IT in der Autoindustrie/PC-Applikation schlug Großrechnerlösung

Lackieren bei Chrysler: Optimierung schont Umwelt und reduziert Kosten

11.09.1998

Die Chrysler Corporation, in den Vereinigten Staaten immerhin drittgrößter Automobilhersteller im Bereich von Pkws und kleinen Lastwagen und durch die Fusion mit Daimer Benz wichtiger als je zuvor für Europa, stand bei der Einführung eines neuen Optimierungssystems in 18 Fertigungsstätten in Nordamerika, Mexiko und Europa vor einem gravierenden Problem im Bereich der Lackiererei, das Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Konzerns hatte. Nicht nur, daß Lackierereien bei allen Automobilherstellern einen Flaschenhals der Produktion darstellen. Bei Chrysler gab es von seiten der amerikanischen Behörden zusätzlich Auflagen zum Umweltschutz. Dadurch hätte die Produktionsrate nicht eingehalten werden können, die Wettbewerbskraft der Nummer drei wäre geschwächt gewesen.

Hintergrund: Die Lackiererei einer Automobilfertigung erzeugt Umweltbelastungen, da die Lackiereinheit jeweils gereinigt werden muß, bevor Fahrzeuge in einer anderen Farbe gespritzt werden können. Die Häufigkeit des Farbwechsels spielt somit eine kritische Rolle im gesamten Produktionsprozeß. Hierbei sind eine Vielzahl von Vorgaben zu berücksichtigen. So will der Hersteller einerseits die Auslieferungsfristen einhalten und muß die Lackierfarbe entsprechend den Farbwünschen der Kundschaft steuern. Andererseits kostet jeder Farbwechsel neben der genannten Belastung der Umwelt Zeit und Geld.

Alle drei Faktoren sollen minimiert werden. Hinzu kommen Hunderte von Randbedingungen, die mit dem Produktionsablauf zusammenhängen, aber auch mit dem Schutz der in der Fertigung beschäftigten Arbeitnehmer. So dürfen bestimmte Farben nicht direkt aufeinanderfolgen, und keine Farbe darf zu lange hintereinander gespritzt werden, weil dies das Farbsehvermögen der Mitarbeiter in der Qualitätskontrolle negativ beeinflussen könnte.

Diese Beispiele verdeutlichen, warum Chrysler bei rund 2,5 Millionen produzierten Fahrzeugen jährlich, die über mehr als 7000 Händler in über hundert Ländern vertrieben werden, diese anspruchsvolle Aufgabe nicht durch eine manuelle Planung bewerkstelligen kann. Der Autokonzern hätte die Produktion einschränken müssen, um den neuen Umweltauflagen zu genügen. Das gab den Ausschlag für die Erstellung eines Optimierungssystems, das für die gesamte Automobilbranche beispielhaft werden könnte.

Zur Abhilfe hat Chrysler ein neues System mit der Bezeichnung "Cen- tralized Vehicle Scheduler" (CVS) entwickelt. Es basiert auf der "Optimization" Suite von Ilog, Eschborn, mit den Softwarebibliotheken Ilog-Solver und -Scheduler und minimiert die Anzahl der Farbwechsel in der Lackiererei unter Berücksichtigung aller erforderlichen Haupt- und Randbedingungen.

Das Verfahren nennt sich con- straint-based optimization. Hierbei wird, mathematisch ausgedrückt, jeder Parameter, der einen Einfluß auf das Ergebnis hat, als Variable definiert und dann in seinen Auswirkungen auf das Resultat bewertet. Dabei wächst das Problem exponentiell: Gibt es auch nur zehn Parameter mit 1000 möglichen Werten, benötigt man Jahre, um alle Eventualitäten durchzuspielen. Daher kommen in den Paketen Solver und Scheduler ausgeklügelte mathematische Algorithmen zum Einsatz, die nur ein Ziel haben: die Vielzahl unmöglicher Lösungen frühzeitig im Berechnungsprozeß zu erkennen und von vornherein auszuschließen. Fachleute sprechen von Domain Reduction, also von der Reduzierung von Entscheidungswegen in komplexen Entscheidungsbäumen. Vereinfacht dargestellt: Wenn nicht mehr als zehn Autos hintereinander dieselbe Farbe haben dürfen, können alle Lösungen ab "zehnmal rot", "zehnmal blau" etc. auf einen Schlag ausgesondert werden. Nur dadurch wird es möglich, daß Chrysler mit der Software quasi Ad-hoc-Optimierungsergebnisse erhält, die direkt in den Fertigungsablauf Eingang finden.

Die neue Applikation läuft auf PC-Standardsystemen und übertrifft aufgrund der hochkomplexen Algorithmen dennoch die Leistungsfähigkeit der zuvor eingesetzten Großrechnerlösung. Die Optimierungsapplikation ist vollständig in eine existierende Mainframe-Umgebung zur Ein- und Ausgabe von Daten integriert.

Bei der Durchlaufoptimierung berücksichtigt die Software nicht nur Farbwechsel, sondern auch unterschiedliche Modellreihen, Randbedingungen, Möglichkeiten und Einschränkungen des jeweiligen Montagewerks und viele andere Parameter. Obwohl die Aufgabenstellung sehr rechenintensiv ist, erlaubt die Modeling- und Solver-Engine von Ilog dem Bedienpersonal das Konfigurieren und die Eingabe der Parameter über eine einfach zu bedienende, menügeführte Benutzer-Schnittstelle.

Mit CVS lassen sich auch kurzfristige Planungsänderungen realisieren. Fällt beispielsweise eine Produktionsstraße aus, erfolgt eine Neuberechnung der Gesamtanforderungen, die dann sofort umgesetzt werden kann. Diese Möglichkeit unterscheidet dynamisches Scheduling, wie es bei Chrysler zum Einsatz kommt, von herkömmlichen Planungsprozessen, die solche kurzfristigen Abweichungen nicht zulassen.

James Whitfield, Manager of Centralized Vehicle Scheduling and Forecasting bei Chrysler, kalkuliert, daß mit der neuen Lösung für einen Farbwechsel einschließlich Farbverlusten und Lösungsmitteln sowie der benötigten Arbeitszeit Kosten in Höhe von zwölf Dollar anfallen. Das ist im Vergleich zu Wettbewerbern weniger als die Hälfte. Er erklärt: "Durch den Einsatz von CVS konnte die Farbwechselrate um zehn bis 20 Prozent reduziert werden. Dadurch sparen wir in einer typischen Lackiererei rund eine halbe Million Dollar jährlich." Gleichzeitig entlastet dies die Umwelt, es vermeidet insbesondere Gewässerverschmutzung.

Letztlich soll das System den gesamten Fertigungsprozeß steuern. Durch diese Ausdehnung der Optimierung auf weitere Produktionsstufen will Chrysler künftig bis zu 20 Millionen Dollar im Jahr einsparen. Damit sieht sich der Automobilhersteller in der Fusion mit Daimler Benz bestens für den weltweiten Wettbewerb gerüstet.

ANGEKLICKT

Wegen optimierter Farbwechselprozesse bei der Lackierung spart Chrysler allein auf diesem Teilgebiet rund sieben Millionen Dollar jährlich. Der Autokonzern plant, die neue Methode künftig über weite Teile des Produk- tionsablaufs hinweg einzusetzen. Hierzu gehören beispielsweise die Verwaltung und Planung von Fahrzeugtyp, Ausstattungsmerkmalen, Fertigung und Material, Einschränkungen der Fertigungsstätten und andere Parameter, die alle in die Optimierung einbezogen werden sollen.

Angelika Dripke ist freie Journalistin in Wiesbaden.