Länder reißen Fiscus-Projekt an sich

05.07.2005
Mit der Auflösung der Fiscus GmbH wollen die Finanzminister der Länder wieder die Hoheit über die Entwicklung einer bundesweit einheitlichen Steuersoftware erlangen.

Die Finanzminister der Länder haben ihre Vertreter in der Gesellschafterversammlung der Fiscus GmbH gebeten, die Auflösung vorzubereiten und die Gesellschaft geordnet abzuwickeln", heißt es in einem am 23. Juni gefassten Beschluss der Finanzministerkonferenz der Länder. Damit scheint das Schicksal von Fiscus besiegelt. Ursprünglich war die Bonner Firma angetreten, dem Projekt "Föderales integriertes standardisiertes computerunterstütztes Steuersystem" (Fiscus) neuen Schwung zu verleihen. Nachdem das bereits seit 1991 geplante Vorhaben, eine bundesweit einheitliche Steuersoftware für alle Finanzämter zu entwickeln, an Streitereien und Kompetenzgerangel zu scheitern drohte, sollte die GmbH das Projekt zentral steuern und vorantreiben.

Doch dies misslang. Bereits vor einem Jahr degradierten die Finanzminister Fiscus zum reinen IT-Dienstleister, der von den einzelnen Ländern mit Teilaufgaben betraut werden sollte - ein Lippenbekenntnis, wie sich nun herausstellte. "Die Länder entwickeln Software gemeinsam und vereinheitlichen die eingesetzte Software", heißt es in dem jüngsten Beschluss. Der arbeitsteilige Ansatz habe sich als die beste Lösung erwiesen. Die Minister hatten auch gleich einen neuen Namen für ihre Pläne parat: Mit "Konsens" (Koordinierte neue Softwareentwicklung der Steuerverwaltung) sei man in der Lage, das Ziel einer einheitlichen Software in allen Ländern zu erreichen. Die Fiscus GmbH hat in diesen Plänen offenbar keinen Platz mehr.

Bei den Mitarbeitern der Fiscus GmbH stoßen die Ministerbeschlüsse auf Unverständnis. Nachdem bereits in den vergangenen zwölf Monaten rund 170 Fiscus-Angestellte ihren Hut nehmen mussten, droht nun 115 Mitarbeitern der Gang zur Arbeitsagentur. Nur rund 40 Lohnempfänger der Fiscus GmbH können darauf hoffen, wieder in den IT-Abteilungen der Länder unterzukommen. Die Belegschaft begleitete daher die Gesellschaftersitzung am 30. Juni dieses Jahres in Bonn mit lautstarken Protesten.

Auch das Fiscus-Management kann die Entscheidung der Politiker nicht nachvollziehen. Die Auftragsbücher seien voll, Produkte könnten rechtzeitig auf den Markt gebracht werden, und nach wie vor seien die Kunden an den eigenen Lösungen stark interessiert, versicherte Geschäftsführer Olaf Bruhn. Er hofft, die GmbH im Rahmen eines Management-Buyouts (MBO) weiterführen zu können. Zwar habe der Aufsichtsrat diesen Plänen im ersten Anlauf eine Abfuhr erteilt, berichtet Bruhn. Jedoch habe man die Gesellschafterversammlung zumindest überzeugen können, die Idee zu prüfen. Eine endgültige Entscheidung werde in den kommenden Sitzungen am 10. und 30. August fallen. "Wir sind noch keine Gesellschaft in Abwicklung", stellt der Fiscus-Chef klar.

Unterschätzte Komplexität

Dies sei jedoch nur eine Frage der Zeit, glaubt Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG). Es sei bereits seit längerem absehbar gewesen, dass die Fiscus GmbH in ihrer bestehenden Form sterben werde. "In der Entwicklung war Fiscus zu langsam und zu schwerfällig", kritisiert der Gewerkschafter. Obwohl die Länder schon über eigene Steuersoftware verfügten und diese auch weiterentwickelten, habe das Unternehmen gemeint, etwas komplett Neues entwickeln zu müssen. Dabei habe man die Komplexität unterschätzt.

Auch der Bund, der in der Vergangenheit einen Großteil des Fiscus-Etats aufgebracht hatte, wegen der föderalen Struktur allerdings keinen Einfluss auf die Entwicklung nehmen durfte, räumt ein Scheitern der GmbH ein. Das Unternehmen habe von Anfang an unter hohem politischen Erwartungsdruck gestanden, der den Aufbau nachhaltig belastet habe, hieß es von Seiten des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der computerwoche. Auch Management-Fehler hätten sich ungünstig ausgewirkt. "Das Ziel, ausreichendes steuerfachliches Know-how aufzubauen, wurde nicht erreicht", so das Fazit aus Berlin.

Im Grunde sei die Fiscus GmbH auf einem guten Weg gewesen, das Vorhaben auf solide Beine zu stellen, widerspricht Tom Gensicke, E-Government-Experte von Capgemini. Er vermutet finanzielle Gesichtspunkte hinter der Entscheidung der Finanzverwaltung. Offenbar seien die Länder nicht mehr bereit gewesen, der GmbH Geld zu geben. Die Finanzbehörden hätten Fiscus bewusst torpediert, argwöhnt hingegen ein Insider. So seien die von Anfang an unrealistischen Erwartungen immer höher geschraubt worden. Außerdem hätten die Behörden Abnahmen mehrmals verzögert und mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. "Nun werden dieselben Beamten, die das Projekt und die GmbH in den Sand gesetzt haben, neues Spielgeld bekommen und sich wieder in die Haare kriegen."

Jetzt muss es klappen

Auf Länderseite gibt man sich optimistisch. Im Gegensatz zu den 90er Jahren seien es nun mit Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nur fünf Länder, die gemeinsam die Software entwickeln sowie die Architektur und die Strategie verantworten, berichtet Judith Steiner, Sprecherin des bayerischen Finanzministeriums. Im Gegenzug hätten sich alle 16 Bundesländer verpflichtet, die Software auch einzusetzen. In der Entwicklung wolle man nicht alles neu erfinden. Geplant sei, unter einem Best-Practice-Ansatz auf den am besten geeigneten Lösungen der Länder aufzubauen. Damit verfolge man ein evolutionäres Konzept. Damit erhalten die alten Cobol- und Assembler-Programme eine neue Chance. "Die Anwendungen laufen schnell und stabil", berichtet Steiner.

Über die noch zu erwartenden Kosten will die Ministeriumssprecherin keine Angaben machen. Es seien aber keine Beträge, über die man sich Sorgen machen müsse, wiegelt sie ab.

"Es muss klappen", fordert Gewerkschaftsführer Ondracek. "Eine zweite Pleite kann sich niemand leisten." Nachdem die Finanzminister viel Lehrgeld gezahlt hätten, praktisch ohne einen Gegenwert zu erlangen, sei der Druck nun sehr hoch. Die Zahlen, wie viel Geld bislang für das Fiscus-Projekt verschwendet wurde, gehen weit auseinander. Die Rede ist von einem Betrag zwischen 250 und 900 Millionen Euro. Das meiste sei reine Spekulation, meint ein Insider. Allerdings dürfe man getrost davon ausgehen, dass sehr viel Geld aus dem Fenster geworfen wurde. Mit einer Schätzung von 400 Millionen Euro liege man sicher nicht ganz falsch.