie unsere Kunden danach verlangen", erklärt aber NickEarle, Direktor der Enterprise Computing Solutions Group gegenüber der COMPUTERWOCHE. "Ich möchte nicht ausschließen, daß HP auch noch einen PA-9000 fertigt." Allerdings geht man bei HP davon aus, daß die im Jahr 2004 verfügbaren IA-64-Prozessoren schneller und günstiger als PA-Risc sein werden und daher kein Bedarf mehr an weiteren CPUs aus dem eigenen Hause vorhanden sein wird.

Die Zukunft der bislang mit PA-Risc ausgestatteten HP-9000-Server ist daher klar auf die IA-64-Prozessoren ausgerichtet. HP möchte ab dem Jahr 2001 damit beginnen, PA-Risc-Kunden zu einem Wechsel auf Merced und seine Folgeprozessoren zu bewegen (siehe nebenstehenden Kasten).

Ganz anders sehen die Planungen bei Sun Microsystems aus. Mit einer dreigeteilten Roadmap verspricht die McNealy-Company konkurrenzfähige Ultrasparc-Chips für Server, Arbeitsstationen und Embedded-Systeme vorerst bis ins Jahr 2005. Dann soll auch eine mit 1,5 Gigahertz getaktete Version des Ultrasparc 5 marktreif sein. Grundlage der kommenden Prozessoren soll der bekannte Risc-Kern bleiben. "Wir werden sicher weitere Funktionen in unsere Chips einbauen", sagt Michael Schroeder, Leiter des Produkt-Marketings Zentraleuropa bei Sun Microsystems, "doch im Kern werden wir bei einer Risc-Architektur bleiben."

Dem "Microprocessor Report" zufolge können die aktuellen Ultrasparc-II-CPUs hinsichtlich der Integer-Rechenleistung nicht mit der Konkurrenz mithalten (siehe Grafik). Ob die Sparc-Architektur tatsächlich konkurrenzfähig bleibt, hängt von der Leistungsfähigkeit des neuen Ultrasparc III ab, der laut Sun-Aussagen noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll. Softwareseitig hat sich der Java-Erfinder indes längst für dieTechnik des Erzrivalen Intel geöffnet: Das Betriebssystem Solaris wird auf die IA-64-Architektur portiert.

Auch bei IBM und Motorola spart man nicht mit klaren Bekenntnissen zur eigenen Risc-Prozessorplattform. Im Jahr 2001 etwa soll mit dem "Giga Processor" ein Power-PC-Chip mit einer Taktfrequenz vonmindestens 1000 Megahertz (ein Gigahertz) ausgeliefert werden, verkündet Big Blue. Nach Einschätzung des Meta-Group-Anaylsten Schwab spricht für den Power PC insbesondere die große installierte Basis. Schwab sieht deshalb zumindest die mittelfristigen Perspektiven der Power-PC-Architektur eher positiv, in jedem Fall aber günstiger als die für die Alpha-Technik.

Weit weniger gesichert erscheint hingegen die Zukunft der Mips-Prozessoren, die unter anderem Silicon Graphics und Siemens derzeit in ihren Rechnern einsetzen. Die Chips der (Noch-) SGI-Tochterfirma Mips sollen zwar bis in das Jahr 2005 weiterentwickelt werden. Das letzte Modell der Reihe wird demnachder "R16000" mit einer Taktgeschwindigkeit von 800 Megahertz werden. Gleichwohl ist der Ausstieg SGIs aus der Mips-Architektur den aktuellen Verlautbarungen zufolge beschlossene Sache. Sobald der IA 64 verfügbar ist, will der Grafikspezialist das Gros seiner Server und Arbeitsstationen mit Intel-Prozessoren versehen. Auch Siemens - neben SGI größter Abnehmer von Mips-CPUs - hat bereits Mitte 1998 angekündigt, seine Mips-basierten Server-Linien auf IA64 umzustellen. Für den Umstieg haben die Münchner konkrete Pläne vorgelegt (siehe CW 5/99, Seite 37).

Aus SGIs Workstation-Linien "O2" und "Octane" soll den Plänen des Herstellers zufolge eine 64-Bit-Workstation-Familie werden, die wahlweise mit einem 64-Bit-NT-Betriebssystem oder dem hauseigenen Betriebssystem Irix ausgestattet wird. An dessen Portierung auf die künftige Intel-Architektur arbeitet das Unternehmen. Parallel dazu bietet SGI IA-32-basierte (Intels 32-Bit-Prozessoren) Rechner an.

Für die Migration existierender Mips-Systeme gibt es bei Silicon Graphics aber offenbar keine konkreten Pläne. Laut Hans-Peter Scherm, Marketing-Manager bei SGI, wird es keine Maschinen geben, die sich über einen Austausch von Hardwarekomponenten auf Intel-CPUs umrüsten lassen. Der Umstieg von Mips- auf IA-64-Systeme wirdzudem von Kunden verlangen, eigene Applikationen auf der Zielplattform neu zu kompilieren. Einen Kompatibilitätsmodus oder einen MIPS-Emulator bietet SGI nicht an.

Hewlett-Packards Pläne mit IA 64

Beginnend mit den neuen HP-9000-Server-Modellen der K- und V-Serie wird Hewlett-Packard (HP) auf IA 64 aufrüstbare Rechner unter dem Betriebssystem HP-UX liefern. Diese sollen im April 1999 vorgestellt werden. Spätestens ab dem Jahr 2000 sollen nur noch upgradefähige Unix-Server angeboten werden.

Der Übergang zu Intels 64-Bit-Architektur sei sehr einfach zu bewerkstelligen, behauptet Nick Earle, Direktor der Enterprise Computing Solutions Group bei HP. Es müsse lediglich die Prozessorplatine mit den CPUs ausgetauscht und ein Patch in das Betriebssystem HP-UX Version 11 eingespielt werden. Bestehende Applikationen sollen unverändert im PA-Risc-Emulationsmodus eines Merced oder seines Nachfolgers "McKinley" laufen. Allerdings werden in dieser Betriebsart keine IA-64-spezifischen Funktionen genutzt und daher auch kein Geschwindigkeitszuwachs erzielt. "HP-UX-Anwendungen werden auf PA-8600 und Merced im Kompatibilitätsmodus gleich schnell arbeiten", konzediert Earle. Erst eine Rekompilierung auf die neue Plattform würde einen deutlichen Performancezuwachs bringen.

Allen Kunden mit älteren Systemen, die sich nicht auf IA-64umrüsten lassen, möchte HP spezielle Rückkaufangebote beim Kauf neuer Systeme unterbreiten. Wer gar nicht von PA-Risc weg möchte,soll gemäß HP-Firmenpolitik nach dem Auslaufen der alten Maschinen noch zehn Jahre Support erhalten.

Nick Earle schätzt, daß die meisten HP-Kunden ab dem Jahr 2001 mit der Migration beginnen. Er sieht den McKinley somit als den ersten IA-64-Prozessor, der in Stückzahlen geliefert wird. "Merced wird den meisten nur als Evaluationsplattform dienen." Neben den HP-9000-Servern unter Unix wird HP auch die Midrange-Plattform HP3000 samt dem Betriebssystem MPE/ix auf IA-64 portieren.