Data Mining hilft beim Marketing und Vertrieb

Kundenwünsche erkennen, bevor es zu spät ist

25.02.2000
Das Churn-Management ist ein Beispiel dafür, dass Data-Mining-Verfahren für die Kundenansprache und -analyse nützlich sind. Sie sollen helfen, das Marketing und den Vertrieb zu verbessern. Marcus Neckenig* beschreibt die Vorgehensweise.

In Märkten wie der Telekommunikation, Handel oder Finanzdienstleistung werden die entscheidenden Wettbewerbsvorteile nach der Phase des harten Preiskampfes über zusätzliche Services erzielt. Im Vordergrund stehen muss immer der Endkunde. Unternehmen wissen jedoch oft nicht genug über ihre Kunden, um ihn gezielte Angebote unterbreiten zu können. Meist klafft eine Lücke zwischen dem Informationsangebot des Unternehmens und dem Informationsbedarf des Kunden, wobei das Angebot im Allgemeinen größer und unspezifischer als der eigentliche Bedarf ist.

Das Wissen über den Kunden zu bündeln und gezielt nutzbar zu machen, muss daher das Ziel jeden Unternehmens sein. Unterstützung bietet dabei das Database Mining - die Selektion und Aufbereitung der Daten in Informationssystemen. Dies führt zwar zu Transparenz, verbindliche Aussagen können jedoch erst unter Berücksichtigung menschlich logischer Annahmen getroffen werden. Mit diesen Aspekten beschäftigt sich derzeit in Deutschland vor allem die Telekommunikationsbranche unter dem Stichwort "Churn-Management" (siehe Kasten).

Zuerst werden hierbei je nach Aufgabe die relevanten Kundendaten indentifiziert, gesammelt und aufbereitet, und zwar möglichst auf einer relationalen Plattform. Dabei spielt die Datenversorgung und die Datenqualität eine erfolgskritische Rolle. Liegen die Daten vor, muss eine inhaltliche Definition von Churn erarbeitet werden (siehe Kasten "Churn-Management"). Hierzu sollten neben den Stammdaten-Attributen die Veränderungen im Verhalten der Kunden berücksichtigt werden. Idealerweise lassen sich daraufhin weitere Informationen generieren, indem vorhandene interne Segmentierungen - beispielsweise die Bonität und das Umsatzsegment - und externe soziodemografische Daten berücksichtigt werden.

Die eigentliche Analyse der Daten erfolgt mittels Data-Mining-Werkzeugen, die darauf abzielen, unerkannte und nicht triviale Zusammenhänge in großen Datenbeständen zu erkennen. Entscheidungen, die oft aus dem Bauch heraus getroffen werden, erhalten so eine fundiertere Grundlage. Data Mining umfasst je nach dem Verständnis des Begriffs eine mehr oder weniger scharf umrissene Klasse von Methoden zur Datenanalyse. Zu den der Praxis gebräuchlichsten Verfahren zählen die "Cluster-Analyse", das "Entscheidungsbaumverfahren", statistische Verfahren wie die "Regressionsanalyse" sowie "neuronale Netze". Je nach Aufgabe können unterschiedliche Verfahren oftmals in Kombination zum Einsatz kommen. Die Qualität der gelieferten Ergebnisse ist das entscheidende Bewertungskriterium. Die Laufzeit eines Verfahrens, auch Performance genannt, sowie die einfache und automatisierte Anbindung an die operativen Systeme sind weitere wesentliche Kriterien für die Praxistauglichkeit.

Die eigentliche Churn-Analyse erfolgt dann in iterativen Schritten, in denen die Ergebnisqualität immer weiter verfeinert wird. Im ersten Schritt wird für Übungszwecke ein erster Entscheidungsbaum erzeugt. Dazu braucht es meistens mehrere Data-Mining-Läufe. Im zweiten Schritt wird dann der aus der Trainingsphase gewonnene Entscheidungsbaum auf Basis der Testdaten weiter überprüft und verfeinert. Die ersten beiden Schritte basieren auf Analysedaten aus der Vergangenheit. Sie sollten mindestens über einen Zeitraum von mehreren zurückliegenden Monaten vorliegen. Nur so können statistisch gesicherte Aussagen getroffen werden.

Abwanderungswillige Kunden ermitteln

Im dritten Schritt werden konkret die abwanderungsgeneigten Kunden ermittelt. Die Vorhersage basiert auf dem aktuellen Datenbestand. Jeder Kunde aus dem Vorhersage-Datenbestand wird nach den Regeln des Entscheidungsbaumes einem Cluster zugeordnet. Da die beschriebenen Cluster auf Basis der Vergangenheitsbetrachtung mit Churn-Wahrscheinlichkeiten belegt sind, kann somit jedem Kunden in diesem Datenbestand eine Churn-Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Im vierten Schritt schließlich gilt es, die Vorhersage mit den konkreten Ergebnissen zu vergleichen und zu überprüfen, wer von den vorhergesagten, abwanderungsgefährdeten Kunden tatsächlich einen anderen Anbieter gewählt hat. Damit kann gleichzeitig die Qualität des Vorhersagemodells bewertet werden.

Vorhersagemodelle hoher Qualität identifizeren Cluster mit einer Churn-Wahrscheinlichkeit bis zu 98 Prozent. Dabei ist die Modellgenauigkeit höher als 80 Prozent. Rund 75 Prozent aller wechselgeneigten Kunden können so direkt angesprochen werden. Die Erkenntnis aus dem Rücklauf, also der Erfolg der Kampagne, wird in den nächsten Churn-Analysen als Basisinformation hinzugefügt und liefert daraufhin zusätzliche Informationen. Dieser Close-the-Loop-Ansatz sollte mit Hilfe von iterativen Rapid-Prototyping eingeführt werden, das direkt fachliche Anforderungen an die Analyse berücksichtigt und überprüft. Denn die Ergebnisse aus einer längeren Konzeptionsphase können schon nach einem ersten Mining-Lauf hinfällig sein.

Natürlich ist auch eine umgekehrte Churn-Analyse denkbar, die die zufriedenen und treuen Kunden identifiziert. Analyseergebnisse, die in Verbindung mit dem Kundendeckungsbeitrag ausgewertet werden, könnten interessante Impulse für Kundenpflege liefern. Um jedoch vom Churn-Management profitieren zu können, bedarf es zunächst eines Projektteams, das aus Spezialisten der verschiedenen Unternehmensbereiche besteht. Neben IT-Spezialisten mit dem entsprechenden Know-how zur Gewinnung der benötigten Daten sind Analysten aus den Bereichen Marketing-Research und -Development mit Kenntnissen in der Marketing-Analyse gefordert. Darüber hinaus sollten Marketing- und Vertriebsmitarbeiter, die Kontakt zum Endkunden halten, das Team ergänzen.

Churn-Management"

Der Begriff Churn ist ein Kunstwort, das sich aus den Worten Change und (Re-)turn zusammensetzt. Er bezeichnet, dass Anbieter stets einzelne Kunden ganz oder teilweise verlieren, jedoch auch neue Kunden hinzugewinnen. Die Churn-Rate beschreibt dann den Anteil der abgewanderten Kunden, sogenannten Subscribern, im Verhältnis zur Zahl der gesamten Kunden. Churn-Analysen basieren auf der Vergangenheitsbetrachtung von Subscribern, die das Kundenverhältnis beenden oder in einem hohen Maße auf Ersatzprodukte, sogenannte Substitutionsprodukte, zurückgreifen. Dadurch lassen sich Charakteristika der abgewanderten Kunden identifizieren und in ein Vorhersagemodell überführen. Ziel des Modells ist die Früherkennung von Kunden, die gegebenenfalls den Anbieter wechseln würden. Dieses bezeichnet einen Gesamtprozess, der neben der Churn-Analyse auch die Zielgruppenbestimmung und Umsetzung einer zielgerichteten Kampagne beinhaltet. Wesentliche Kennzeichen sind ferner der sich regelmäßig wiederholende Prozess und die direkte Anbindung an operative Systeme zur schnellen und zeitnahen Datenversorgung.

*Markus Neckenig ist Leiter Consulting in der Geschäftsstelle Business Intelligence Systems im Debis Systemhaus in Düsseldorf.